Zu Besuch bei Freunden – der deutsche Bundespräsident in Israel

JERUSALEM, 1. Juli, 2021 -- Israels Premierminister Naftali Bennett empfängt den deutschen Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier, der sich zu einem dreitägigen Staatsbesuch im Land aufhält. Copyright: imago/Xinhua Olivier Fitoussi

Letzte Aktualisierung am 2. Juli 2021 durch Thomas Morvay

(Jerusalem/ Israel) – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist für drei Tage nach Israel gereist. Es handelt sich um den, wegen Corona, im vergangenen Jahr verschobenen Besuch. Steinmeier nutzt die Gelegenheit, sich von seinem israelischen Amtskollegen Reuven Rivlin zu verabschieden, der in der kommenden Woche abtritt. Er zeichnet sodann vier Israeli mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik aus. Ebenso führt er Gespräche, u.a. mit Rivlins Nachfolger Isaac ‘Buji’ Herzog, dem neuen Ministerpräsidenten Naftali Bennett und dem alternierenden Ministerpräsidenten und Aussenminister der neuen Koalition Yair Lapid. Kranzniederlegungen, welche hohe Staatsbesuche auszeichnen, sind ebenso auf der Agenda des Bundespräsidenten zu finden, wie das in Israel traditionelle Baum-Pflanzen. Nach einem Besuch am Grab des Staatsgründers Ben-Gurion reist Steinmeier dann am Freitagmittag zurück nach Berlin.

Bundespräsident Steinmeier traf am späten Mittwoch Nachmittag an Bord des neuen “VIP-Fliegers” der deutschen Luftwaffe in Israel ein, einem Airbus A350, noch in den “alten” Farben und dem ursprünglichen Interieur, der nach Auslieferung der beiden anderen Flieger dieses Typs umgerüstet wird. Auf seiner Reise wird der Bundespräsident u.a. von Uwe Becker und Joseph Schuster begleitet, zwei prominenten Vertretern deutscher Juden.

(Bildnachweis: Screenshot ADS-B Exchange, OpenStreetMap contributors)

Anschliessend an einer Gesprächsrunde im “Peres Center for Peace and Innovation”, wo Zukunftsperspektiven der israelischen Gesellschaft beleuchtet wurden, gab Steinmeier ein Staatsbankett. Im Rahmen dieser Veranstaltung war ein erster Höhepunkt der zuvor mehrmals verschobenen Reise die Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an 4 israelische Bürger, mit besonderen Bezügen auch zu Deutschland:

  • Regina Steinitz, Überlebende der Schoah, die bis heute, gegen das Vergessen, ihre Lebensgeschichte erzählt
  • David Grossman, der auch in Deutschland bekannte Schriftsteller, der u.a. den Verlust seines Sohnes im Libanonkrieg im Jahr 2006 literarisch verarbeitete
  • Michal Rovner, Fotografin und Videokünstlerin, mit permanenten Installationen u.a. in Auschwitz und in Yad Vashem
  • Avner Shalev, langjähriger Vorsitzende der Gedenkstätte Yad Vashem

Im Rahmen seiner Rede würdigte der Bundespräsident nicht nur die vier Persönlichkeiten, er nutzte die Verleihungszeremonie auch, um das heutige Deutschland im Kontext zu den aktuellen Angriffen auf Juden und gegen Antisemitismus zu positionieren. Mit den von ihm mittlerweile gewohnt pathetischen Worten sprach er von den “Terrorgeschossen” auf die “viertausend Jahre alte Stadt” – Tel Aviv-Jaffa – und den bis heute notwendigem Polizeischutz vor jüdischen Einrichtungen in Deutschland. Und er gemahnte die Pflicht insbesondere von Deutschen, “[sich] an die Shoah zu erinnern, den Antisemitismus [zu] bekämpfen und mit dieser eine Orientierung für die Gegenwart zu geben und die Zukunft zu gestalten. Steinmeier äusserte am Ende seiner Laudatio auch die Hoffnung, dass durch die (Lebens-)Werke der Geehrten “auf eine Zukunft der Friedens zwischen Israel und seinen Nachbarn” zu stiften vermöge.

