Die Mauer – Projektionsfläche für Israel-Bashing

18. März 2022 - Teilnehmer am 8. Internationalen Marathon von Bethlehem, deren Strecke an der Sicherheitsmauer entlang führt. Nur ein Detail, das in der Dokumentation keinerlei Erwähnung findet. (Photo credit: imago/ZUMAap3_ 0152902875st Copyright: Ahmad Tayem)

Letzte Aktualisierung am 28. Juli 2022 durch Thomas Morvay

Zürich – Eine weitere Dokumentation des Senders Phoenix gibt Anlass zur kritischen Würdigung. Es geht einmal mehr um Israel, resp. um das Bild des Landes, das durch den Sender vermittelt wird. Man kommt nicht umhin, inmitten der anhaltenden Debatte zum Thema Antisemitismus in Deutschland – die nicht abreissenden Meldungen zur “docuementa-fifteen” sind ein deutlicher Beleg für diese Notwendigkeit – mehr als nur ein Kopfschütteln für die Fehler des öffentlich-rechtlichen TV-Gefäss’ übrig zu haben.

Anfang April 2022 wurde, in der Serie “The Wall – Mauern der Welt” die Folge über Israels Grenzwall zum ersten Mal gesendet, jedoch bereits nach wenigen Tagen aus der Mediathek genommen. Auf Anfrage hiess es, nach der Entdeckung eines Fehlers würde die Episode überarbeitet und erneut eingestellt:

uns ist in der besagten Folge eine Fehler aufgefallen. Dieser Fehler wird korrigiert, danach wird diese Folge auch wieder publiziert werden.

E-Mailantwort auf unsere journalistische Anfrage, 19.04.2022

Es ist schwer zu beurteilen, was genau zu mehr als drei Monate Überarbeitung Anlass gegeben hat. Einen Hinweis erhielten wir aus den Sozialen Medien, wo ein User erwähnte, er hätte dem Sender die unfassbar verschobene Optik in der Darstellung der historischen Ereignisse zu Beginn des Filmes vorgehalten. Hier die entsprechende Passage, links in der ursprünglichen, rechts in der überarbeiteten Fassung:

Dafür [gemeint ist der Beschluss der UNO zur Teilung des britischen Mandatsgebietes, Anm. der Redaktion] mussten Palästinenser weichen. Die neue Nation Israel bekam den grösseren Teil Palästinas zugesprochen, obgleich ihre Bevölkerung weniger als die Hälfte ausmachte. Nach 2 Jahren erbitterten Bürgerkriegs, in dem Israel sein Territorium ausweitete, zog das Waffenstillstandsabkommen von 1949 schliesslich eine weiche grüne Grenze, die sogenannte «Green Line».

Von Anfang an unliebsame Nachbarn, fanden die gewaltsamen Auseinandersetzungen des Nahost-Konflikts seitdem kein Ende mehr. Sie eskalierten 1967 im Sechs-Tage-Krieg. Israel besetzte palästinensisches Land, das Westjordanland und den Gazastreifen. Bis heute kontrolliert Israel die West Bank, Heimat von zweieinhalb Millionen Palästinensern.

Im Jahr 2000 kam es erneut zu einem Aufstand gegen diese Okkupation. Die zweite palästinensische Intifada schlug ein noch dunkleres Kapitel auf, mit hunderten von Toten auf beiden Seiten.

Nach einer Serie palästinensischer Selbstmordattentate, entschied sich Israel 2002 für die Mauer.

The Wall – Mauern der Welt; Israels Grenzwall – zwischen 02:07 – 03:36 Minuten

Die arabischen Nachbarländer waren gegen den UN-Teilungsplan und griffen den neuen Staat umgehend nach Gründung an. In diesem ersten Nahostkrieg weitete Israel sein Gebiet aus. Die Waffenstillstands-Abkommen schufen 1949 eine «Green Line», eine neue grüne Grenze. Vom UN-Teilungsplan blieben somit nur noch Gaza und die Westbank als mögliche Gebiete eines zukünftigen arabischen Staates.

Im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte Israel auch diese Regionen, die bis dahin von Ägypten und Jordanien besetzt waren. Ungeklärte Grenzen, konkurrierende Ansprüche, bestreiten des Existenzrechts Israels. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Region nehmen seitdem kein Ende mehr.

Im Jahr 2000 kam es erneut zu einem Aufstand, der Zweiten Intifada, gegen die israelische Besetzung von Westbank und Gazastreifen. Eine weitere Spirale tödlicher Gewalt. 2005 verliess Israel den Gazastreifen. Die Westbank ist trotz palästinensischer Selbstverwaltung bis heute israelisch kontrolliert.

