Letzte Aktualisierung am 8. November 2021 durch Thomas Morvay
Basel – Stolpersteine, als Teil der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus, werden seit den frühen 1990er Jahren in ganz Europa verlegt. Seit dem vergangenen Dienstag zieren 4 Steine auch Basel, initiiert durch den Verein Stolpersteine Schweiz. Sie erinnern namentlich an 4 ehemalige Bewohner der Stadt am Rheinknie. Sie wurden von den Behörden, zum Teil im Wissen um die lebensbedrohende Wirkung ihrer Massnahmen, “an die Grenze gestellt” oder gar direkt den Pollizeibehörden übergeben. Zudem erinnert eine sog. “Stolperschwelle”, verlegt an der Grenze zu Lörrach, insgesamt an die schätzungsweise über 30’000 Menschen, welche dasselbe Schicksal zuteil geworden war.
Hand aufs Herz: haben Sie schon jemals davon gehört, dass auch Schweizer Bürger, ausgeliefert auf behördliche Anordnung durch Schweizer Polizisten und Grenzwächter in die Fänge der Vernichtungsmaschinerie Nazi-Deutschlands, zu Opfern des Nationalsozialismus geworden sind? Mein Geschichtslehrer – ich habe in Basel an einem führenden Gymnasium der Stadt die Schulbank gedrückt- in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, konnte darüber nichts berichten. Zu jener Zeit waren nicht einmal die Namen Paul Grüninger oder Carl Lutz einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, geschweige denn die zahllosen Abgewiesenen – sind sie das heute?
Unweit vom Ort der Grenzschwellen-Verlegung – an der Inzlingerstrasse 44 in Riehen – befindet sich seit 10 Jahren die “Gedenkstätte für Flüchtlinge zur Zeit des 2. Weltkriegs”, ein Herzensprojekt von Johannes Czwalina (im Bild neben Katja Demnig) und J. Rudolf Geigy. Ein Gedenkstein an diesem Standort stünde dem Dorf Riehen auch gut an. Wie ich hörte, war auch genau dies im Gespräch, zwischen Basel und Köln – es ist zu hoffen, dass auch dieses Projekt weiter verfolgt wird. Und wenn die Orte der Basler Steinlegung im Open Street Map Project eingetragen sind, werden hoffentlich noch mehr als die bisher rund 60’000 Menschen den Weg zu Czwalinas Museum finden. Denn diese ist die bisher einzige Stätte der Erinnerung in der Schweiz an jene, die durch gütige Fügung des Schicksals hier Aufnahme fanden, oder jene die, wie die heute Geehrten, schonungslos zurück gewiesen wurden, obschon den Entscheidungs-Trägern häufig klar war, was das für die Betroffenen bedeutete!
Seit rund 3 Jahren gibt es den gemeinnützigen Verein Stolpersteine Schweiz, gegründet in Zürich von Roman Rosenstein und Res Strehle, der als Präsident des Vereins amtet, jedoch am Anlass in Basel nicht teilgenommen hat. Etwas weniger lang existiert auch eine Lokalgruppe Basel. Zu den Verlegungen in Basel steuerte Rosenstein ein Grusswort bei, schnitt dabei das den Tag präsende Thema an, wie die Erinnerung an die Opfer und das Wissen um die Schoah den Generationen nach den Zeitzeugen zu vermitteln sind. Zum prägenden Thema wurde dies dadurch, dass mit einer Ausnahme alle Verlegungen von einer Schulklasse aktiv mitgestaltet worden sind: die Gymnasien Bäumlihof und Münsterplatz, sowie die Sekundarschule Bäumlihof. Prägend auch durch die Rede von Ralph Lewin, dem Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes am Gedenkanlass in der Aula des Naturhistorischen Museums, im Anschluss an die Verlegungen.
Inschrift auf der Stolperschwelle am Grenzübergang Riehen-Lörrach
“Von hier aus wurden 13 Jüdinnen und Juden am 23.11.1938 von Schweizer Polizisten und Grenzwächtern der Gestapo ausgeliefert.
Im Gedenken an über 30.000 Menschen, die in ihrer Not Rettung in der Schweiz suchten und um Asyl gebeten hatten – vergeblich.
Die Schweiz trägt eine Mitschuld an ihrem Schicksal.”
Der Tag förderte erschütternde Fakten zutage. So berichtet Noëmi Sibold in der Begleitbroschüre davon, dass die Schweizer Behörden bereits kurz nach der Machtergreifung Hitlers die Einreise von “Israeliten” zu regeln wussten, denn diese waren in ihren Augen “wesensfremde Elemente” (Zitate im Originaltext). Ihnen wurde kein Recht auf Asyl zugestanden, und sie waren kantonalen sog. Toleranzbewilligungen unterstellt.
Herr Leutnant Straub (vom Zoll) hatte vorgängig die Gestapo telefonisch vom an die Grenzestellen der Juden avisiert, welche ihrerseits die Meldung an das deutsche Zollamt weitergaben. Einer der Juden weigerte sich, wieder über die Grenze zu gehen und musste getragen werden. Ein zweiter Jude flüchtete sich, wurde jedoch durch einen Schweizer Grenzwächter eingeholt und musste ebenfalls bis zur Grenze durch Tragen transportiert werden.
