Hat Kamala Harris die Katze aus dem Sack gelassen?

United States Vice President Kamala Harris visits a political science class to commemorate National Voter Registration Day at George Mason University in Fairfax, VA on Tuesday, September 28, 2021. Harris discussed the threats to voting rights at the state and federal level, the need for Congress to urgently act and how our nation and democracy are stronger when everyone participates, and weaker when anyone is left out. Copyright: CNP/MediaPunch

Fairfax, Virginia – Am vergangenen Dienstag stattete die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten Kamala Harris der George Mason Universität in Fairfax einen Überraschungsbesuch ab. Dabei überraschte sie allerdings mehr mit dem, was sie unterliess zu sagen: als nämlich eine Studentin im Verlaufe einer Frage-und-Antwort Runde den Staat Israel eines Genozids an den Palästinensern beschuldigte, widersprach ihr Harris nicht! Dass sie dabei nicht im Thema gewesen wäre, kann Harris nicht vorbringen, denn es ging um die Meinungsäusserungsfreiheit in der amerikanischen Demokratie. Mit dreitägiger Verspätung erst bemühte sich ihr Büro um Schadensbegrenzung. Zu spät und zu wenig, so der Tenor aus jüdischen und pro-israelischen Kreisen in den Sozialen Medien.

Harris sprach bei ihrem Besuch vor Studenten der Politikwissenschaften. Ihre Interaktion, bei der es um Israel ging, wurde aufgezeichnet und durch den Sender C-Span einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für diejenigen Leserinnen und Lesern, welche dem Video nicht folgen können, hier einige der relevanten Passagen aus dem Austausch.

You brought up how the power of the people and demonstrations and organizing is very valuable in America. I see that over the summer there have been, like, protests and demonstrations in astronomical numbers” [about the Palestinian cause]. [… ] Just a few days ago there were funds allocated to continue backing Israel, which hurts my heart because it’s ethnic genocide and displacement of people, […]

Auszüge aus der an VP Harris gestellten Frage

Es ist deutlich zu erkennen, dass die US-Vizepräsidenten mehrmals nickt, während die Frage gestellt wird, was zumindest einen grossen Interpretationsspielraum offen lässt: selbst im Falle einer zurückhaltenden Einschätzung bedeutet das Nicken Ermunterung, mit der problematischen Fragestellung fortzufahren. Ihre anschliessende Antwort verstärkt diesen Eindruck noch, insbesondere wenn man die akustischen Signale mit einbezieht.

And again, this is about the fact that your voice, your perspective, your experience, your truth, should not be suppressed and it must be heard, right? And one of the things we’re fighting for in a democracy, right?

Antwort der amerikanischen Vizepräsidentin. Die Formulierung „your truth“ liesse noch eine Interpretation zu, wonach Harris nicht zwingend mit der Beurteilung einverstanden ist, genau deshalb ist es wichtig, den gesamten Kontext und die non-verbalen Signale mit einzubeziehen.

The point that you are making about policy that relates to Middle East policy, foreign policy, we still have healthy debates in our country about what is the right path, and nobody’s voice should be suppressed on that

Gerade diese Passage lässt kaum noch einen Interpretationsspielraum, dass Harris der Auffassung ist, auch eine Aussage, Israel begehe einen Genozid an den Palästinensern, zulässig ist im Diskurs und die aussenpolitische Ausrichtung der Vereinigten Staaten

Wer den Wahlkampf im vergangenen Jahr verfolgt hat, wird sich mit Sicherheit noch daran erinnern, dass es dem damaligen Kandidaten Joe Biden, bei der Wahl seines „running mate“ auch und in besonderer Weise darum ging, den sog. „fortschrittlichen Flügel“ der Demokraten einzubinden. Kamala Harris ist diesem Flügel zuzurechnen, wenngleich sie nie so weit ging, wie die Vertreterinnen der sogenannten „The Squad“. Aber es gab – aus Kreisen der Unterstützer Israels im US-Parlament – schon vor einem Jahr Mahner, die an der Haltung der Senatorin aus Kalifornien Zweifel hatten.

Sie scheinen nun erneut Aufwind zu bekommen. Da hilft es auch nicht, wenn Harris‘ Büro heute erklärt:

The vice president strongly disagrees with the student’s characterization of Israel. … Throughout her career, the Vice President has been unwavering in her commitment to Israel and to Israel’s security. While visiting George Mason University to discuss voting rights, a student voiced a personal opinion during a political science class.

Presseerklärung von Symone Sanders, Sprecherin der US-Vizepräsidentin, am 1. Oktober 2021

Das ist bestenfalls ein Zurückbuchstabieren, nach dem der Protest gegen die zweifelhafte Haltung Harris‘ über Tage nicht abgeebbt ist.

About Thomas Morvay 340 Articles
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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