Achille Mbembe – in seinen eigenen Worten

Achille Mbembe bei der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises 2015 in der Ludwig-Maximilian-Universität (Photo Credit: Heike Huslage-Koch, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0)

Letzte Aktualisierung am 15. Januar 2021 durch Thomas Morvay

Achille Mbembe geriet in Deutschland jüngst in die Kritik, als er von der streitbaren Intendantin der Ruhrtriennale Stefanie Carp als Gastredner für die Eröffnung der diesjährigen Ver anstaltung eingeladen wurde. Was ist dran, an dieser Kritik? Welche Konsequenzen sinbd jetzt daraus abzuleiten, und für wen?

(Düsseldorf ) – Wie wir seit Neuestem wissen, wird Mbembe diese Rede nicht halten. Nicht weil er, wie im Jahr 2018 die Popgruppe “Young Fathers”, ein-, aus-, und wieder eingeladen wurde, und sich entschloss nicht zu erscheinen. Die Ruhrtriennale 2020 wurde, der Corona-Pandemie sei Dank, abgesagt. Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, der Böses denkt. Dass diese Streichung erst beschlossen wurde, als der Streit längst um diesen “renommierten afrikanischen Historiker [, … ] dem nun in Deutschland Antisemitismus vorgeworfen” wird, wie Die Zeit dieser Tage formulierte, bereits in höchsten Wogen entbrannt war, ist bestimmt Zufall, aus dem niemand eine Wertung herleiten sollte.

Doch wie steht es um diesen Vorwurf des Antisemitismus, was gilt nun? Als Entscheidungshilfe möge Mbembes 2015 geschriebenes Vorwort zu “Apartheid Israel: The Politics of an Analogy” dienen, das im Folgenden wiedergegeben wird:

There is no need to say much more. We have heard it all by now and from all parties.

We all know what is going on – it can’t be “occupied territory” if the land is your own. As a result, everyone else is either an enemy, a “self-hater”, or both. If we have to mask annexation, so be it. In any case, there is no need to take responsibility for the  suffering inflicted on the other party because we have convinced ourselves that the other party does not exist.

Thus thuggishness, jingoism, racist rhetoric, and sectarianism.

Thus every two or three years, an all-out, asymmetrical assault against a population entrapped in an open-air prison.

We each know why they do what they do – the army, the police, the settlers, the pilots of bombing raids, the zealots, and the cohort of international Pharisees and their mandatory righteousness, starting with the United States of America.

We all know what is going on: by any means necessary, they must be purged from the land.

I am willing to bet the following:

In Palestine, it would be hard to find one single person, who has not lost someone – a member of the family, a friend, a close relative, a neighbor.

It would be had to find one single person who is unaware of what “collateral damage” is all about.

It is worse than the South African Bantustans.

To be sure, it is not apartheid, South African style. It is far more lethal. It looks like high-tech Jim-Crow-cum-apartheid.

The refusal of citizenship to those who are not like us. Encirclement. Never enough land taken. It is all a gigantic mess. Rage, resentment, and despair. The melding of strength, victimhood, and a supremacist complex. No wonder even the Europeans are now threatening Israel with sanctions.

Israel is entitled to live in peace. But Israel will be safeguarded only by peace in a confederal arrangement that recognizes reciprocal residency, if not citizenship.

The occupation of Palestine is the biggest moral scandal of our times, one of the most dehumanizing ordeals of the century we have just entered, and the biggest act of cowardice of the last half-century.

And since all they are willing to offer is a fight to the finish, since what they are willing to do is to go all the way – carnage, destruction, incremental extermination – the time has come for global isolation.

Quelle: Apartheid Israel: The Politics of an Analogy, Haymarket Books Copyright 2015 / ISBN: 978-1-60846-517-7

In der, auch von der deutschen Bundesregierung angewandten Definition des Antisemitismus der “International Holocaust Remebrance Alliance” (IHRA) heisst es u.a.:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“

Es geht längst nicht mehr nur um Achille Mbembe, oder um seine abgesagte Rede. Unter dieser Prämisse ist es nur schwer verständlich, dass das Buch noch hierzulande vertrieben werden darf. Es ist nur schwer nachvollziehbar, dass diesem Menschen im selben Jahr der renommierte Geschwister-Scholl-Preis in München verliehen worden ist, und noch immer nicht aberkannt wurde. Es ist schlicht ein Hohn, dass ihm im Jahr 2018 der Gerda-Henkel-Preis verliehen wurde, und die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Michelle Müntefering dabei auch noch die Laudatio hielt. Und es ist nur schwer vorstellbar, dass nach diesem erneuten Skandal wieder alles unter den Teppich gekehrt wird, und die Ruhrtriennale-Intendantin weiterhin ihren Posten behalten darf.

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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