Es gibt keine Zufälle

Der Steinenberg in Basel, im Vordergrund das Stadtcasino, Ort des Ersten Zionistenkongresses von 1897. "In Basel habe ich den Judenstaat gegründet", schrieb Theodor Herzl in sein Tagebuch damals.

Am Sonntag beginnt der jüdische Monat Elul, an dessen Ende die Hohen Feiertage folgen. Und am Montag wird dem 125. Wiederkehr des ersten Zionisten-Kongresses gedacht. Wahrlich eine Zeit und Anlass zur Introspektion.

Nach dem Ende des ersten Zionisten-Kongresses schrieb Theodor Herzl in sein Tagebuch:

Wenn ich den Bas[e]ler Kongress in einem Wort zusammenfassen müsste… es wäre das: In Basel habe ich den Judenstaat gegründet… Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. (…) In fünf Jahren vielleicht und sicher in 50 Jahren wird es jeder einsehen.

Meine liebe Mutter s.A. war zeitlebens davon überzeugt, ihre Eltern – die Grosseltern die ich nie kennenlernen durfte – wären in Auschwitz gestorben, damit dieser Staat hat Realität werden können. Als Zionist glaubt man das eher nicht, und doch stellt sich die Frage, wie es denn sein konnte, dass Herzls Prophezeiung so präzise war: nur wenige Wochen nach dem 50. Jubiläum rief David Ben-Gurion in Tel Aviv das moderne Israel ins Leben. Und man würde sich wünschen, die Kraft der Vision Herzls hätte diese Zeitspanne, und insbesondere die unsägliche Tragödie der Schoah verhindern können.

Aber auch im 21. Jahrhundert ist es uns Juden nicht vergönnt, unbeschwert in Basel zu feiern. Am vergangenen Dienstag musste eine Diskussionsrunde, über Herzls Vermächtnis und die aktuelle zionistische und jüdische Wirklichkeit, in den virtuellen Raum verlegt werden. Die Stadt Basel sah sich ausserstande, die persönliche Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der hochkarätigen Runde, bei Anwesenheit eines Live-Publikums, zu garantieren. Neu ist dies alles nicht: bereits die 100 Jahre-Feier endete im Fiasko, als inmitten der Kampagne um die nachrichtenlosen jüdischen Gelder auf Schweizer Bankkonten allen Ernstes die Frage aufgeworfen wurde, ob man denn ein solches Ereignis in der damals aktuellen Zeit feiern dürfe.

Keine solche Bedenken scheint die Stadt zu haben, wenn es heute um die Durchführung eines “Gegenkongresses”, veranstaltet durch extrem linker Gruppierungen, aber auch der “Gesellschaft Schweiz-Palästina”, nicht widersprochen hat. Diese letztere, illustre Vereinigung, dessen Präsident seit 2018 der ehemalige Nationalrat und Badener Stadtamman Geri Müller ist, dessen herausragendste Leistung der letzten Jahre das 2014 öffentlich gewordene Chat-Protokoll mit Schw*nz-Foto und sein daran anschliessender Entschluss, an der Spitze der Verwaltung verbleiben zu wollen, gewesen ist. Dass sich Basels politische Führung mit derlei Gestalten ins Bett legt, spricht auch Bände!

Ebensowenig darf eine Demonstration durch die Basler Innenstadt, in den Augen der Regierung, in Zweifel gezogen werden. Mit der Losung “Free Palestine – No Zionist Congress” werden am heutigen Sonntag die Demonstranten vom Basel SBB aus in Richtung Barfüsserplatz marschieren. Dort befindet sich das Stadtcasino, der Austragungsort des ersten Zionisten-Kongresses. Dort ist aber zeitgleich das “Public Viewing” des eidg. Schwing- und Älplerfestes, des grössten folkloristischen Anlasses der Schweiz, das an diesem Wochenende im Basler Vorort Pratteln veranstaltet wird. Der Sprecher der Basler Regierung schrieb uns in der vergangenen Woche auf Anfrage:

Die Kundgebung am 28. August wurde durch die Kantonspolizei Basel-Stadt bewilligt. Das Bewilligungsgesuch wurde fristgerecht gemäss dem Basler Demo-Leitfaden eingereicht (siehe: https://www.polizei.bs.ch/was-tun/polizeiliche-bewilligungen-dienstleistungen/kundgebungen-demos.html)
Die verfassungsmässig garantierte Meinungs- und Versammlungsfreiheit bleibt auch während dem 125-Jahr-Jubiläum des ersten Zionistenkongresses gewährleistet. Die Kantonspolizei Basel-Stadt ist auf allfällige Störaktionen vorbereitet und wird diese konsequent unterbinden.

Regierungssprecher Marco Greiner, E-Mail vom 24.08.2022

Bei mir stellt sich bei der Faktenlage weder ein Gefühl des Stolzes ein an diesem historischen Ort der Geburt des modernen Staates Israel, noch mag ich so richtig in Stimmung kommen, in Vorbereitung auf die nahenden, jüdischen Hohen Feiertage später in diesem Monat. Auch der Gedanke an die Errichtung des Dritten Tempels in Jerusalem – wozu die aktuell zu lesende Bibelstelle anregen soll – ist in weiter Ferne. Ich wäre schon mehr als zufrieden, wenn diese Tage in Frieden ablaufen könnten, und die Feierlichkeiten zum Jubiläum ohne Zwischenfälle über die Bühne gingen. Der Höhepunkt – ein Gala am Montagabend – soll zeitgemäss im Internet gestreamt werden.

Vielmehr ist es diese Erkenntnis: Basel, die Stadt in der ich aufgewachsen bin, liefert den traurigen Beweis, wie Recht Herzl hatte und wie stark der Grundgedanke des Zionismus auch heute noch über alles erstrahlt: Israel ist die ewige, die einzige Heimat der Juden. Der letzte Zufluchtsort, an dem sie sich alle versammeln und der einzige Ort auf Erden, wo sie Sicherheit finden. Erschaffen und erhalten aus eigener Kraft. Der Ort, der für die ewig Wandernden die Erfüllung ihrer Sehnsüchte ist, wo sie sein dürfen. Und wo auch für diesen, grundsätzlich säkularen, Juden der Tempel stehen wird, wo das Goldene Tor aufgeht und alle Gerechten durchmarschieren dürfen. Am Ende also doch, wenigstens, ein erhabener Gedanke.

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Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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