Wer ist Israels neuer Premierminister Yair Lapid?

Der neue israelische Premierminister Yair Lapid bei der ersten Kabinettssitzung am 3. Juli 2022Lizenz: imago/ZUMAi99_ 20220703_zip_i99_001 Copyright: Haim Zach/Israel Gpo

Letzte Aktualisierung am 11. Juli 2022 durch Thomas Morvay

Jerusalem/ Israel – Am vergangenen Donnerstag vollzogen Naftali Bennett und Yair Lapid die im Koalitionsvertrag vereinbarte Rochade: Bennett trat zurück, nachdem er seine parlamentarische Mehrheit eingebüsst hatte, sein Stellvertreter Lapid übernahm die Regierungsführung – bis zu den am 1. November erfolgenden Wahlen. Heute nun hielt Lapid seine erste Ansprache, im Politik-Jargon eine Grundsatzrede. Salopp formuliert, gab er seine Visitenkarte ab – vielleicht gar eröffnete er den Wahlkampf. Hier die wesentlichsten Aussagen, auch in der englischen Fassung veröffentlicht durch das Prime Minister’s Office (PMO).

Eine Vorbemerkung scheint notwendig. Die Rede liegt sowohl uns sowohl in der Originalfassung auf Hebräisch, als auch in der englischen Fassung des PMO vor. Unsere Hebräischkenntnisse sind nicht auf einem Niveau, das eine direkte Übertragung ins Deutsche ermöglicht hätte, wir haben uns daher auf beide Sprachversionen gestützt, jedoch eher am englischen Text orientiert. Hinweise auf eventuell untergegangenen sprachlichen Feinheiten sind uns daher ausdrücklich willkommen.

Der Staat Israel ist grösser als wir alle zusammen. Wichtiger denn wir, einzeln betrachtet. Er war da lange bevor uns, und er wird noch da sein, noch lange nach uns. Er gehört all jenen, die ihn während Tausenden von Jahren in der Diaspora ersehnt hatten, und ebenso jenen, die noch gar nicht geboren sind, den künftigen Generationen.

Rede von Premierminister Yair Lapid, am 2. Juli 2022, übermittelt durch das PMO Jerusalem, eigene Übersetzung

Die grundlegende israelische Wahrhaftigkeit ist dergestalt, dass in Bezug auf die wirklich wichtigen Themen, wir alle an dasselbe glauben.

Wir glauben, dass Israel der Staat des jüdischen Volkes ist. Seine Errichtung begann nicht im Jahr 1948, vielmehr an jenem Tag, als Joshua den Jordan überquerte und das Volk Israel für immer mit dem Land Israel vereinte, das jüdische Volk ihre Heimstätte in Israel.

Wir glauben daran, dass Israel eine freiheitliche Demokratie ist, dessen Bürger über ihre Regierung bestimmen und ihrem Leben selbst eine Richtung weisen. Niemandem können seine fundamentalen Rechte abgesprochen werden: Respekt, Freieit, freie Berufsausübung und das Recht auf die eigene Sicherheit.

Wir glauben daran, unsere militärische Stärke jederzeit aufrecht zu erhalten. Ohne Stärke gibt es keine Sicherheit. […] Wir werden uns verteidigen, aus eigener Kraft. Wir werden immer unsere Armee haben, mit ihrer unbestrittenen Mächtigkeit, welche unsere Feinde fürchten.

[…]

Wir glauben an Israel als jüdischen Staat. Sein Charakter ist jüdisch. Seine Identität ist jüdisch. Auch sein Verhältnis zu seinen nicht-jüdischen Bürgern ist jüdisch. In Levitikus steht geschrieben: “der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten du sollst ihn lieben wie dich selbst”.

Wir glauben dass, solange seinen Sicherheitsinteressen genüge getan wird, Israel ein Land ist, das Frieden wünscht. Israel streckt seine Hand allen Völkern des Nahen Ostens entgegen, einschliesslich den Palästinensern, und sagt: es ist an der Zeit dass ihr erkennt, dass wir nirgendwo hingehen, lasst uns lernen miteinander zu leben.

[…]

Wir glauben, dasses die Aufgabe der Regierung ist, den Gesetzen Beachtung zu verschaffen, und die Aufgabe des Rechtswesens ist, den Grundsätzen des Regierens Beachtung zu verschaffen.

[…]

Ich stehe hier vor Ihnen, in diesem Augenblick, und sage jedem, der unsere Vernichtung anstrebet, von Gaza bis Teheran, von der Küste Libanons bis nach Syrien: fordert uns nicht heraus. Israel weiss, wie es seine Stärken einsetzt, gegen jede Bedrohung, gegen jeden Feind.

[…]

Die grosse Frage für Israel ist daher, warum, in einer Zeit, wo wir uns über all die wichtigen Dinge einig sind, es zugleich so einen grossen Hass und Furcht in der israelischen Gesellschaft gibt. […] Und die Antwort ist – Politik. In Israel wächst Extremismus nicht von der Strasse in die Politik hinein. Es ist das Gegenteil.

[…]

In meinem Büro in der Knesset hängen zwei Porträts nebeneinander: David Ben-Gurion und Menachem Begin.Zwei politische Rivalen, aber zugleich auch zwei herausragende Premierminister, die wir hatten. Sie haben sich häufig gestritten, aber sie wussten stets um das gemeinsame Ziel: an der Stärke und moralischer Kraft des Staates Israel zu arbeiten.

[…]

Die vor uns liegenden Herausforderungen sind immens. Der Kampf gegen Iran, der Terror zuhause, die Krise im Erziehungswesen, die Lebenskosten, die Gewährleistung der individuellen Sicherheit. Wenn die Herausforderungen so gross sind, können wir es uns nicht leisten, dass diese unsere Energien absorbieren. Wir brauchen einander, um gemeinsam hier das Gute zu erschaffen.

Rede von Premierminister Yair Lapid, am 2. Juli 2022, übermittelt durch das PMO Jerusalem, eigene Übersetzung

Und zum Schluss noch eine Szene, welche viel besser den Menschen Yair Lapid beschreibt, als es die vorangestellten Zitate könnten: als Bennett seinem Nachfolger “den Stab” überreichte, zitierte er den Segen, den Eltern am Schabbat ihren Kindern sagen – natürlich in der Fassung für Jungen:

Möge G’tt dich erheben wie Efraim und Menasche. Möge G’tt dich segnen und beschützen, möge G’tt dir Gunst zeigen und dir gnädig sein, möge G’tt dir Güte zeigen und dir Frieden gewähren.

Und Lapid erwiderte, ohne mit der Wimper zu zucken: “Hat mir meine Mama vor einer halben Stunde auch gesagt. Auch sekuläre Juden kennen das.”

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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