phoenix – wirklich das ganze Bild?

Luftaufnahme in der Negev-Wüste, unweit von Beer Sheba Photo credit imago/Xinhua Gil Cohen Magen

Letzte Aktualisierung am 24. April 2022 durch Thomas Morvay

Jerusalem/Israel – Sehr wahrscheinlich ist es Zufall, diese Häufung von Dokumentationen zu Israel, gerade jetzt, wo innerhalb weniger Wochen 14 Menschen zu Opfern palästinensisch-arabischen Terrors wurden. Aktuell fällt auf – aber eigentlich ist dies ein trauriger Dauerbrenner geworden – wie verzerrt und einseitig berichtet wird. Wir setzen daher heute die Serie der Beiträge über das Bild Israels in den deutschsprachigen Medien fort, mit einem Beitrag zu einem aktuellen Film in der Reihe “mein ausland” des Senders phoenix.

In der Reihe “mein ausland” präsentieren Korrespondenten der beiden öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF über “ihre Länder”: Nach der Beschreibung des Senders selbst geht es um “Eindrücke, Erlebnisse und Besonderheiten”. Die Reihe soll die “Vielfalt der Kontinente und Länder” beleuchten, aus der Perspektive des aussenstehenden Beobachters vor Ort, und hat den Anspruch, zu “helfen, die politischen Ereignisse und Krisen in der Welt besser zu verstehen”. Am Samstag, zur frühen Stunde, wurde unter dem Titel “Ausgegrenzt: Israel und seine arabischen Bürger”, ein Reportage von Michael Bewerunge, Studioleiter des ZDF in Israel ausgestrahlt. Wir analysieren den Film, der in der Mediathek von phoenix und ZDF einsehbar ist.

Der Auftakt setzt den Ton für die gesamte Dokumentation: zwei Rapper, ein jüdischer und ein arabischer Israeli, werfen sich jene Gehässigkeiten an den Kopf, der den Diskurs zwischen den zwei Bevölkerungsgruppen in den letzten Jahren prägte. Und der als Erklärungsansatz dafür genommen wird, dass es im vergangenen Jahr, um die Zeit des letzten Gaza-Konflikts, zu bürgerkriegsähnlichen Scharmützeln in Israel gekommen war. Die beiden Musiker hatten damit einen Nerv getroffen, sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Insofern ist die Dokumentation dem Anspruch der Sendereihe absolut gerecht geworden.

Doch anschliessend geht einiges schief. Die erste Zeugin für die Ausgrenzung der arabischen Israelis lebt in einem Ort, unweit der Demarkationslinie des Unabhängigkeitskrieges – und eben gerade nicht in den für die Koexistenz bekannten Orten, ie Lod, Ramle oder Haifa. Ausgerechnet eine trauernde Mutter, die ihren Sohn im Zuge der massiven Clan-Kriminalität unter Arabern verloren hat, und die die israelische Polizei für seinen Tod verantwortlich macht, von der der Film selbst sagt, sie sei im Grunde “angekommen”, weil sie einen kleinen Supermarkt im Ort führt und es so zum moderaten Wohlstand gebracht hat. Und die Reportage bestärkt die Auffassung der Mutter für die Zuschauer, indem sie eine Aktivistin der ehemals staatstragenden Gewerkschaft Histadrut dieselben Vorwürfe in die Kamera wiederholen lässt., bevor sie das “Feigenblatt” der Stellungnahme eines israelischen Polizeichefs präsentiert, der überhaupt die Clans in den Diskurs einführt. Nicht überzeugend.

Der nächste Zeuge der Ausgrenzung: ein arabischer Israeli in Akko, verheiratet mit einer Palästinenserin aus Jenin. Die ganze Familie, so präsentiert uns der Film die Lage, lebt von Jahr zu Jahr in der Unsicherheit, dass die Frau in die umstrittenen Gebiete zurückgeschickt wird. Schuld ist ein Gesetz, das seit 2003 den Erwerb der Staatsbürgerschaft für einen nicht-jüdische Partners eines Israeli ausdrücklich verbietet. Zwei Dinge allerdings, verschweigt die Dokumentation dem Zuschauer: den Hintergrund des im Grunde seit 1952 bestehenden Gesetzes, das auf dem Höhepunkt der Zweiten Intifada um diese Bestimmung erweitert wurde; und die nicht unwesentliche Tatsache, dass die beiden erst nach Einführung der Bestimmung, und somit im Wissen um ihre präkere Situation, geheiratet haben. Um der Geschichte eine noch mehr verfälschende Bedeutung zu geben, wird im Bericht sodann eine mehr als zweifach überhöhte Ansahl ähnlich gelagerten Fälle präsentiert: es sind gerade mal etwa 13’000 Paare – unter den rund 2 Mio. arabischen Israeli – betroffen. Für jede der Betroffenen eine unbequeme Situation, aber kein massiver Rassismus oder Ausgrenzung einer Minderheit, wie man uns weismachen will. Der Ehemann der Frau, ein seit seiner Studentenzeit als Politaktivist tätiger arabischer Israeli, von dem eventuell auch sagen liesse, er sei eh “auf Krawall gebürstet”.

Auch der nächste Protagonist ist Akademiker, ein Arzt. Er stammt angeblich aus einer illegalen Siedlung der Negev-Beduinen. Die Dokumentation stellt es so dar, dass diese Menschen unter ständigen Schikanen der Behörden im Elend gehalten werden. Unterschlagen wird jedoch, dass sich israelische Regierungen seit mehr als einem Jahrzehnt darum bemühen, den Menschen Alternativen anzubieten, dass das Gespräch mit ihnen jedoch schwierig ist, weil sich diese Menschen im Grunde nicht in die staatliche Ordnung einfügen wollen. Ebenso wenig erfährt der Zuhörer davon, dass der Grossteil der Beduinen – übrigens israelische Staatsbürger mit allen Rechten, seit der Staatsgründung – sich wertvoll in die Gesellschaft eingebracht haben, darunter viele in der israelischen Armee. Und dass sie, etwa seit Beginn dieses Jahrhunderts, gezielt durch islamische Extremisten unterwandert werden, was die Sicherheitorgane mit Argwohn beobachten. Und dass dies ein sehr starkes Motiv darstellt, weswegen sich die Regierung um so stärker um die Integration auch des illegal lebenden Teils der Beduinen bemüht.

Unbefriedigend, wie undifferenziert die Dokumentation die Belange arabischer Israeli mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete und der palästinesischen Extremisten in Gaza vermischt. Der Film findet leider nicht die richtige Balance, und so entsteht beim Zuschauer unweigerlich der Eindruck, all diese ausgegrenzten Menschen wollten eigentlich gar nicht in Israel leben. Die Filmemacher tun damit nicht nur den allermeisten dieser Leute unrecht, sie stellen sogar die beiden Rapper, die doch für etwas Positives stehen sollten, in den Regen! Beispielsweise dadurch, indem zu keiner Zeit im Film gesagt wird, dass die überwiegende Zahl israelischer Araber es sich nicht vorstellen können, in einem anderen Staat als in Israel zu leben. Anstatt dessen wird mit Schlagworten wie Ausgrenzung und Rassismus Stimmung gegen Israel gemacht. Unterschwellig wird damit suggeriert, die heutigen Israeli seien die neuen Nazis! Ausgerechnet in Deutschland!

Nachfolgend die detaillierte Analyse der Dokumentation, anhand eines von uns erstellten Skripts. Es wird empfohlen, das Dokument im Vollbildmodus zu betrachten. (Hinweis: mit ESC gelangen Sie wieder zum Beitrag zurück)

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Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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