Fehlentscheidungen und die verschobene Optik

Protest in Polen: Damian Sobol, ein Mitarbeiter von World Central Kitchen, und einer der Opfer beim fehlgeleiteten Angriff auf ein Hilfskonvoi am 5. April 2024 (Lizenz: imago / ZUMA; Copyright: Beata Zawrzel)

Letzte Aktualisierung am 7. April 2024 durch Thomas Morvay

Auf den Tag genau vor sechs Monaten überfielen Terroristen der Hamas relativ grossflächig den Süden Israels. Sie zogen mordend, vergewaltigend – eben Terror verbreitend – durch die Strassen und Dörfer. Es wurde das schlimmste Pogrom seit dem Holocaust, nicht nur in der Sichtweise vieler Juden. Vor Wochenfrist griff die israelische Armee ein Konvoi von Hilfslieferungen im Gazastreifen an, sieben Mitarbeiter einer NGO, mit denen Israel gut zusammenarbeitet, wurden Opfer in dieser Episode im Kampf gegen Terror. Eine falsche Entscheidung, die aber aktuell mindestens so viel aufwirbelt. Und die leider die schlimmsten Elemente des Terrors verdeutlicht.

Der feige Angriff, im christlichen Kalender, wohl nicht zufällig, auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Beginn des Jom Kippur-Krieges, sollte nach Einschätzung mancher Beobachter der Region – und ganz gewiss von der Führung der Mörderbande so beabsichtigt – einen Flächenbrand auslösen, der die gesamte Region mit Mord und Verwüstung überzieht. Angesichts der mehr als eintausend Toten war das Entsetzen weltweit riesig. Zumindest, und auch das ist ein -leider – allzu vertrauter Ablauf, bis Israel die zwingend notwendig erscheinende militärische Antwort zu geben begann. Dann verstummten nach und nach – auch das ein nach dem inzwischen vertrauten Drehbuch ablaufenden Reaktionen – die Solidaritäts-Bekundungen mit dem jüdischen Staat und machten Platz für die ewig gleichbleibenden Kritiken. Eben, der Reaktion auf ein beispielloses Massaker, verübt von nicht-staatlichen, und daher schwer fassbaren, Akteuren.

In gewisser Weise vergleichbar die Asymmetrie der jüngsten Episode im Kampf gegen den Terror. Eine der technisch am besten gerüsteten Armeen der Welt, die Israelischen Verteidigungs-Streitkräfte, dachten eine in einem Hilfkonvoi sich versteckende Terroreinheit auszuschalten. Doch ihre Drohnen trafen 7 unschuldige Zivilisten eines Hilfswerks, mit dem Israel seit Jahr und Tag erfolgreich zusammenarbeitet: World Central Kitchen. Israel hat praktisch vom ersten Augenblick an die fatale Fehleinschätzung eingestanden, versprach Aufklärung und begann mit der Untersuchung der Prozesse und Vorgänge, welche zur Tragödie geführt hatten. Nur: nach einer Woche, und nach Veröffentlichung von ersten Erkenntnissen, dröhnt immer noch einhellig – und auch aus Kreisen, die als Verbündete oder gar Freunde Israels gelten – die Kritik an der Tat. Die begonnene Aufarbeitung, die daraus sich ergebenden ersten konkreten Konsequenzen, transparent und bis zur Selbstverleugnung: sie wird als eine Selbstverständlichkeit betrachtet und entsprechend ignoriert. Während die Kritik am konkreten Vorfall, so gerechtfertigt sie auch sein mag, in Brüssel, in Berlin und in Washington, das wichtigere Schlaglicht, der entscheidendere Fokus zu sein scheint.

Kaum jemand spricht noch von den geschätzten 135 Verschleppten, Mädchen und Frauen, Babies, Kinder und alten Menschen. Oder auch nur von den entführten und gefangen gehaltenen israelischen Soldatinnen und Soldaten. Gelegentlich, wie heute Morgen, wird ein in Gefangenschaft ermordetes Opfer, das die israelische Armee aus einem wohl namenlosen Grab hat ausbuddeln müssen, durch die Medien geschleift. Der Leichnam wird nach Israel gebracht, wo es ein würdiges, dem jüdischem Ritus folgendes Begräbnis erhält, damit die Angehörigen in geeigneter Weise trauern können. “Niemand wird zurückgelassen” – ein Dogma der IDF und der Bürger Israels – hier wird es konkret gelebt! Doch die Welt hat diese Menschen längst vergessen, das ist die schlichte Wahrheit!

Der Krieg gegen den Terror hat sieben unschuldige Opfer gefordert. Ein geradezu groteskes Detail dazu: unter ihnen ist auch ein Bürger Polens. Jenes Staates, auf dessen Boden die grösste Mordmaschine der Nazis, Auschwitz errichtet wurde. Jenes Staates, der bis heute, und ganz besonders heute, noch immer darauf beharrt, dass nicht sie sondern die Deutschen/die Nazis (der Name wird austauschbar, je nach politischer Absicht, verwendet) sich schuldig gemacht haben. Polen hat die Opfer der Barbarei bis heute nicht entschädigt. Das auf die Befreiung von der Nazi-Herrschaft folgende kommunistische System hat nie auch nur einen Zloty an die Opfer bezahlt, im Gegenteil. Der polnische Staat erpresste die sie durchfütternden Geldgeber – allen voran das damalige Westdeutschland – in den 1980er Jahren mehrfach, noch mehr Geld zu geben, nur damit sie Zinsen auf die bisherigen Kredite bezahlen kann! Um es klar zu sagen: Polen hat das Recht, Kritik an Israel zu üben längst verwirkt. Ein wenig Demut stünde ihm deutlich besser an, als die degoutante “Kritik”, die sie übt! Und wofür: wohl für noch mehr Geld, von den Nachfahren derer, die sie ermordet haben?

Und, was ganz besonders schmerzt: der U.S.-Präsident, der sich im November zur Wiederwahl stellen will, und der sich stets gerühmt hat, im Senat ein verlässlicher Partner und Fürsprecher des jüdischen Staates zu sein, wird nicht müde, den Vorfall – wohl für ein paar Wählerstimmen – im Rampenlicht zu belassen. In dasselbe Horn blasen etliche Parlamentarier, die im Herbst wohl ebenfalls wiedergewählt werden sollen. Und – darüber wird noch immer bloss unter vorgehaltener Hand geredet – die jener wachsender Zahl an israelkritischen Stimmen in der eigenen Partei nicht Eihalt gebieten können, welche letztlich dann doch irgendwann die “jüdische Stimme” kosten können. Auch wenn die Mehrheit der amerikanischen Juden in, an Masochismus nicht zu übertreffende, Festklammerung der Demokraten nicht aufzugeben bereit sind!

Was meiner Generation besonders sauer aufstösst: wer von diesen “Vorzeige”-Demokraten hat jemals auch nur auf eine Zielscheibe geschossen? Biden nicht, und auch Scholz nicht – beide haben den Dienst an der Waffe verweigert, Biden hat bezeichnenderweise auch nie gegen den Vietnamkrieg protestiert, er hat die Zeit einfach ausgesessen! Für mich gilt daher: sie sollen gefälligst die Klappe halten. In Israel herrscht noch immmer Dienstpflicht, sogar mit entsprechenden Alternativen für den Dienst mit der Waffe! Israelis kämpfen auch für ihre Freiheit: von Krieg und vom Terror – was eigentlich ein und dasselbe ist!

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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