Anthony Blinken in Israel

US-Aussenminister Anthony Blinken zu Gesprächen bei Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Vertrauen und Freundschaft sehen anders aus! (Photo credit: imago / UPI Debbie Hill)

Letzte Aktualisierung am 1. Februar 2023 durch Thomas Morvay

Jerusalem – Der Besuch des US-Aussenministers offenbart die tiefen Verwerfungen zwischen den beiden traditionell eng verbundenen Partner. Schon in den vergangenen Wochen wurde offenbar, dass mit der Rückkehr Joe Bidens ins Weisse Haus wieder an die unseligen Zeiten Barack Obamas angeknüpft wird. Ein alarmierendes Bild, für Juden in Israel und weltweit. Wie amerikanische Juden weiterhin in der überwiegenden Mehrheit für die Demokraten stimmen können, bleibt ein Rätsel.

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Im Vorfeld des Besuchs veröffentlicht das State Department bereits am 30. Januar ein sog. “Fact Sheet“, das die 75-jährige Partnerschaft zwischen beiden Ländern in den Mittelpunkt stellt. Das ist bereits zutiefst unehrlich, weil es insbesondere in den ersten beiden Jahrzehnten diese Partnerschaft überhaupt nicht gegeben hatte. Und, auch wenn unter dem Titel Sicherheitsassistenz das im letzten Jahr der Obama-Präsidentschaft unterzeichnete “Memorandum of Understanding” über militärische Mittelbeschaffung von USD 38 Mio. prominent herausgestrichen wird, unterschlägt das Dokument, wie die Vereinigten Staaten zur selben Zeit – Dezember 2016, bei der Abstimmung über die Resolution 2334 – Israel im UNO-Sicherheitsrat “unter den Bus” geworfen haben, indem auf Geheiss des damaligen Aussenministers John Kerry kein Veto einlegten. Eine Resolution, welche beispielsweise die israelische Präsenz im Ostteil Jerusalems zum Teil der “Besatzung” degradiert. Ebenfalls kein Wort davon, dass in den ersten sechs Monaten der Biden-Präsidentschaft das Aussenministerium sich weigerte die Bezeichnung “Abraham Accords” überhaupt zu erwähnen. Dass neu ins Leben gerufene “Negev-Forum” verdient im Fact Sheet nur Erwähnung, weil sie angeblich die palästinensische Wirtschaft befördert und das Festhalten der Biden-Administration an der verhandelten Zwei-Staaten-Lösung beiträgt.

Kaum in Israel eingetroffen, am vergangenen Montagmittag, spricht Tony Blinken den Opfern der Terroranschläge der Vorwoche sein Mitgefühl aus. Im gleichen Atemzug verurteilt er klar, dass die Anschläge, und damit die toten Juden, gefeiert werden, dass zu noch mehr Anschlägen und Vergeltung gegen Zivilisten aufgerufen wird. Dass hierbei die Urheberschaft der Täter mit keiner Silbe benannt wird – in beiden Fällen palästinensische Araber aus dem Ostteil der Hauptstadt Jerusalem, einer von ihnen ein 13-jähriger Jugendlicher, ein Produkt der unablässigen, systematischen Indoktrination – passt ins Bild. Denn auch Blinken ermahnt “alle Seiten” zur Besonnenheit und verantwortungvollem Verhalten, damit eine moralische Äquivalenz schaffend, zwischen den feigen Anschlägen gegenüber Zivilisten und den solchen Terror bekämpfenden Einsätzen gegen die Urheber, in den sog. Flüchtlingslagern der palästinensischen Autonomiegebiete. Dass dies Israels Ruf weltweit beschädigt, und damit ihren Feinden in die Hände spielt, scheint das US-Aussenminister unter Tony Blinken zumindest billigend in Kauf zu nehmen!

Trauriger Tiefpunkt des ersten Tages ist der Auftritt Blinkens nach dem Treffen mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vor der Presse. Allein die Körpersprache des US-Aussenministers spricht Bände. Seine Mine ist versteinert, auch wie er während der, im Bemühen um das Herausstreichen von Gemeinsamkeiten sprechenden Gastgebers, diesen wie ein Lehrer fixiert, der sichergehen will, dass der Zögling die Punkte auflistet, um die es dem Ersteren geht.

