Deutschland und Israel – Anschauungsunterricht im Deutschen Bundestag

Der aussenpolitische Sprecher der CDU, Jürgen Hardt, anlässlich der aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag zur "Lage in Israel und den Palästinensischen Gebieten", am 21.03.2024 (Lizenz: imago; Copyright: Bernd Elmenthaler)

Letzte Aktualisierung am 22. März 2024 durch Thomas Morvay

Wenn es um das besondere Verhältnis der Bundesrepublik zum jüdischen Staat geht, ist man sich ja einiges gewohnt: die Sonntagsreden in Erinnerung an die Schoa, das inzwischen stereotyp wiederholte Bemühen, die “besondere Verantwortung” für Israels Existenzrecht und Sicherheit herunter zu deklinieren. Man sitzt gebannt vor dem TV-Gerät und hört mit geballter Faust zu – und ja, mitunter brüllt man das Gerät an, resp. die Redner, die einmal mehr einen Oscar-würdigen politischen Eiertanz aufführen.

Auf Antrag der Regierungskoalition debattierte der Bundestag gestern Nachmittag, in einer sog. “Aktuellen Stunde” über die “Lage in Israel und den Palästinensischen Gebieten”. Da waren sie wieder alle, die echten und die vermeintlichen Freunde Israels, der “Ja, aber”-Club. Weil es doch “unter Freunden” möglich sein muss, “klare Worte” zu finden. Man fühlt sich unweigerlich an Golda Meïr erinnert, die es sich im Nachgang zum Jom Kippur-Krieg und dem ersten Ölpreisschock nicht hat nehmen lassen zu überprüfen, ob die europäischen “Freunde” ihr noch ohne Schamesröte im Gesicht in die Augen schauen können: Willy Brandt, Bruno Kreisky, Olof Palme, diese Titanen des Judenhasses – pardon, linker Israelkritik natürlich!

Eine erdrückende und ernüchternde Mehrheit der Voten war wie erwartet: das Wort “Zeitenwende” haben sie nur deswegen nicht in den Mund genommen, weil der schon anderweitig besetzt ist.

Die menschenverachtenden Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober markieren eine
Zäsur in der Geschichte des Staates Israels. – Mit rund 1 200 Toten, 240 Geiseln und den vielen Opfern sexualisierter Gewalt war es der tödlichste und gewalttätigste Angriff auf Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Dies hat die Gesamtbevölkerung tief getroffen und traumatisiert, und es hat das Grundvertrauen von Jüdinnen und Juden weltweit erschüttert, in Israel eine sichere Heimat zu haben. Für uns ist klar: Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind nicht verhandelbar.

[…]

Nach über fünf Monaten Krieg im Gazastreifen ist die humanitäre Lage und die Zerstörung vor Ort katastrophal. Über 31 000 Menschen haben ihr Leben verloren. Es wurden mehr Kinder in den ersten vier Monaten getötet als in allen gewaltsamen Konflikten weltweit in den letzten vier Jahren.
Die israelische Regierung ist verpflichtet, mehr für den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung zu tun. Dies hat der Internationale Gerichtshof angemahnt. Bloße Absichtserklärungen reichen nicht aus.

Deborah Düring (Bündnis 90 / Die Grünen) – Plenarprotokoll vom 21.03.2024

Dass sie, als Eröffnungsrednerin in der Debatte, über 5 Minuten benötigte, um auch mal die Freilassung der Geiseln ztu fordern – geschenkt! Dass sie diese erwähnte, unmittelbar bevor sie eine “langfristige” Zwei-Staaten-Lösung zu fordern, überrascht kaum noch.

Der von uns so geachtete CDU-Mann und Militärexperte Johann Wadephul, bringt es genauso lapidar wie einleuchtend auf den Punkt:

Der Nahostkonflikt ist so komplex und dauert so lange an, dass wir in fünf Minuten natürlich nicht diesen Konflikt insgesamt aufarbeiten und über Lösungsmöglichkeiten reden können. Aber wir können und sollten – deswegen danke ich für die Initiative – über die aktuelle Situation reden, die humanitär genau so katastrophal ist, wie Sie, Frau Kollegin Düring, das gerade beschrieben haben: Menschen sterben, Geiseln werden von der Hamas immer noch festgehalten, Kinder leiden in besonderer Art und Weise unter dieser kriegerischen Auseinandersetzung. Diese katastrophale, kaum beschreibbare Situation muss uns alle aufrufen, jeden Tag alles erdenklich Mögliche zu tun, um dieses Leid zu mindern.

