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Was ich noch sagen wollte
Aktuell auf Morvay.Press
Da ich im Urlaub bin, gibt es aktuell keine neuen Beiträge im Blog. Nicht, dass in der jüdischen Welt nichts Wichtiges oder Interessantes los wäre. Aber es ist „that time of the year“ - die Zeit zwischen den hohen Feiertagen.
 
Von Rosch Haschona bis Jom Kippur:  das sind für mich die Tage, die ich, wie schon in den früheren Jahren, nicht zuhause verbringe. Wobei, mit „nicht zuhause“ meine ich meinen gewöhnlichen Aufenthaltsort, am Ufer des Zürichsees. Stattdessen bin ich, geographisch betrachtet, rund 3000 Kilometer in Richtung Südosten, an der Mittelmeerküste zwischen Izmir und Bodrum.
 
Und mein Zuhause - ich bin von Jahr zu Jahr weniger sicher, wo das ist. Nein, es ist nicht die Türkei, es ist nicht meine physische Präsenz. Ich meine vielmehr, was in meinem Kopf in diesen Tagen abgeht, und das eigentlich schon seit geraumer Zeit, mindestens seit dem Tod meines Vaters vor 9 Jahren und noch deutlicher seit dem Tod meiner Mutter, an Silvester 2020.
 
Es begann am Grab meines Vaters, als ich in mir einer Spiritualität gewahr wurde, welche ich eigentlich nie gekannt habe. Vielleicht am ehesten noch war diese Regung, dieses Empfinden da, als ich in Kanada lebend von jüdischen Arbeitskollegen zu Jom Kippur eingeladen war. Nebst den eher befremdlichen Szenen, wie der Kollekte am Ende des Festtageingangs, war die Ansprache des Rebbe, der von einem Besuch in Russland erzählte, und seine Worte unter das Motto stellte „ich kenne Euch“. Damit meinte er das Gefühl, in der Fremde im Kreis von Seinesgleichen angekommen zu sein. Das berührte mich auf einer Ebene, die ich sonst nie an mir wahrgenommen hatte: ich war mir sicher, angekommen zu sein, an einem Ort, wo ich willkommen war. Meine Selbstverständlichkeit, als Jude  irgendwo zuhause zu sein.
 
Und, genauso schnell wie es gekommen war, verschwand dieses Gefühl wieder. Ich fühlte mich eigentlich pudelwohl in meiner säkularen Welt. Ich war weiterhin der Drei-Tage-Jude, und das war stimmig für mich. Vielleicht mit einer Ausnahme: als die Kommunikation mit meinem Vater zunehmend nonverbal geworden war, fing ich damit an, in der Synagoge seine Hand festzuhalten, und fühlte dabei eine Art nähe, die sonst eher nicht da war zwischen uns. Wir sind beide Kopfmenschen, unsere Gefühlswelt war stets Privatsache. Männer halt!
 
Und mit diesem Zulassen von Spiritualität begann in mir die Hinwendung zu meinen Ursprüngen, begann das Annehmen meiner Herkunft. Und wie mein Bewusstsein als Jude wuchs, tat sich eine neueWelt auf. Oder vielleicht war es die ursprüngliche Welt, die ich so lange nicht wahrgenommen habe, ja wahrscheinlich nicht wahrhaben wollte. Ich wurde wirklich zu einem Juden. Nicht im Sinne der Religionszugehörigkeit, aber als Mitglied des „Stammes“.

Denn wir sind als Juden nicht anders gläubig wie in anderen Religionen. Aber wir sind, nicht zuletzt auch durch die transgenerationalen Traumata, den übernommenen Leid von der Generation , die durch die Schoa gekommen war, in einer Weise miteinander verbunden, wie es andere - so meine ich jedenfalls - niemals sein können. Und so sind Rosch Haschona und Jom Kippur nicht einfach religiöse Rituale. Indem wir uns be-Sinn-en, nehmen wir das Schicksal und das Geschick des jüdischen Volkes als neue Generation an, machen sie uns zueigen.

Meine Mutter hatte zeitlebens die Überzeugung, ihre Eltern, von denen sie an der Rampe in Auschwitz brutal getrennt wurde, seien gestorben, damit es den modernen Staat Israel hatte geben können. Als bekennender Zionist teile ich diese Überzeugung nur sehr bedingt. Sie hatte es gebraucht, um ihr Trauma zu verarbeiten, um ihr Schicksal annehmen zu können. Ich habe das bei ihr immer respektiert. Aber ich stehe für Israel ein, weil es ein Teil von mir ist, auch - und vermutlich gerade auch - weil ich in der Diaspora lebe. Israel bleibt meine Lebensversicherung, aber zugleich ist Israel auch in dem Sinne mehr. Es ist mein Zuhause, und so ergibt das Versprechen auch für mich einen Sinn: nächstes Jahr in Jerusalem!
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