Your visit is another expression, a continual expression, of the unbreakable bond between Israel and the United States. It’s one of the great alliances of modern history. We share common interests, which are growing by the day. We share common values; two strong democracies which will remain, I assure you, two strong democracies.

This alliance is something that President Biden is committed to. I’ve known him for 40 years. He’s a true friend of Israel, a true champion of this alliance, as are you. I’m not sure that all of Israel know your own contribution in helping us with missile defense in times of peril. You’ve actually helped us during one crisis in record time and then did so again; and you’ve also just helped us push back on the attempts to delegitimize Israel in the United Nations. And we’re grateful for that and for your continual friendship.

Presseerklärung nach dem Treffen Blinken-Netanjahu, am 30. Januar 2023

Geradezu beschwörend muten die Worte Netanjahus an, mit denen er seinen Gast abschliessend nochmals willkommen heisst. Klar ist, für den Israeli sind die von ihm – mit Hilfe der Vorgängerregierung in Washington – eingefädelten Abkommen mit arabischen Staaten ein Mittel, das die palästinensischen Araber dazu bringen wird, ihre Ablehnung des jüdischen Staates aufzuugeben.

I have to tell you that I also believe that expanding the circle of peace – working to close, finally, the file of the Arab-Israeli conflict – I think would also help us achieve a workable solution with our Palestinian neighbors. And for all these reasons, I welcome you once again to Jerusalem. Welcome.

Presseerklärung nach dem Treffen Blinken-Netanjahu, am 30. Januar 2023

Schon der erste Satz in Blinkens Antwort ist darauf angelegt, Dissonanzen herauszustreichen. Ist dies gewollt, oder ist dem Aussenminister nicht bewusst, welche Akzente er damit setzt? Wie immer, seien es “sehr ehrliche” Gespräche gewesen – in der Sprache der Diplomaten ist diese Formulierung stets Platzhalter für Differenzen, bis hin zu offenem Streit!

Prime Minister, thank you very much. It’s very good to see you, and I want to thank you for what has been, as always, a very productive, very candid, and I think important discussion that covered a lot of issues.

Presseerklärung nach dem Treffen Blinken-Netanjahu, am 30. Januar 2023

Interessant zu hören, dass der Demokrat Blinken ausgerechnet die Madrider Konferenz von 1991, seines Republikaner-Vorgängers James Baker, ins Gespräch bringt. Interessant deshalb, weil er dies im Kontext des “Negev-Forums” tut. Dieses Produkt, das Ergebnis des Bemühens unter Präsident Joe Biden, an die Erfolge der Abraham Vereinbarungen mit fünf arabischen Staaten anzuknüpfen, hat nichts mit den Palästinensern zu tun. “Madrid 1991” hingegen, war das erste Tereffen zwischen Israel und der PLO, deren Delegation Teil der jordanischen Repräsentanz gewesen war. Wird hier angedeutet, in welche Richtung die Anstrengungen Blinkens gehen? Vielleicht eine erneute internationale Konferenz mit Beteiligung der Autonomiebehörde PA? Aus israelischer Sicht, das wird Netanjahu unmissverständlich klar gemacht haben, gibt es keine Gründe dafür, Abbas’ PLO und ihr feindseliges, sehr öffentlich gestaltetes Verhalten in internationalen Gremien – der UNO oder dem Gerichtshof in Den Haag – mit dem Rampenlicht einer grossen Konferenz zu belohnen.

Now, one of the most effective ways to make Israel more secure is to continue to build bridges in the region and even well beyond the region. That’s why we’ve worked relentlessly to deepen and broaden the Abraham Accords and other normalization agreements between Israel and Arab states. Earlier this month, a large delegation from across the United States Government joined representatives from Israel, from Bahrain, from Egypt, from Morocco, from the United Arab Emirates in Abu Dhabi for the first meeting of the Negev Forum Working Groups. This was the largest gathering of Israel and Arab officials since the 1991 Madrid Conference.