[…]

Die Hamas ist für diese Situation in dieser konkreten Lage verantwortlich. Wenn die Hamas sich zurückzöge, den bewaffneten Kampf gegen Israel aufgäbe, wenn die Hamas das Ziel der Vernichtung des Staates Israel aufgeben würde – sie hat ja in ihrer Satzung stehen: „from the river to the sea“; sie will alles als palästinensisch wiederhaben, zurück zu einer Situation vor der Gründung des Staates Israel – und anerkennen würde, dass es einen Staat Israel neben einem palästinensischen Staat gibt, dann wäre eine Lösung für alle erreichbar.

Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) – Plenarprotokoll vom 21.03.2024

Die Hamas als ursächlich für die aktuelle Situation verantwortlich zu machen, ist zwar korrekt, doch sie als einziges Hindernis zu einer “Lösung für alle” zu bezeichnen, greift zu kurz: will man etwa die sog. Autonomiebehörde zur Verwalterin des Gazastreifens machen? Das wäre verheerend!

Ich möchte an der Stelle auch ausdrücklich der Außenministerin Annalena Baerbock für ihren umfänglichen, wiederholten Einsatz in der Region danken. Ich glaube, sie reist demnächst wieder hin. Pendeldiplomatie ist genau die Art von Diplomatie, die wir jetzt brauchen: Gespräche mit den arabischen Nachbarstaaten, die Einfluss auf die Hamas haben, die Einfluss auf die Palästinenser haben, aber natürlich auch Gespräche mit unseren engen israelischen Freunden. Genau so muss Deutschland jetzt Politik machen, um diese Situation zu entflechten.

Wir brauchen aus meiner Sicht relativ schnell eine Lösung, die den Sicherheitsbedenken beider Seiten gerecht wird. Natürlich muss Israel mehr machen, um humanitäre Hilfe und Zugang zu den Palästinensergebieten, auch auf dem Landweg, zu schaffen. Das wird man auf dem Seeweg und durch sogenannte Airdrops insgesamt nicht erreichen. Aber Israel sagt natürlich zu Recht: Dort in Rafah sind nach wie vor vier Hamasbataillone, da ist die gesamte militärische Führung der Hamas. Was soll
mit denen geschehen? – Darauf muss die internationale Gemeinschaft auch eine Antwort geben. Diesen Sicherheitsinteressen Israels müssen wir entsprechen, ansonsten wird man keiner Regierung – Netanjahu hin oder her – in Israel erklären können, dass wir zu einer friedlichen Lösung insgesamt kommen wollen.

Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) – Plenarprotokoll vom 21.03.2024

Seiner Statur gänzlich unwürdig der Einschub, der Seitenhieb auf den amtierenden Regierungschef. Das gehört schlicht nicht hierher, Deutschland muss, wie alle anderen Staaten auch, die jeweilige Regierung als gegeben hinnehmen. Wenn man einmal anfängt, an dieser Maxime herum zu doktern, begibt man sich in ganz gefährliche Fahrwasser, die einer Demokratie unwürdig sind. Als Oppositionspolitiker mag Herr Wadephul zwar sich an seinem eigenen Regierungschef abarbeiten, doch er würde sich vermutlich eine Äusserung aus dem Ausland verbitten!

Nicht anders als bedauerlich muss man die irrgläubigen Ausführungen ausgerechnet eines Vertreters der Liberalen sehen, der den Kampf um ein Versinken in die bundesdeutsche politische Bedeutungslosigkeit damit zu führen versucht, das er die grüne Aussenministerin noch links überholt. Es ist schlicht abwegig zu behaupten, dass das Kabinett sich nicht mit “dem Tag danach” auseinandersetzt, selbst wenn sie dazu aus eigener Kraft nicht in der Lage wäre – was wir so nicht erkennen können – ist es unvorstellbar, dass die Armee, die militärische Führung des Landes, dies nicht einfordern.

