Merkel in Israel: der Kanzlerin Vermächtnis?

Jerusalem 10.10.2021 - Gemeinsame Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Israels Ministerpräsident Naftali Bennett. Merkel kam zu einem Abschiedsbesuch, am Ende ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft. (Photo Credit: imago images; Copyright :MENAHEM KAHANA

Letzte Aktualisierung am 11. Oktober 2021 durch Thomas Morvay

Jerusalem – Bundeskanzlerin Angela Merkel reiste übers Wochenende, auf Einladung des israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett, nach Israel. Somit führte sie ihre erste und auch die letzte Auslandsreise in dieses Land. Während des gesamten Aufenthaltes konnten sich ihre Zuschauer und -hörer des Eindrucks nicht erwehren, die Pfarrerstochter arbeitete akribisch an einer Art politischem Vermächtnis ihrer Kanzlerschaft, einer Hinterlassenschaft an die Deutschen insgesamt und auch einer Handlungsmaxime für ihre Nachfolger, zumindest im Verhältnis zu Israel und den Juden. Gerade in der heutigen Zeit zunehmender antisemitischen Tendenzen eine wichtige Aufgabe!

Bei diesem siebten, ursprünglich für Ende August dieses Jahres geplanten, Besuch der Kanzlerin konnte nicht ausbleiben, dass beide Seiten die, in der Tat bemerkenswerte Entwicklung der Beziehungen beider Länder untereinander, während 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft, thematisiert wurden. Bennett würdigte sie in der gemeinsamen Pressekonferenz am Sonntag als die Person „in Deutschland und überall dort, wo Sie zugegen sind, eine klare Stimme für Israel“. Dafür sprach er der Kanzlerin seinen Dank aus. Er bescheinigte Markel, sie hinterlasse gute Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Es seien Fortschritte insbesondere auf dem Gebiet von Innovation und Industrie zwischen beiden Ländern erzielt worden, welche es – angesichts des immensen Potentials – auszuschöpfen gelte.

Merkel selbst charakterisierte die Beziehungen zwischen beiden Ländern als „eng, vielfältig, freundschaftlich und sehr breit aufgestellt“. Die gemeinsamen, von der ersten Regierung Merkel eingeführten, Regierungskonsultationen hätten dazu geführt,

dass unsere Wirtschaftsbeziehungen, unsere Beziehungen im Verteidigungsbereich, die BEziehungen zwischen den Sicherheitsbehörden, im Kulturbereich, der Austausch zwischen Jugendlichen, der Austausch in den Bereichen Wissenschaft, Sport und anderen Bereichen intensiviert wurden …

Quelle: Mitschrift gemeinsame Pressekonferenz vom 10. Oktober 2021

Mit Bezug zu den jüngst vermeldeten Höchstständen antisemitischer Taten in Deutschland betonte Merkel die historische Verpflichtung ihres Landes.

Das alles spielt sich vor der Folie ab – und das ist in der Diskussion heute auch wieder deutlich geworden, als die einzelnen Minister ihre persönlichen Biografien und Familiengeschichten mit Blick auf die Shoah erzählt haben -, dass die Tatsache, dass wir heute über solche Beziehungen verfügen, ein Glücksfall und ein Schatz ist. Dieser Schatz muss immer wieder gepflegt werden. Wir wissen, dass auch heute Antisemitismus in Deutschland vorkommt, dass er sogar verstärkt vorkommt. Ich habe hier noch einmal für die gesamte Bundesregierung deutlich gemacht – das darf ich auch für jede weitere sagen -, dass wir uns gegen alle Erscheinungsformen des Antisemitismus entschieden wehren werden, weil wir alles tun müssen, damit dies eben nicht zunimmt, sondern wir den Antisemitismus und gewalttätige Ausschreitungen auch bekämpfen können. Das ist nicht immer einfach und wird nur gelingen, wenn wir immer die Verantwortung für die Geschichte wachhalten, auch wenn es eines Tages keine Zeitzeugen mehr geben wird. Darüber haben wir heute Früh auch ausführlich gesprochen.

Quelle: Mitschrift gemeinsame Pressekonferenz vom 10. Oktober 2021

Bennett wie Merkel gingen in ihren Ausführungen auf die für den jüdischen Staat existentielle Bedrohung durch ein atomar bewaffnetes Iran ein.

Deutschland ist nicht neutral, wenn es um die Fragen der Sicherheit Israels geht, sondern die Sicherheit Israels ist Teil unserer Staatsräson. Demnach müssen wir auch handeln, selbst wenn wir in verschiedenen Einzelfragen unterschiedlicher Meinung sind.

[…]

Deshalb müssen wir auch die Bedrohung ernst nehmen, die vom Iran ausgeht. Deutschland ist wie Israel der Meinung, dass alles getan werden muss, damit eine nukleare Bewaffnung des Iran verhindert wird. Wenn wir uns anschauen, wie hier die Urananreicherung voranschreitet, dann ist das ein Thema von großer Dringlichkeit. Wir werden das heute bei dem gemeinsamen Abendessen noch einmal vertiefen. Ich bin absolut der Meinung, die hier auch von vielen Ministern geäußert wurde, dass man dieses Thema sehr, sehr ernst nehmen muss.