Presseerklärung nach dem Treffen Blinken-Netanjahu, am 30. Januar 2023

Für den US-Aussenminister ist allerdings klar, Anerkennung durch und Aussöhnung mit der arabischen Welt sind kein Ersatz zur Lösung des Konflits mit den palästinensischen Arabern. Blinken gibt damit seinem Gastgeber eine Antwort, den dieser in seiner Autobiografie “Bibi” im vergangenen Jahr dargelegt hat. Aus der Sicht Netanjahus ist es eine Konstante in der Strategie amerikanischer Administrationen, dass Fortschritte mit den Palästinensern ohne Probleme erreichbar wären, wenn nur Israel genügend kompromissbereit sei. Während mit dieser Begründung das amerikanische Festhalten an einer Zwei-Staaten-Lösung gerechtfertigt wird, ist für Israel – nicht nur unter Netanjahus Anhänger – mittlerweile nicht einmal klar, ob Abbas’ Ziel ein Staat “Seite an Seite mit” einem jüdischen und demokratischen Israel ist, oder anstelle dessen!

“Jüdisch und demokratisch” – dies ist das Stichwort für die vielleicht verblüffendste, andere würden sagen, unverschämteste Haltung der USA unter Biden: die belehrenden Worte an die Adresse Israels, was Demokratie ist:

The commitment of people in both our countries to make their voices heard, to defend their rights, is one of the unique strengths of our democracies. Another is a recognition that building consensus for new proposals is the most effective way to ensure they’re embraced and that they endure. Our fellow democracies can also make us stronger. That’s what the United States and Israel have done for each other over many decades, by holding ourselves to the mutual standards we’ve established; and by speaking frankly and respectfully, as friends do, when we agree and when we do not.

Presseerklärung nach dem Treffen Blinken-Netanjahu, am 30. Januar 2023

Es ist bezeichnend, dass bei diesem gemeinsamen Auftrtitt vor der Presse, keine Fragen der anwesenden Journalisten zugelassen waren. Und es fällt weiter auf, dass es einzig nach dem Treffen mit dem Premierminister ein gemeinsamer Auftritt vor der Presse stattfand. Überall sonst veröffentlichte man nur die Äusserungen von Blinken und die Worte zur Begrüssung vor den Treffen durch die jeweiligen Gastgeber – des Aussenministers Cohen, des Verteidigungsministers Gallant, der Treffen mit Vertretern der “Zivilgesellschaften in Israel und in der Nähe von Ramallah. Es gab, darüber hinaus, “Readouts” der Teffen mit dem israelischen Präsidenten Herzog und dem Anführer der Opposition Lapid. Man kann nur spekulieren, was die Absicht ist, jenseits der offensichtlichen Schlussfolgerung, dass es darum geht, die Deutungshoheit nicht aus der Hand zu geben. Sollte wirklich der Eindruck zementiert werden, dass es keine gemeinsamen Positionen zwischen Israels gegenwärtiger Regierung und der Biden-Administration gibt, welche man erörtert hat und die es gemeinsam zu vertreten gilt? Es wäre tragisch! In der Diplomatie, wo Dramaturgie und Choreographie mindestens so wichtig sind wie die gesprochenen Worte, sind es oft solche “Kleinigkeiten”, die deutlich zum Ausdruck bringen, wie es um die “Chemie” zwischen Ländern und Regierungen bestellt ist.

Der israelische Aussenminister Eli Cohen sparte eingangs nicht mit Lob für den Gast:

My friend, Secretary of State Tony Blinken, welcome to Jerusalem, the eternal capital of the state of Israel. I’m very pleased to host a true friend of Israel.

Presseerklärung des US-Aussenministeriums, 30. Januar 2023

Blinken erwiderte dies mit:

Thank you. Foreign Minister Cohen, thank you very much for those warm words, for hosting us today, for the conversations that we’re about to have.

Presseerklärung des US-Aussenministeriums, 30. Januar 2023

Vielleicht war es die militärische Etikette, die den israelischen Verteidigungsminister Gallant hinderte, den US-Aussenminister mit Namen anzusprechen. Allenfalls war es auch der relativen Unerfahrenheit des Gastgebers auf der internationalen diplomatischen Bühne geschuldet.

Mr. Secretary, thank you for coming. You are a true friend of Israel. Your visit comes at a critical time. It sends a clear message to the region: The United States and Israel are united facing Iran or anyone threaten peace and stability in the region. I look forward to our discussion [..], sir.

