Jüdischer Friedhof in Köthen erneut geschändet

Erst wenige Tage zuvor - in der Nacht auf Samstag, dem Tag nach Rosch Haschana - wurde die Aussenmauer des Jüdischen Friedhofs in Chemnitz (Freistaat Sachsen) beschmiert. (Lizenz: imago)

Letzte Aktualisierung am 3. Oktober 2023 durch Thomas Morvay

Bereits im letzten Jahr war der Jüdische Friedhof Ziel eines Anschlags, damals verwüsteten Unbekannte 16 Gräber, indem sie die Grabsteine umstiessen. Wie uns erst jetzt bekannt wurde, kam es während der Hohen Feiertage erneut zu Grabschändungen. Dieses Mal betroffen: an die vierzig Grabstätten. Der Schaden beläuft sich auf mehrere zehntausend Euro.

Köthen liegt im Landkreis Anhalt- Bitterfeld, im Bundesland Sachsen-Anhalt. Bekannt ist die Gemeinde wegen des dortigen Tierparks, das seit dem späten 19. Jahrhundert insbesondere aufgrund der Fasanenzucht sich überregional einen Namen gemacht hat. Zudem wird der Ort auch als Welthauptstadt der Homöopathie bezeichnet, weil dessen Begründer Samuel Hahnemann viele Jahre hier wirkte, und der homöopathische Weltärzteverband hier ihren Sitz hat.

Den Friedhof an der Maxdorfer Strasse gibt es seit 1888, wobei dessen christlicher Teil, mit rund 6‘500 Quadratmetern Fläche, etwa doppelt so gross angelegt ist, wie der zeitgleich begründete jüdische Teil. Die beiden Teile sind aktuell lediglich durch einen Gitterzaun mit verschlossener Porte voneinander abgetrennt. In diesem letzteren ist das neueste Grab jenes von Eheleuten, die 1966 bzw. 1968 verstorben waren. Insgesamt befinden sich rund 160 Grabstätten im Jüdischen Friedhof.

Erste Hinweise auf die Existenz von Juden in Köthen (damals noch Cöthen geschrieben) reichen bis ins späte 14. Jhdt., allerdings lassen sich diese nicht eindeutig belegten. Zudem dürfte es sich, bedingt durch die damaligen Verfolgungen, nicht um eine dauerhaft bestehende Gemeinschaft gehandelt haben. Nachweisbar existierte aber eine kleine, 5 Familien umfassende, jüdische Gemeinde zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges hier, welche mit Schutzbriefen des Fürsten Leopold ausgestattet, in der Ratsrechnung von 1620 erwähnt sind. Einen ersten, kleinen Begräbnisplatz dürften sie um 1777 (im Zeitpunkt der Konstituierung der jüdischen Gemeinde) im „sumpfigen Wiesengelände“ errichtet haben, zudem ist ein rituelles Bad (Mikwe) seit 1706 am Holzmarkt verzeichnet.

Im Jahr der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten lebten zwischen 156 bis 230 jüdische Personen in Köthen. Ihre Zahl ging bis zum Kriegsausbruch auf 56 zurück, ab 1942 lebten keine Juden mehr dort. Bereits in der Pogromnacht wurde die Synagoge vollständig zerstört, von den 37 jüdischen Geschäften im Ort existierten nach 1938 die meisten nicht mehr. Seit 2010 wurden rund vierzi sog. Stolpersteine verlegt.

Um das Wochenende des 16./17. September 2023 liegt der vermutete Tatzeitraum für die Schändung von an die 40 Gräbern, das nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft in Dessau-Rosslau erst am 21. September entdeckt worden ist. Mit den Ermittlungen ist der Polizeiliche Staatsschutz betraut worden. Diese Schändungen folgen auf die vor Jahresfrist begangenen Schändung von 16 Gräbern, damals schon durch umgestossene Grabsteine. Die Täterschaft ist bis heute „unbekannt“, die Polizei sucht Zeugen. Diese Sprachregelung, wenn auch in anderen Zusammenhängen verwendet, dürfte für die Hilflosigkeit, wenn nicht gar den Unwillen zu ermitteln, symptomatisch sein! Wie lange dauert es, bis die Einstellung des Verfahrens, „aus Mangel an Erkenntnissen“ verkündet wird? Alles andere wäre eine grosse Überraschung!

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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