Nach einer Serie palästinensischer Selbstmordattentate hatte Israel hier 2002 den Bau der Mauer begonnen.

Ein weiteres, frühes Beispiel im Film ist die Darstellung der Lage in Bethlehem, das als kleine Stadt in der Westbank beschrieben wird. Der als “palästinensischer Landwirt” eingeführte Besitzer eines Landstrichs jenseits der Mauer erklärt, dieser sei seit Generationen von seiner Familie bewirtschaftet worden. Durch geschickte Wortwahl wird der Eindruck erweckt, der Besitz gehe bis in die vorchristliche Zeit zurück, was schon deshalb unwahrscheinlich ist, als dass Araber vor dem 7. Jahrhundert n. Chr. das Land kaum besiedelt haben konnten. Tatsächlich sind vielleicht einige der Bäume so alt gewesen, wer als Nutzniesser der Fläche galt, wird aussen vor gelassen. Hingegen sagt der Bauer, die Oliven und das Olivenöl seien eine “zusätzliche Einnahmequelle” gewesen – wie muss das gedeutet werden, aufwändiges Hobbygärtnern? Sodann werden in der Darstellung der Ereignisse erst die “israelischen Soldaten mit Maschinengewehren und Bulldozern” eingeführt, bevor angedeutet wird, dass dies bloss der letzte Schritt ist, der nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen erfolgt war:

Ich habe den Olivenhain vor uns von meinem Vater geerbt, er bereits von meinem Grossvater. Diese Olivenbäume sind alt, einige über 2’000 Jahre – vor Christus. Die Oliven und das Olivenöl, das wir produzierten, bedeuteten ein zusätzliches Einkommen für uns Bauern hier.

In dieses Gebiet bei Bethlehem, berühmt für seine Olivenhaine, kamen 2015 israelische Soldaten mit Maschinengewehren und Bulldozern, und begannen den Weg für die Mauer freizuräumen.

Während die meine Olivenbäume fällten und zerstörten, durfte ich nicht in die Nähe kommen. Das sind keine jungen Bäume. Einige sind sehr gross und alt – nicht leicht zu entwurzeln. Sie benutzen so riesige Baggern, dass meine Olivenbäume, wie Blumen, aus der Erde gepflückt wurden. Sie haben mich gewarnt näherzukommen, ich sagte: «Das ist mein Land, ich will sehen, was Ihr damit macht.» Sie sagten: «Du bist aus Beit-Jalla. Dieses Land gehört ab jetzt zu Jerusalem. Es ist beschlagnahmt.»

Palästinensische Rechtsanwälte haben die Expansion der Mauer vor israelischen Gerichten angefochten.

The Wall – Mauern der Welt; Israels Grenzwall – ab 06:42 Minuten

Die Oliven und das Olivenöl bedeuteten ein zusätzliches Einkommen für unsere Familien.

In dieses Gebiet bei Bethlehem, berühmt für seine Olivenhaine, kamen 2015 israelische Soldaten mit Maschinengewehren und Bulldozern, und begannen den Weg für die Mauer freizuräumen.

Während die meine Olivenbäume fällten und zerstörten, durfte ich nicht in die Nähe kommen. Das sind keine jungen Bäume. Einige sind sehr gross und alt – nicht leicht zu entwurzeln. Sie benutzen so riesige Baggern, dass meine Olivenbäume, wie Blumen, aus der Erde gepflückt wurden. Sie haben mich gewarnt näherzukommen, ich sagte: «Das ist mein Land, ich will sehen, was Ihr damit macht.» Sie sagten: «Du bist aus Beit-Jalla. Dieses Land gehört ab jetzt zu Jerusalem. Es ist beschlagnahmt.»

Palästinensische Rechtsanwälte haben die Expansion der Mauer vor israelischen Gerichten angefochten.

Das ist ein Muster, das sich durch den gesamten Film zieht: ohne Zusammenhang oder Hintergrund Bilder in die Köpfe der Zuschauer setzen, die erst danach in einen Kontext eingebettet werden. So etwas hat Suggestivkraft, man kann es auch als Manipulation sehen! Spannend sodann, wie an verschiedenen Stellen die Optik plötzlich verschoben wird, um die gängigen Klischees, welche die Berichterstattung seit Jahrzehnten beherrschen, zu bedienen:

Über Generationen hinweg haben jüdische und arabische Siedler in dieser Region nebeneinander gelebt.

