Warum ist Gedenken auf Augenhöhe so schwierig?

Mit Werken von Ernst Bloch begleiteten Roman Salyutov und Lev Gordin des Yachad Chamber Orchestra den Abend (Quelle: Petra Hemming und Axel Bolte)

Letzte Aktualisierung am 2. August 2021 durch Thomas Morvay

(Bergisch-Gladbach) – Während in Zürich die Initiative, mit Stolpersteinen an die Opfer des Holocausts zu erinnern noch relativ jung ist, entwickeln sich im benachbarten Ausland schon seit geraumer Zeit alternative Formen eines “Gedenkens auf Augenhöhe”. So etwa die Aktion in Bergisch-Gladbach, wo mit der Aufstellung einer Stele dem in Theresienstadt ermordeten Dr. Erich Deutsch, im Rahmen einer langfristig angelegten Aktion gedacht werden sollte. Dass dies in Deutschland, wo aktuell “1700 Jahre jüdischen Lebens” gefeiert weärden, nicht ohne Nebengeräusche möglich ist, erstaunt und entsetzt umso mehr!

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Der Ganey-Tikva-Verein im Bergischen Land, im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen unseres nördlichen Nachbarlandes, führt einen von sehr viel Gegenwind begleiteten Kampf – auch in diesen Spalten wurde darüber schon berichtet. Dieser Kampf ist nun um ein Kapitel “reicher” geworden: es scheint unmöglich, selbst eine Aktion des Erinnerns ohne Gegenwind zu begehen. Was war geschehen?

In der Presseeinladung zur Enthüllung einer, vom einheimischen Künstler Helmut Brands geschaffenen, Stele sprachen die Initiatoren noch von einem langfristig angelegten Projekt namens “Chassiva”, was im Hebräischen Enthüllung bedeutet. Sie gab damit der Hoffnung Ausdruck, dass damit auch für die anderen von den Nazis ermordeten Bürger der Stadt “Unterstützung für weitere Stelen” geben würde. Die am 14. Juli aufgestellte Stele erinnert an den Bergisch-Gladbacher Bürger Dr. Erich Deutsch, der nach Jahren der Schikanen und Ausgrenzung 1944 ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt wurde und nicht mehr von dort zurückkehrte. Seine Enkelin Ursula Völkner war, wie schon bei der Verlegung des ersten Stoplersteins in Bergisch-Gladach, vor 13 Jahren, anwesend im Ortsteil Schildgen, dem letzten Wohnort von Dr. Deutsch. Auch der Bürgermeister Frank Stein hatte ursprünglich zugesagt, am Anlass teilnehmen zu wollen, musste jedoch aufgrund der Überschwemmungen im Stadtgebiet kurzfristig absagen.

Die vom Ganey-Tikva-Verein gestiftete Stele- im Bild rechts die Präsidentin Petra Hemming, neben Ursula Völkner und dem Künstler Helmut Brands – wurde vor dem “letzten frei gewählten Wohnsitz des Mediziners an der Altenberger-Dom-Strasse 128” enthüllt. Der Verein wolle “mit einem ‘Gedenken auf Augenhöhe’ und einem Brückenschlag vom Judenhass der NS–Zeit zu den Erscheinungsformen des Antisemitismus in der Gegenwart einen angemessenen Gegenentwurf zu oftmals würde- und empathielosen Ritualen der deutschen ‘Gedenkkultur’ anbieten”, wie Petra Hemming ausführte. Es sei scheinheilig, “zweimal im Jahr der Opfer der Shoah zu gedenken, und an den übrigen 363 Tagen im Jahr den heutigen, oftmals israelbezogenen Antisemitismus zu tolerieren oder gar salonfähig zu machen”.

(Quelle: Pressemitteilung zur Enthüllung der Stele; Foto: Ganey-Tikva-Verein)

Diese Worte, gesprochen in der Herz-Jesu-Kirche in Schildgen, fanden nicht überall Zustimmung im Kreise der Zuhörerschaft. Einige wenige Besucher der Veranstaltung verliessen den Saal. Man wolle sich dies nicht anhören, sei hier, um die Stele zu enthüllen. Das jedoch ist zu kurzsichtig: man kann nicht auf der einen Seite die toten Juden ehren, aber sich den Angriffen auf lebende Juden – sei dies in Deutschland, in Israel oder sonstwo auf der Welt – verschliessen. Gewollt oder ungewollt, lieferten die “mosernden Protester” auf diese Art einen Beleg dafür, wie recht die Vortragende mit der oben zitierten Aussage hat!

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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