Der Wandel von Gedenken

Es bleibt zu hoffen, dass dieser Dialog nicht bloss Alibiübung bleibt. Das Thema ist leider aktuell genug, und es wäre übertrieben zu behaupten, die Akteure hätten sich mit Ruhm bekleckert!

Zürich – Seit geraumer Zeit lässt sich ein Wandel in der Erinnerung an den Holocaust, insbesondere im deutschsprachigen Raum beobachten. Nicht nur, dass die Zahl der Zeitzeugen unerbittlich schwindet, auch die Singularität der Schoa wird verwässert. Der Trend, der mit der Einführung eines internationalen Gedenktages durch die Vereinten Nationen begann, hat heute ein Ausmass angenommen, der besorgniserregend ist.

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In Israel wird seit Gründung des Staates im Jahr 1948 den sechs Millionen jüdischen Opfer des industriellen Massenmordes durch die Nazis und ihrer Helfenshelfer gedacht. Jom HaScho’a fällt auf den 27. Tag des Monats Nisan des jüdischen Kalenders, 14 Tage nach dem Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto. Sechzig Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945, entschied die Generalversammlung der Vereinten Nationen, einen “Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des des Holocaust” auszurufen. Weil die UNO eine politische Institution ist, sind ihre Beschlüsse seit jeher der “kleinste gemeinsame Nenner”, was zwangsläufig immer ein Kompromiss dessen ist, was als “mehrheitsfähig” angesehen wird.

Und das waren von allem Anfang an nicht nur die 6 Millionen vom industriellen Morden erfassten Juden Europas. Sondern auch die Zigeuner, die man nun Sinti und Roma nennt, die Homosexuellen und die anderen, die die Nazis als „asozial“ ansahen. Aber die UNO-Resolution spricht z.B. nur von „which resulted in the murder of …“. Waren denn die Überlebenden nicht auch Opfer? Und warum kein Wort Und deren Nachfahren? Transgenerationale Traumate waren schon damals ein Forschungsfeld, auch über akademische Kreise hinaus bekannt. Damit es an dieser Stelle nicht falsch verstanden wird: jedes der Opfer des Irrsinns und der Barbarei der Deutschen und ihrer Helfenshelfer in anderen europäischen Staaten, war ein Toter zu viel! Aber nicht alle Opfer waren offenbar “mehrheitsfähig” erachtet worden. Und sie sind es bis heute nicht! Als einer der wenigen Politiker erinnert allerdings der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz an das “Leid der Überlebenden:

Als im Jahr 2021 neben der Überlebenden Frau Charlotte Knobloch auch die junge Marina Weisband als Rednerin im Deutschen Bundestag angekündigt werden, konnte eine leise Hoffnung aufkommen. Doch die Diplom-Psychologin war als Nachfahre mehr ein “Aushängeschild” für 1’700 Jahre jüdisches Leben, denn für Opfer, und auch sie selbst deutete mit keiner Silbe etwas anderes an, in ihrer Ansprache.Und am diesjährigen Gedenktag im Bundestag wird zwar wiederum eine von ihren Eltern bei Christen versteckte Jüdin die Hauptrednerin sein, neben ihr sind jedoch ein schwuler Nicht-Jude und eine lesbische Jüdin die Gesichter der Veranstaltung, wobei bei beiden die Homosexualität als massgebendes Detail für ihre Inklusion aufgeführt wird. Die aktuelle Pressemitteilung,, ausgerechnet der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ist hier symptomatisch.

Falls dies aus dem bisher gesagten nicht schon offensichtlich geworden ist: mir ist das israelische Gedenken näher beim Herzen als die in Berlin! Ach ja: dem Bundestag war es diesmal besonders wichtig zu schreiben, man veranstalte eine Gedenkstunde an diesem Tag des Gedenkens! Ein Schelm, der Böses denkt!

About Thomas Morvay 340 Articles
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

4 Comments

  1. Danke! Kompliment auf Punkt gebracht. Hier noch ein Vorschlag sich mit lebenden Juden zu beschäftigen,
    Damit einmal die Gegenwart und die Schweiz zum Thema anlässlich des Gedenktags werden, präsentieren wir
    den obigen Film mit anschliessendem Kommentar von Lukas Bärfuss während dreier Tage, 26. bis 28. Januar 2023, gratis im Netz unter folgendem Link:

    https://www.ende-der-erinnerung.ch/

    Protagonisten des Films sind Holocaust-überlebende, die in der Schweiz vor den Nazis Schutz suchten und solche, die später aus Osteuropa kamen, als Flüchtlinge 1956 (Ungarn) und 1968 (Tschechoslowakei).

    Im Film erzählen die Protagonisten wie es ihnen in der Schweiz ergangen ist. In den 1940er-Jahren wurden jüdische Flüchtlinge aufgenommen, aber oft unter der Bedingung, dass sie, sobald wie möglich, das Land wieder verlassen. Jugendlichen wurde zudem verwehrt, einen Beruf zu erlernen. Dies um nur zwei Beispiele aus dem Film zum Umgang mit Holocaust-Füchtlinge hier zu Lande zu nennen.
    (Die Filmpräsentation mit Lukas Bärfuss hatte seinerzeit im Kino Kosmos am 20 Juni 2021 statt gefunden.)

    Wir hoffen, euer Interesse geweckt zu haben und freuen uns auf ein Feedback zu Film und Kommentar.
    Herzliche Grüsse

    Susanne und Peter Scheiner


    AVA Scheiner AG
    Neugasse 6
    CH-8805 Zürich
    Tel +41 (0)709 402 27 85
    mailto: info@ava-scheiner.ch
    http://www.ava-scheiner.ch

    • Stimmt genau, Peter! Ich habe schon öfter angemahnt, dass man lieber die toten Juden beweint in Deutschland, als sich zu den lebenden zu bekennen. Und wenn, dann auch nur als Gegenpol zu den Verbrechen der Scho’a.

      Kann ich nur empfehlen, den Film! An den Untertiteln habe ich auch etwas mitgewirkt und den Film an anderen Stellen beworben, weil er mir so aus der Seele spricht!

  2. Tag des Gedenkens als Mahnmal… immerhin ! Die Opfer u. Hinterbliebenen der Scho’a sind in/aus der Weltgeschichte vakuumiert worden.

    • Die Nachfahren müssen meist als Prügelknaben herhalten, als Israelkritik getarnt – ist ja auch nicht besser.

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