Neben Sicherheitsaspekten sieht Israel seine Gebietsansprüche auch religiös begründet. Für gläubige Juden ist das Gebiet des historischen Judäa und Samaria heilig. Es erscheint ihnen rechtmässig, und wie ein Wunder Gottes, in das gelobte Land geführt zu werden, das ihnen in der Bibel versprochen wurde.

1967 begannen sie mit dem Bau erster Siedlungen. Bis heute kamen immer weitere dazu, internationalem Recht zum Trotz. Der anhaltende Siedlungsbau ist einer der Hauptstreitpunkte im Israel-Palästina-Konflikt.

The Wall – Mauern der Welt; Israels Grenzwall – ab 08:45 Minuten

Ausgangspunkt ist zum einen das angeblich friedliche Nebeneinander, obschon bekannt, dass die ersten Angriffe arabischer Freischärler auf die ersten jüdischen Einwanderer bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert stattfanden, und zuerst in der Errichtung von Bürgerwehren wie HaShomer, später in die Haganah mündeten. Ein Klassiker sodann die Erwähnung der Bedeutung des Gebietes für “gläubige Juden”. Unausgesprochen sind hier die “Ultra-Orthodoxen” gemeint, und der sog. Religiöse Zionismus. Aber weder dieser Begriff, noch der Name Zeev Jabotinsky, der Begründer der Bewegung, finden Erwähnung. Ebensowenig die Tatsache, dass in den prägenden Jahren des jungen Staates, sogar bis in die 1990er Jahre hinein, der Religiöse Zionismus im politischen Leben des Landes eine marginale Rolle zukam. Erst mit dem Wahlsieg Menachem Begins ab Mai 1977 wurden sie zu einer zunehmend einflussreichen Kraft.

Am Ende dieser Passage dann eine weitere manipulative Verschiebung: aus dem israelisch-arabischen Konflikt wird der “Israel-Palästina-Konflikt”, fast 30 Jahre vor den Verträgen von Oslo, die auch nicht zwischen dem Staat Israel und dem Staat Palästina (die gibt es ja bis heute nicht), sondern zwischen Israel und der PLO geschlossen worden waren, und in Teilen gar aus Briefen von Rabin bzw. Arafat an den US-Präsidenten Bill Clinton bestanden. Durch Oslo entstand nicht “Palästina”, sondern nur die Palästinensische Autonomiebehörde. Dass sich daran bis heute nichts geändert hat, ist eines der Probleme, die einer Konfliktlösung abträglich sind: es fehlen die staatlichen Strukturen, die es erlauben würden, Oslo in allen Teilen zu vollziehen. Das alles blendet der Film geflissentlich aus, als würde es den Zuschauer bloss verwirren.

Der wertvollste Teil der Dokumentation ist die Darstellung der Freundschaft zwischen den Mitbegründern der Bewegung “Combatants for Peace”, dem Araber Bassam Aramin und dem Juden Rami Elhanan. Aramin sass für 7 Jahre im Gefängnis für Anschläge, die sich von Steine- zum Granatenwerfen “emanzipierten”. Elhanan hat als israelischer Soldat im Yom Kippur Krieg von 1973 gedient. Beide verbinden familiäre Tragödien: Elhanans Tochter wurde Opfer eines Selbstmordattentäters in Jerusalem, während Aramins Tochter ca. 10 Jahre später durch die Kugel eines israelischen Soldaten starb. Nur einem in der Region bewanderten Zuhörer erschesst es sich, dass Elhanan Schwiegersohn des radikalen Ex-Generals Matti Peled ist, während es im ganzen Film offen bleibt, inwieweit Aramin wirklich geläutert ist resp. überhaupt zu seiner Schuld stehen kann.

Und so bleibt am Ende des Films dieselbe ambivalente Haltung, welche schon den Tenor zu unserer vorangehenden Kritik am Sender Phoenix stand. Im Abspann liest man, der Film wäre aus 2022. es fällt jedoch auf, dass in den fast 50 Minuten kaum ein Ereignis Eingang gefunden hat, der jünger als 2017 wäre. Damit büsst der Streifen deutlich an Aussagekraft ein, die Welt hat sich weiter gedreht seitdem!

Hier ein vergleichendes Skript der ursprünglichen sowie der überarbeiteten Fassung der Dokumentation, versehen mit Anmerkungen der Redaktion. Die aktuelle Fassung der Dokumentation selbst ist noch bis zum 22. September in der ARD-Mediathek verfügbar, am besten über den Suchbegriff “Mauern der Welt”.

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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