Antisemitischer Angriff auf Synagoge in Biel

Bieler Altstadt

Letzte Aktualisierung am 19. Februar 2021 durch Thomas Morvay

(Biel) – Es sind absolute Ausnahmefälle, wenn in der Schweiz bei religiösen Auseinandersetzungen Angriffe auf Gotteshäuser verübt werden. Doch genau das ist gestern in Biel geschehen. Deswegen ist nun eine unmissverständliche Positionierung aus der Politik, neben der kriminologischen Aufarbeitung des Falles, unerlässlich.

Ein erschrockener Passant meldete am Donnerstagmorgen bei der Stadtpolizei, dass an der Eingangstür zur Synagoge nationalsozialistische Symbole und Hetzparolen angebracht worden waren. Die ausgerückten Beamten fanden ein Hakenkreuz und die Schriftzüge “Sieg Heil” und “Juden Pack”. Dank Unterstützung durch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund SIG hat die Israelitische Kultusgemeinde Biel inzwischen Anzeige erstattet.

Der Vorgang weckt ungute Erinnerungen: im Jahr 2005 war, ein Brandanschlag auf die jüdische Gemeinde in Lugano verübt worden, drei Jahre später fiel in Zürich ein traditionell gekleideter, orthodoxer Jude in Zürich-Wiedikon einem Messerangriff zum Opfer gefallen. Für eine heftige Kontroverse schliesslich hatte ein bundesrätlicher Bericht zum Thema Antisemitismus vor ein paar Jahren gesorgt, in dem die “Anregung” enthalten war, die jüdischen Gemeinden mögen selbst für ihre Sicherheit aufkommen. Inzwischen haben sowohl die Stadt Zürich wie auch Basel für einen besseren Schutz und für finanzielle Mittel zum Schutz von jüdischen Menschen und Einrichtungen grössere jährliche Beträge gesprochen und auch regelmässig entrichtet.

Die Tat von Biel, dessen muss sich die offizielle Schweiz, aber auch die Schweizer Öffentlichkeit bewusst werden, findet nicht im luftleeren Raum statt. Trotz der Auseinandersetzungen um die nachrichtenlosen Gelder, trotz der Affäre Christoph Meili, und auch entgegen dem Trend, welcher zum “Bergier-Bericht” geführt hatte: eine Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, und die Auseinandersetzung mit den Taten und Unterlassungen einzelner ihrer Bürger, sowie deren Verankerung im kollektiven Bewusstsein unseres Landes, steht noch immer aus. Wenn “Biel” für etwas stehen soll, dann doch wohl für die Erkenntnis, dass “Sonntagsreden” nicht ausreichen.

Es genügt nicht, dass am 27. Januar in Bern eine durch ausländische Botschaften organisierte, jährliche Veranstaltung an den Zivilisationsbruch der Schoah erinnert, dass nun auch in Schweizer Städten sog. Stolpersteine verlegt werden oder dass der Ruf nach einem Ort des Gedenkens ertönt – zumal es bereits heute solche Orte des Gedenkens gibt. Noch ist die Zahl derjenigen Schweizer Juden, die über ein Auswandern nach Israel nachdenken, relativ gering. Noch akzeptieren es Schweizer Juden, dass der Zugang zu ihren Gemeindezentren durch spezielle Einsatzkräfte und Scherheitskontrollen geschützt wird. Noch ist “Biel” die grosse Ausnahme. Dass das so bleibt, ist nicht selbstverständlich. Damit es so bleibt, müssen sich alle mehr engagieren.

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Über Thomas Morvay 326 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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