Antisemitismus im Nachkriegs-Deutschland – eine Ausstellung

Haus der Wannsee-Konferenz, in der die Gedenkstätte sich befindet, und in deren Räumen die Ausstellung beheimatet wird.

Letzte Aktualisierung am 29. August 2023 durch Thomas Morvay

Berlin – In der Gedenk- und Bildungsstätte “Haus der Wannsee-Konferenz” entsteht seit Januar 2023 eine Werkstattausstellung mit dem bewusst provokanten Titel “Skandal oder Normalität?” Dazu wird jeden Monat ein neues Plakat enthüllt, mit dem an einen antisemitisch motivierten Angriff aus den vergangenen sieben Jahrzehnten erinnert wird.

Wie es im zweiten Newsletter des Jahres 2023 heisst, soll mit der Ausstellung einerseits auf die “Kontinuität von Judenhass in Deutschland” ein Schlaglicht geworfen, und andererseits andererseits deren verschiedene Erscheinungsformen verdeutlicht werden. Was in akribischer Kleinarbeit entsteht soll verdeutlichen, dass – wie mit Hinweis auf den Jahresbericht des Bundesverbands Recherche- und Isnformationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS) festgehalten – die Zahl judenfeindlicher Vorkommnisse 2022 zwar leicht rückläufig war, dies in keiner Weise glauben machen will, man “sei gesellschaftlich auf gutem Wege”. Besonders beunruhigend dabei, nahmen die sog. gewaltförmigen Angriffe im Berichtsjahr zu. RIAS verzeichnet 56 körperliche Angriffe, und gar “9 Fälle von extremer, potentiell tödlicher Gewalt”.

Gerade in der heutigen schnellebigen Zeit, in der zwar Informationen nahezu in Echtzeit weltweit zur Verfügung stehen, aber dann von der nächsten aktuellen Meldung schon wieder verdrängt werden, muss die Information zu Judenhass nachhaltig bleiben. Folgerichtig werden die Exponate der Ausstellung zeitgleich zu ihrem Erscheinen in der Ausstellung auch auf den elektronischen Plattformen wie Twitter (aktuell wird ein neuer Name “x” propagiert), Instagram oder Tiktok veröffentlicht und mit den sog. Followern geteilt. Das Internet vergisst nicht, das hört und liest man immer wieder. Damit das nicht bloss leeres Versprechen bleibt, sollen diese Veröffentlichungen immer wieder erneut verbreitet werden, mittels “teilen” oder “repost”, oder indem sie dank ihrer “Hashtags” zeitlos gefunden werden können.

In den bisher entworfenen Tafeln wird z.B. an den Brandanschlag auf das “Haus der Demokratie” in Zossen erinnert, wo damals gerade eine Ausstellung zum Thema “Jüdisches Leben in Zossen” gezeigt wurde. Knapp zwei Jahre nach der Verlegung des ersten Stolpersteins in dieser Stadt in Brandenburg, in der Rechtsradikale, darunter auch Leugner der Schoa, mit Fackelmärschen Gedenkveranstaltungen zu stören begannen, bildete dieser Anschlag einen traurigen Höhepunkt. Bezeichnend auch, dass die – als Reaktion auf die Neonazis gegründete – Bürgerinitiative “Zossen zeigt Gesicht” von der Stadt keinerlei Unterstützung bekommen hatte. Die damalige Bürgermeisterin ordnete, gemäss einem Interview mit dem Gründer der Bürgerinitivative, Jörg Wanke, diese gar als “linke Provokateure” ein.

Im Gegensatz zu diesem doch wohl provinziellen Ereignis, ist der Brandanschlag auf das Jüdische Altenheim in München in Erinnerung, bei dem im Februar 1970 sieben Menschen gerstorben waren. Die Ausstellung bezeichnet den Anschlag als Teil eines “eliminatorischen Antisemitismus”. Man wünscht sich, der Begriff wäre einer grösseren Öffentlichkeit bekannt – das würde, nach unserer Einschätzung wesentlich dazu beitragen, dass man die Sorgen von Juden ernster nähme. Erschreckend, aber nicht weniger typisch, für diese Art von Vorkommnissen: die Täter konnten nicht ermittelt werden. Es ist für uns nicht nachvolziehbar, dass die langjährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch – nach einem Zitat in der Ausstellung der Polizei “keinen Vorwurf” mache, denn sie “habe alles getan, um Licht in dieses Dunkel zu bringen”. Und weiter:

Es wäre für mich schon wichtig, dass man den oder diejenigen findet. Nicht, dass man immer über das Thema spricht, es aber nicht zu Ende bringen kann.

Ich sehe manchmal vor unserer Synagoge komische Leute, die extra herkommen, um ihre Wut und ihren Judenhass zu zeigen. Wir sind sehr froh, dass die Polizei und unsere Sicherheitsleute sehr gut geschult sind und solche Dinge gleich erkennen.

Aussagen Charlotte Knobloch, zitiert im Newsletter zur Ausstellung

Dies sind nur zwei, beispielhaft herausgegriffene Vorkommnisse, welche die Arbeitsweise und die Philosophie der Ausstellung verdeutlichen sollen. Wir möchten unsere Leser ermuntern, sowohl dem Link zum RIAS-Newsletter zu folgen, aber auch in den sozialen Medien nach den Veröffentlichungen zu suchen.

Aufmerksame Leser unserer Plattform werden sich erinnern, dass auch wir immer wieder gefragt hatten, ob denn der polizeiliche Schutz von Juden und von jüdischen oder Israel-bezogenen Veranstaltungen bereits soweit als normal gelten, dass dies niemandem mehr auffällt. Mit Genugtuung vermerken wir daher, dass die eingangs erwähnte Frage genau diesen besorgniserregenden Aspekt jüdischen Lebens heute in Europa aufgreift.

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

4 Kommentare

  1. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem aktuellen Antisemitismus und der Wahrnehmung von Juden in der deutschen Gesellschaft?

    Eine besonders üble Kampagne war die gnadenlose Hetzjagd, die zum Ende einer hervorragenden beruflichen Karriere und persönlichen Einsatzes für das deutsche liberale Judentum führte.

    Die damalige Berichterstattung in den deutschen Mainstream-Medien wurde von wichtigtuerische Personen lanciert und immer wieder genüsslich auf Neue aufgeheizt. Selbst völlig nicht-jüdische Medien sahen sich bemüssigt, Informationen ohne Wahrheitsprüfung zu verbreiten.

    Ich habe den Eindruck, dass hier eine neue Form von Antisemitismus entstanden ist, der sich hinter einer angeblichen Notwendigkeit, ein breites Publikum zu informieren, versteckt.

    • Lieber Alex, solange Du diesen Hinweis nicht weiter konkretisierst, fällt es schwer, sich damit sinnvoll auseinander zu setzen. Wer ist die Pertson, auf die Du Bezug nimmst? Was Deine zweite Anmerkung betrifft: ob da eine “neue Form von Antisemitismus” entsteht, stelle ich insofern in Abrede, als dass der Judenhass schon immer breite Bevölkerungsschichten zu erreichen trachtete.

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