Presseerklärung des US-Aussenministeriums, 30. Januar 2023

Entsprechend unverbindlich fiel die Antwort aus – von Wärme auch hier wenig spürbar:

Thank you, Mr. Minister. It’s very good to be with you this morning. I really couldn’t say it any better. We are united. Our commitment to Israel’s security remains and will remain ironclad. I really appreciate this opportunity to exchange some ideas, some thoughts with the defense minister.

Presseerklärung des US-Aussenministeriums, 30. Januar 2023

Die einzige Pressekonferenz, im ursprünglichen Sinne des Wortes, als Frage-und-Antwort Spiel, fand bei diesem Besuch erst ganz am Ende statt, nach Blinkens Rückkehr aus Ramallah und kurz vor seinem Rückflug nach Washington. Sehr medienwirksam, liess Blinken die Journalisten ganze 2 Stunden und 4 Minuten warten, bevor er vor sie trat, um ungestört durch Vertreter seiner Gastgeber ein Resümée zu ziehen! Im Hintergrund waren vier US-Flaggen drapiert, im Jerusalemer Waldorf Astoria Hotel.

Charakteristisch für seine Zusammenfassung, mit welcher Kühnheit und vielleicht, mit welcher Verwegenheit, Blinken zu Werke geht! Chutzpe umschreibt es bloss annähernd, dass hier der US-Aussenminister vor die Weltöffentlichkeit tritt, um oberlehrerhaft seinen Gastgebern eine Lektion in Demokratieverständnis zu predigen. Welche Naivität sodann, die israelische und die palästinensische Zivilgesellschaft auf eine Ebene zu stellen, oder auch bloss, ihnen vergleichbare Bedeutungen zuzumessen. Und um zu verkünden, dass die Regierung in Washington den Palästinensern schon wieder fast USD 1 Milliarde in den Rachen gestopft hat. Als gelte es nachzuholen, was die Vorgängerregierung “versäumt” hatte. Und ohne eine Silbe darüber darüber, ob und was sie als Gegenleistung resp. Entgegenkommen erwarten, vielleicht gar einfordert!

Finally, the United States will continue to deepen our bonds here with partners outside of government. Today I had the opportunity to spend time with Palestinian and Palestinian American civil society leaders, entrepreneurs, business owners in Deir Dibwan who shared the vital work they are doing to improve the lives of their communities. And I started my day by hearing from a group of young Israeli leaders, Jews and Arabs, who are doing inspiring and critical work, from advancing LGBTQ rights and the rights of people with disabilities to building trust and ties between communities.
These meetings were a reminder that the civil society in both of our countries plays an indispensable role – an indispensable role in defending and strengthening the rights of – and principles at the heart of a free and open society, and helping people tackle some of their most pressing challenges. It’s a reminder of how citizens are willing to continue to engage, to hold their leaders accountable, and to keep working to create the world that they and their communities want. They can count on the United States in a partner in all of those endeavors.

Pressekonferenz des US-Aussenministers Anthony Blinken, am 31. Januar 2023

We will also support all efforts to move us closer to peace, expand the horizon of hope, advance equal rights and opportunities for Palestinians and Israelis. That includes building on the efforts that we’ve made over the past two years to improve the lives of the Palestinian people in concrete ways.
We bolstered our assistance to the United Nations Relief and Works Agency for Palestinian refugees, UNRWA, including approximately $50 million in new funding that I announced today in Ramallah, enabling the provision of essential services like food, vaccines, education, as well as vital aid for refugees. That brings U.S. total funding for Palestinians over the last two years to nearly $940 million. We’re supporting quality health care through the East Jerusalem Hospital Network, and we’re making real progress toward implementing an agreement to provide a 4G network in the Palestinian territories.

Pressekonferenz des US-Aussenministers Anthony Blinken, am 31. Januar 2023

Handverlesen waren die fragenden Journalisten, zwei von den US-Medien, eine israelische und eine palästinensisch-arabische Vertreterin vom jeweiligen Fernsehen. Das ist so üblich, und dennoch – man muss es leider so sagen, auch angesichts der Erfahrungen aus der letzten US-Administration – überraschend kalt. Ihre Fragen entsprachen der jeweiligen politischen Färbung und die Antworten brachten nicht substantiell neue Erkenntnisse.

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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