Quelle: Zitat in Broschüre “Stolpersteine in Basel-Stadt”, Beitrag von Noëmi Sibold: Unerwünschte Fremde; s. Quellenangaben dort
Anna Maria Böhringer, welche ihr Schweizer Bürgerrecht aufgrund der Heirat (vor dem Ersten Weltkrieg) mit einem Deutschen verlor, wollte nach der Scheidung von diesem wieder in die Schweiz heiraten. Ihr neuer Partner verstarb jedoch, bevor er eine Heiratserlaubnis bekommen konnte. So wurde auch die gegen sie verfügte Landesverewisung nie aufgehoben, ihre Aufenthalte in der Schweiz waren daher stets “unerlaubt”.
Gabriel Heim berichtet am Rappoltshof ausführlich ausführlich über den Leidensweg von Kurt Preuss, der im Sommer 1938 mit seiner nicht-jüdischen Geliebten Gertrud Lüttich, zunächst in die Schweiz entkommen kann. Doch knapp 6 Wochen später werden sie, mit Verweis auf Überfremdung und dem belasteten Arbeitsmarkt durch die Eidgenössische Fremdenpolizei darüber informiert, dass sie das Land verlassen müssen. Einen letzten Aufschub erhalten sie bis 15. Oktober – die jüdische Flüchtlingshilfe hat zugunsten von Kurt Preuss interveniert. Dass sie in der Schweiz ausspioniert und bespitzelt wurden, gehörte wohl auch zum Standard – und dieser “Tradition” wird bis heute nachgelebt. Dan dieser “Polizeiarbeit ist das Paar als “arbeitsscheu” aktenkundig, weil ein Spitzel Preuss und seine Geliebte einmal in der Mittagszeit im Bett vorfand. Ende 1938 – keine zwei Monate nach den Novemberpogromen – flüchten die beiden nach Frankreich, jedoch bald danach wieder in Basel, denn sie haben weder Geld noch Papiere, die ihnen einen geregelten Aufenthalt möglich machen würden. Und so geschieht es am Ende doch: die Basler stellen sie an die Grenze, und rühmen sich gar den unerwünschten “Elementen” eine “Chance” geboten zu haben, den Nazi-Schergen zu entkommen. Erneut kehrt Kurt Preuss nach Basel zurück und wendet sich “”in meiner Ratlosigkeit” an den Regierungsrat – ohne Erfolg.
Gaston Dreher war französischer Staatsbürger, der mit seiner Familie vor dem Ersten Weltkrieg in die Schweiz, nach Basel, kam. Nach dem frühen Tod seines Vaters in der Psychiatrie “Friedmatt”, geriet der junge Mann auf die schiefe Bahn und kam mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Bereits im Jahr 1931 erhielt er einen Landesverweis für 10 Jahre. Diese wurde 1942 – die Lage für Juden war zu jener Zeit in ganz Frankreich lebensgefährlich geworden – in eine unbefristete Einreisesperre umgewandelt, durch die Eidg. Fremdenpolizei. 1943 gelangte er über Genf nach Basel, wurde jedoch umgehend hier verhaftet, und in Genf an die Grenze gestellt wurde. Die Deutschen steckten ihn ins Internierungslager Drancy, von wo er nach Auschwitz deportier wurde. Im Frühjahr 1944 wurde er in Auschwitz-Birkenau ermordet. Die Schweiz weigerte sich ihn aufzunehmen, obschon es den Behörden zu jenem Zeitpunkt schon bekannt sein musste, dass eine Ausweisung den Tod bedeuten würde: als Gründe wurden erst “sittenpolizeiliche Gründe” angegeben – ein Hinweis darauf, dass Dreher beruflich nie Fuss fassen konnte und damit nicht nur mit dem Gesetz in Konflikt geriet, aber auch armengenössig zu werden drohte. Da fragt man sich, wo sich diese “Begründung” noch von der von den Nazis verwendeten Begriff des unwerten Lebens unterschied!
Der österreichische Jude Armin Weiss gelangte zunächst 1938 nach Basel, wo er zunächst tatsächlich verbleiben kann. Bis Ende 1939, als er in Liestal erwischt wird, wie er mit Beistiften hausieren geht. Der Chef der Basler Fremdenpolizei beurteilt dies so, dass “Weiss [hat] sich dr groben Verletzung des Asylrechtsschuldig gemacht” habe.
Es ist nötig, dass wieder einmal ein Exempel statuiert wird …
Quelle: Schreiben von Franz Merz, Chef der Basler Fremdenpolizei an Fritz Brechtbühl, den Departmentsvorsteher des Polizeidepartements, zitiert in der Broschüre “Stolpersteine in Basel-Stadt” (vgl. die dort benannte Quelle)
Armin Weiss versucht sich die Pulsadern aufzuschneiden, als man ihn nach Deutschland abschieben will. Es nutzt ihm nichts, nachdem er vom Grenzarzt verbunden wurde, wird seine Abschiebung fortgesetzt. Armin Weiss starb im Frühjahr 1940 im Konzentrationslager Sachsenhausen.
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Am Ende dieses Tages, bin ich emotional schwer gefordert, zur Überzeugung gelangt, dass Stolpersteine nicht nur ein angemessenes Instrument in der Wissensvermittlung über die Schoah sind, aber auch ein würdiges Instrument zur Förderung der Erinnerung.
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