Eindrücklich Präsenz markiert – “Nie Wieder” aber braucht Taten

Letzte Aktualisierung am 3. November 2023 durch Thomas Morvay

Zum Zeichen ihrer Solidarität im Kampf gegen Antisemitismus versammelten sich Menschen am Donnerstagabend, um über ein Dutzend Politikern zu folgen, die ihre sehr persönlichen Worte zum Krieg Israels gegen die Hamas-Terroristen und gegen den auch in der Schweiz aufflammenden Antisemitismus sprachen. Ein eindrückliches Ereignis, umso mehr als es auf eine rein private Initiative von nur vier Menschen basiert. Man darf gespannt sein, wie den Worten auch Taten folgen werden.

Auf dem Münsterhof, mitten in der Stadt Zürich, ist ein Meer von vorwiegend gelben Regenschirmen mit dem Aufdruck “#NeverAgainIsNow”, durchsetzt mit Flaggen des Staates Israel – an Flaggenmasten über den Schirmen zu sehen, wie auch auf den Schultern der Zuschauer darunter. Auf dem Podium lauter namhafte Politiker der kantonalen und nationaler Ebene aus FDP, GLP, SP und SVP, und Kirchenvertreter aus Stadt und Kanton Zürich. Ihre Voten wurden umrahmt vom Verlesen der Namen einiger der Opfer des brutalen Terrorangriffs vom 7. Oktober.

SVP-Nationalrat Alfred Heer – ein grossartiger Unterstützer und ehrlicher Freund Israels – versprach, mit dem Gewicht der jüngsten Wahlergebnisse im Rücken – Solidarität mit dem jüdischen Staat und auch mit den jüdischen Menschen in Stadt und Land. Er tanzte damit zwar aus der Reihe der ansonsten von Parteipolitik freien Voten auf der gut beleuchteten, und damit auch TV-tauglichen, Bühne am Münsterhof. Aber seine Authentizität ist unbestritten, und was er sagt, meint er auch genau so – im Wahlkampf, wie in Interviews, wie auch in Bern. Dazu gehört auch, dass er die im Münsterhof versammelten mit “Erew tov” – hebräisch für Guten Abend – begrüsste und mit dem weit verbreiteten Ausspruch “Am Yisrael Chai” (das Volk Israel lebt) schloss.

FDP-Stadtrat Filippo Leutenegger befand, es dürfe keinesfalls akzeptiert werden, dass Juden sich auf Schweizer Strassen und generell in der Öffentlichkeit unwohl fühlen müssen. Dies, übrigens, ein mehreren Reden gemeinsamer Tenor: er habe den Traum, dass ein jüdischer Mann sich ohne Furcht mit einer Kippa im Niederdorf bewegen können müsse, sagte beispielsweise der Pfarrer des Grossmünsters Christoph Siegrist.

In seiner gewohnt direkten Ansprache erklärte auch der wortgewandte Anwalt und SP-Grande Daniel Jositsch: “wenn Terroristen unschuldige Mewnschen verschleppen und ermorden, ist das krank; […] Antisemitismus ist eine Seuche, gegen die muss man vorgehen – sie hat keinen Platz bei uns.” Und für GLP-Kantonsrätin Chantal Galladé, die – vielleicht für manche überraschend – sich als Nachfahrin einer jüdischen Grossmutter erklärte, Antisemitismus liesse sich nie relativieren. Und ein Vertreter der Botschaft Israels in der Schweiz bekannte auf Englisch, es sei für ihn bis vor Kurzem unvorstellbar gewesen, dass jüdische Menschen in Israel hingemetzelt, gefoltert und verbrannt würden. Es geht damit nicht nur ihm so!

An der rund halbstündigen Veranstaltung wurde mir etwas anderes wieder sehr bewusst. Ich lebe, und ich agiere für mein Judentum stets im Bewusstsein, dass man nie schweigen dürfe: meine Grosseltern wurden in Auschwitz ermordet, und meine Eltern erlitten Traumata, die sie ihr ganzes Leben lang in sich trugen, weil viel zu wenige Menschen ihre Stimme erhoben hatten. Am Münsterhof habe ich erlebt, dass es heute anders sein kann, dass Menschen bereit sind sich hinzustellen und ihre Stimmen zu erheben. Aber, den hehren Worten müssen Taten folgen, die Erklärungen müssen mit tangiblen Inhalten gefüllt werden. Sonst hat man bloss, einmal mehr, tote Juden beweint!

Als ich nach Hause kam, schaltete ich den Fernseher ein, wie immer in den letzten Wochen. Sie interviewten eine Mutter, deren kleine Kinder von der Hamas am 7. Oktober nach Gaza verschleppt wurden. Und plötzlich waren alle die starken Worte, die ich an der Demo gehört hatte, nur noch Makulatur. Denn das, was diese Mutter am TV durchmacht ist, früher oder später, das was uns Juden in der Schweiz auch ereilen könnte. Und ich wünschte, die Menschen am Münsterhof hätten die Worte dieser Mutter gehört. Denn nur darum geht es, das gilt es zu verhindern. Das ist die Bedeutung von “#NeverAgainIsNow”!

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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