Quelle: Mitschrift gemeinsame Pressekonferenz vom 10. Oktober 2021

Dass sie auch eigene Akzente zu setzen versteht, und als Beispiel für unterschiedliche Einschätzungen in „verschiedenen Einzelfragen“, wurde in der nachfolgenden Passage ihrer Presseerklärung deutlich, welche die Kanzlerin als Einschub zwischen den obigen beiden Zitaten einflechtete:

Ich will mit Blick auf den Nahost-Friedensprozess sagen, dass wir uns natürlich einen jüdischen demokratischen Staat Israel wünschen, den es ja heute auch gibt, der eine klare sichere Perspektive in der Region hat. Ich persönlich denke – auch wenn es zurzeit nahezu aussichtslos aussieht -, dass man die Idee einer Zweistaatenlösung nicht vom Tisch nehmen, nicht zu Grabe tragen sollte, sondern immer im Blick haben sollte, wie auch die Palästinenser sicher und in einem Staat leben können. Aber der zentrale Punkt heißt die Vision eines sicheren jüdischen demokratischen Staates Israel. Ich will das unterstreichen, was der Ministerpräsident gesagt hat: Die Umgebung von Israel ist in vielen Aspekten eben alles andere als demokratisch.

Quelle: Mitschrift gemeinsame Pressekonferenz vom 10. Oktober 2021

Bei aller Klarheit, die in dieser Aussage steckt, hat es Merkel nicht unterlassen, der neuen Regierung Bennett – die, wie beide Seiten betonten, in ihrer Breite wohl einmalig sei – Mut zuzusprechen, neue Wege im Sinne der Positionen Deutschlands zu beschreiten:

Mein Beweggrund ist ja, dass ich mir den demokratischen jüdischen Staat Israel in Sicherheit wünsche, und das bedeutet natürlich, dass man auch eine Lösung für die Menschen, die in der Nachbarschaft leben, finden muss. Da erscheint mir eine Zweistaatenlösung aus meiner Perspektive immer noch als eine, die richtig ist. Wir haben über alle Aspekte der Siedlungspolitik noch nicht gesprochen; das ist dann vielleicht auch noch dem Abend vorbehalten. Durch die Siedlungspolitik ist natürlich die Frage der Realisierbarkeit einer solchen Lösung schwieriger geworden, aber trotzdem kann man ja bestimmte Elemente aufnehmen.

Ich finde es sehr, sehr gut – wenn ich das so sagen darf -, dass der Premierminister sehr schnell Kontakte mit Jordanien und Ägypten aufgenommen hat. Wir sind auch sehr beruhigt, dass es jetzt Kontakte mit einigen arabischen Ländern gibt. Das sind Fortschritte – bei all dem, was noch zu lösen ist.

Das ist meine Sicht der Dinge, …

Quelle: Mitschrift gemeinsame Pressekonferenz vom 10. Oktober 2021

Zu dieser Bilanz gehört jedoch nebst all diesen, als ausgesprochen positiv zu wertenden Punkten, auch das Verhalten Deutschlands als treibendem aussenpolitischen Motor der europäischen Aussenpolitik, wie die anhaltende Finanzierung von terrorverbundenen Nicht-Regierungsorganisationen, der anhaltend mangelnde Einsatz für Lehrmaterialien – entwickelt von der Palästinensischen Autonomiebehörde, im Einsatz in deren Hoheitgebiet und in Gaza – in welchen nach wie vor gegen Israel gehetzt wird, gar die Existenz des Staates Israel geleugnet wird, und welche so ganz und gar nicht den viel gepriesenen Grundsätzen der UNO entsprechen. Deutschland war der grösste europäische Geldgeber der UNRWA, unter deren Kontrolle diese Schulmaterialien stehen, als die USA, unter Trump, diese Finanzierung längst eingestellt haben. In die Verantwortung der Regierungen unter Angela Merkel fällt auch das Verhalten Deutschlands ım Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Das vom Koalitionspartner SPD geführte Aussenministerium hat sich schon unter Frank-Walter Steinmeier – dem heutigen Staatspräsidenten – „merkwürdig“ benommen. Man erinnert sich insbesondere an die Kranzniederlegung am Grab des Erzterroristen Arafat in Ramallah, den Steinmeier gar als Freund betitelt hatte. Sein Nachfolger Maas, der vorgeblich „wegen Auschwitz“ in die Politik ging – ja, das wird er sich bis in alle Ewigkeit vorhalten lassen müssen – verantwortet insbesondere das Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat und in der Vollversammlung. Maas hat dies insbesondere unter dem Aspekt zu vertreten, dass er explizit für einen Verzicht Israels auf einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat, zugunsten Deutschlands, plädiert hatte und versprach, im Gegenzug dezidiert für die Interessen Israels da zu sein. Nichts dergleichen geschah während der 24 Monate unter dem Botschafter Heusgen – Maas, selbst wenn er in einer künftigen Koalition nicht mehr das Aussenamt innehaben wird, hat diesen Verrat auf seine Kappe zu nehmen!

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

2 Kommentare

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*