Wenn Unbelehrbarkeit und Daffke zusammentreffen!

Autorin Charlotte Wiedemann, bei der Vorstellung ihres Buches bei der Heinrich Böll-Stiftung (Screenshot Youtube-Video)

Letzte Aktualisierung am 12. November 2022 durch Thomas Morvay

Die Autorin und verhinderte Diskutantin kann es natürlich nicht auf sich beruhen lassen, dass sie in Tel Aviv zumindest vorläufig ihre Holocaustrelativierung nicht vertreten kann. Nachdem das Goethe-Institut und die Rosa Luxemburg-Stiftung ihre Veranstaltung auf öffentlichen Druck hin verschoben, absagten und wieder verschoben, veröffentlicht sie eine “persönliche Erklärung”. Schuld sind natürlich alle anderen.

Es mag sein, dass die Autorin des Buches, das der Diskussionsrunde ihren Titel lieh, es gar nicht so gemeint hatte, wie es rüberkam: zwei deutsche Institutionen planten, am Gedenktag an die Pogromnacht von 1938 ein Dreiergespräch. Doch spätestens nach der öffentlichen Ankündigung war jedem, der es sehen wollte, die Absicht klar: zur Debatte stand ein Imperativ, das ein Umdenken in der deutschen Erinnerungskultur forderte, und die eben doch Holocaust und Nakba auf eine Stufe stellte:

Die Erinnerung an die Shoah und das Gedenken der Opfer sind dem Goethe-Institut und der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein großes Anliegen. Das Goethe-Institut widmet sich diesem Thema in zahlreichen Projekten in Israel und weltweit. Es steht für Verständigung und Dialog. Das Datum der ursprünglich für den 9. November in Tel Aviv geplanten Veranstaltung „Den Schmerz der anderen begreifen“ war sehr unglücklich gewählt und wurde korrigiert. Im Vorfeld der Veranstaltung hat sich in Deutschland und Israel zunehmend ein Diskussionsklima entwickelt, das deren sachgerechte Durchführung unmöglich macht. Es muss mit massiven Störungen gerechnet werden, die Sicherheit der Podiumsdiskussion ist vor diesem Hintergrund leider nicht zu gewährleisten. Das wichtige Thema der Erinnerungskultur kann so nicht in angemessener Weise behandelt werden.

Das Goethe-Institut und die Rosa-Luxemburg-Stiftung haben deshalb gemeinsam entschieden, die für den 13. November geplante Veranstaltung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Wir werden jetzt gemeinsam mit einer Vielzahl von Diskursbeteiligten über die Neukonzeptionierung nachdenken.
Wir bedauern sehr, dass die von uns geplante Veranstaltung bereits vor ihrer Durchführung in einem Maße der öffentlichen Kritik ausgesetzt war, dass ihre erneute Verschiebung unumgänglich wurde.

Ankündigung der Veranstaltung durch das Goethe-Institut in Tel Aviv

Ihre beiden Mitdiskutanten hatten im Jahr 2021 gemeinsam ein Buch herausgegeben, das auch – entgegen aller gegenteiligen Versicherungen – genau dies tat.

In this groundbreaking book, leading Arab and Jewish intellectuals examine how and why the Holocaust and the Nakba are interlinked without blurring fundamental differences between them. While these two foundational tragedies are often discussed separately and in abstraction from the constitutive historical global contexts of nationalism and colonialism, The Holocaust and the Nakba explores the historical, political, and cultural intersections between them. […]

This book does not seek to draw a parallel or comparison between the Holocaust and Nakba or to merely inaugurate a “dialogue” between them. Instead, it searches for a new historical and political grammar for relating and narrating their complicated intersections.

Cambridge University Press: The Holocaust and the Nakba – A New Grammer of Trauma and History

Wie auch immer – wo Charlotte Wiedemann politisch steht, wird bereits im zweiten Satz ihrer Erklärung klar: sie erwartet, dass jedem die Bedeutung der Pogromnacht klar ist, jedoch der Begriff der Nakba erklärungsbedürftig ist. Für sie ist es die “Vertreibung” und die “anhaltende Entrechtung” der Palästinenser. In einer Vorstellung ihres Buches im vergangenen Sommer, bei der Heinrich Bäll-Stiftung, zitiert sie etwa aus ihrem Buch, wie folgt:

In der deutschen Erinnerungskultur gibt es für diese Biografien der palästinensischen Flüchtlinge und verschiedenen Generationen keinen Ort, solange Deutschland für die israelische Staatsgründung ein Passepartout benutzt, in dem nur die Schoah Platz hat. Die Vertreibung der Palästinenser ist ein historischer Kollateralschaden, ausserhalb unserer Zuständigkeit, jenseits unseres Mitgefühls. Würdig ist das nicht. Gerade wenn der Holocaust als die alles überschattende Ursache der Staatsgründung betrachtet wird, wäre die Nakba […] auch ein Teil unserer Geschichte, Teil einer gemeinsamen Geschichte.

Quelle: Youtube – ungefähr ab Minute 28:00

Was ist denn mit der anhaltenden Entrechtung wirklich gemeint? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Wiedemann dabei nicht um die seit mehreren Generationen anhaltende Ausgrenzung der, in den arabischen Ländern in sog. Flüchtlingslagern gefangen gehaltenen, Menschen geht, denen elementare Rechte, wie Integration in ihre Aufnahmeländer oder das Nachgehen einer Erwerbstätigkeit zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts und der ihrer Familien, geht.

In dieser Sicht ist es dann folgerichtig, in der Verschiebung der Veranstaltung ein Einknicken der deutschen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) in Israel zu sehen. Es ist ihre Interpretation, dass der Druck von der israelischen Regierung gekommen ist, implizite jener, die noch gar nicht im Amt ist. Die einzig sichtbare Verbindung des Aufschreis mit Israel, ist nämlich der Tweet des Botschafters des Staates Israel in Deutschland Ron Prosor.

Jenseits dieser offensichtlich verschobenen Optik ignoriert sie damit die heftigen Reaktionen in Deutschland und – zumindest wie es sich in den Sozialen Medien darstellt – weltweit. Die Schlussfolgerung, damit würde es “kritischen Gesprächspartner” zukünftig verunmöglicht, am “Goethe-Institut auftreten” zu können.

Doch nicht nur Israel, auch Deutschland stellt Wiedemann mit ihrem Rundumschlag an den Pranger. Indem sie die Veranstaltung zum “Testfall” hochstilisiert, mit dem geprüft werden soll, “wie Deutschland mit der verschärft rechten Stimmung nach den Wahlen umgeht”, begibt sie sich endgültig ins Reich der Fantasterei. Es ist unmöglich, dass die Veranstalter den Wahlausgang vor knapp einer Woche vor Monaten vorausgesehen haben – und nur dann würde es diesen Testfall geben. Aber genau das braucht Wiedemann, um ihren letzten, ihre wahren Ansichten entblössenden Satz zu begründen: nicht “bloss” eine neue Erinnerungskultur will sie zur Diskussion stellen:

Die deutsche Israelpolitik bedarf einer dringenden Neujustierung, …

Persönliche Erklärung von Charlotte Wiedemann

Entlarvender könnte dieser Schlusssatz nicht sein!

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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