Krieg bedeutet Tod und Verzweiflung für alle. Wir diskutieren solche Krisen leider sehr technokratisch. Das
Leid, das entsteht, wird meist in Zahlen gekleidet. Gerade das Schicksal von toten Soldaten, Familien von Geiseln, aber auch vieler unschuldiger Jugendlicher und Kinder darf uns nicht kaltlassen. Aber wie soll es nach diesem Krieg weitergehen? Das Kriegskabinett in Israel beschäftigt sich nur mit dem Krieg und hat diese Frage beiseitegeschoben; aber sie ist wichtig. Aus unserer Sicht ist die Zweistaatenlösung
der einzige Weg, um sowohl die Sicherheit des demokratischen Staates Israel zu garantieren als auch die Schaffung eines demokratischen Staates Palästina zu ermöglichen.

Ulrich Lechte (FDP) – Plenarprotokoll vom 21.03.2024

In Abwesenheit des Kanzlers hatte Aussenministerin Baerbock freies Feld, sich in die Diskussion einzubringen. Sie hat das auf die ihr eigene Art, ein Gemisch aus “Staatsmännlichkeit” und Völkerrechtsexpertin.

Das Leid ist einfach unsäglich; deswegen weckt es so viele Emotionen, auch hier bei uns in Europa: Schmerz, Trauer, Wut, leider zum Teil Hass. Das erlebe ich auch bei all meinen Gesprächen in anderen Teilen der Welt. Dieses Leid stellt uns als Weltgemeinschaft auf eine schwere Probe, weil alle vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte auf dieses Leid schauen. Da ist das Richtig und das Falsch manchmal sehr, sehr schwer zu definieren.

Ja, auch ich tue das. Ich schaue auf diese Situation als Außenministerin eines Staates, der die historische Verantwortung für das schlimmste vorstellbare Verbrechen trägt: die Shoah, die systematische Ermordung von 6 Millionen Menschen, nur weil sie Juden waren, so wie es Eva Szepesi in der Gedenkstunde im Januar hier so eindringlich formuliert hat: nur weil ich Jüdin war.

Für Deutschland ist die Sicherheit Israels nicht verhandelbar.

[…]

Und gleichzeitig – und es ist ein Und, kein Aber – stehen wir zum humanitären Völkerrecht. Auch das ist
eine Lehre aus unserer Geschichte und den ungeheuren Verbrechen der SS und der Wehrmacht. Deswegen mache ich bei all meinen Besuchen und macht der Bundeskanzler bei seinen Besuchen gegenüber der israelischen Regierung klar, dass die Art und Weise, wie die israelische Armee, wie die israelische Regierung sich verteidigen, einen Unterschied macht, weil dies im Rahmen des humanitären Völkerrechts passieren muss, weil auch wir uns aus meiner Sicht der riesengroßen Sorge stellen müssen, wie bei einer möglichen Offensive in Rafah der Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten überhaupt ermöglicht werden kann – wissentlich, was Kollegen hier angesprochen haben: dass die Hamas sich genau dahinter verschanzt –, weil sich 1,5 Millionen Menschen nicht einfach in Luft auflösen können.

Analena Baerbock, Aussenministerin Deutschlands – Plenarprotokoll vom 21.03.2024

Alleine, dass sie in einer Diskussion um das Verhalten der “moralischsten aller Armeen”, was den Israelischen Verteidigung-Streitkräften weltweit bescheinigt wird, die Nazis und ihre Armee auch nur erwähnt, und dies nicht einmal besonders gegensätzlich, ist eine Schande, und wird hoffentlich eine entsprechende Reaktion zeitigen! Dass sich kein Abgeordneter gestern in der Debatte dazu vernehmen liess, ist zugleich ein Armutszeugnis von deutschem Parlamentarismus!

Dass es auch anders geht, zeigte der Redebeitrag des CDU-Aussenpolitikers Jürgen Hardt, den wir hier in der ganzen Länge wiedergeben:

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Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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