Leitmotivisch kennzeichnet den Besuch des Bundespräsidenten die Verabschiedung des abtretenden israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin. Besonders deutlich wurden dabei auch die persönlichen Banden zwischen den zwei Präsidenten. Steinmeier dankte dem Gastgeber, anlässlich des zu seinen Ehren gegebenen Staatsbanketts am zweiten Abend, für Rivlins “Güte und Grosszügigkeit”, auf deren Basis “aus der besonderen, wunderbaren Freundschaft” beider Länder, “eine persönliche Freundschaft erwachsen” konnte. Stilistisch sicher bewältigt Steinmeier dabei den Drahseilakt zwischen den humoristischen Erinnerungsfetzen und den bitter-ernsten Remineszenzen an Begebenheiten dieser Freundschaft: im gleichen Gedankengang wechselt er vom Gespräch zwischen “Fussballexperten” auf dem Mahane-Yehuda-Markt und der Begegnung “vor dem Tor zur Hölle” in Auschwitz und der Rede des ersten deutschen Präsidenten in Yad Vashem, vor anderthalb Jahren. Passend daher, dass der Bundespräsident zum Schluss sein Glas “Präsident Reuven Rivlin und auf die Zukunft der Menschen in Israel, in Frieden, in Wohlstand und in immerwährender Freundschaft mit Deutschland” erhob. L’Chaim, in der Tat!

Bereits als Aussenminister hatte Steinmeier, in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag, im Sommer 2014, eine “aktive Aussenpolitik” gefordert. Dieser Losung wird er auch als Bundespräsident gerecht, wie das Interview belegt, welches er am ersten Tag seines Israelbesuchs, der besonders im Ausland beachteten Tageszeitung Haaretz, gewährte. Geschickt nimmt Steinmeier die ihm vom Interviewer zugespielten Bälle auf und äussert sich dabei in wenig staatsmännischer Manier. Entgegen seiner weitgehend als zeremoniell zu charakterisierenden Amtes, bezieht der Präsident dabei Stellung zu wichtigen Themen der Aussenbeziehungen beider Länder. Etwa in der suggestiv formultierten Frage nach der Bekanntgabe der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens am Internatinoalen Strafgerichtshof in Den Haag:

Nach Auffassung der deutschen Regierung ist der Internationale Strafgerichtshof in dieser Sache aufgrund fehlender Staatlichkeit von Palästina nicht zuständig. Ein palästinensischer Staat und die Festlegung territorialer Grenzen können erst durch direkte Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern erreicht werden. Aber Deutschland respektiert die Unabhängigkeit der Justiz des Internationalen Strafgerichtshofs und seiner Anklagebehörde. Es obliegt dem neuen Chefankläger Karim Khan, im Rahmen der für seine Tätigkeit geltenden rechtlichen Grundlagen zu entscheiden, wie das Ermittlungsverfahren fortgesetzt wird.

Quelle: Web-Auftritt des Bundespräsidenten, Interview vom 30.06.2021

Auch in der Haltung gegenüber dem Iran, macht der Bundespräsident, nach der Feststellung der Position Deutschlands, die seinem Amt entspricht, deutlich einen zweiten Schritt, womit er zum aktiver Teilnehmer auf der internationalen Bühne der Aussenpolitik wird:

Deutschland und Israel haben mit Blick auf den Iran dasselbe strategische Ziel: Iran darf nicht in den Besitz von Atomwaffen kommen. Und wir wollen auch das iranische Raketenprogramm und seine destabilisierenden Aktivitäten in der Region begrenzen. Über den besten Weg zu diesem Ziel mögen unsere Ansichten nicht immer dieselben sein. Aber wir glauben, dass eine Erneuerung des JCPoA der beste Weg ist, um dem Iran den Weg zur Bombe nachweislich und überprüfbar zu versperren. Dazu finden derzeit intensive und alles andere als einfache Verhandlungen statt, an denen die neue US-Regierung beteiligt ist.

Quelle: Web-Auftritt des Bundespräsidenten, Interview vom 30.06.2021

Die Grenzen zwischen einem zeremoniellen Wunsch nach Information über die Ausrichtung der neuen israelischen Regierung und konkret geäusserten politischen Wünschen in Bezug auf diese Ausrichtung werden bewusst verwischt und die Gratwanderung wird zum Lavieren:

Mein Besuch war seit langem geplant und musste mehrfach wegen der Pandemie verschoben werden. Nun fällt er mit dem Beginn eines neuen politischen Kapitels in Israel zusammen. Ich freue mich sehr darauf, einen ersten Eindruck der neuen politischen Akteure in Israel zu bekommen. In meinen Treffen mit Premierminister Bennett und Außenminister Lapid wird es neben deutsch-israelischen Themen natürlich auch um den israelisch-palästinensischen Konflikt gehen. Die dramatische Gewalteskalation im Mai hat wohl allen eindrücklich vor Augen geführt, dass dieser Konflikt nicht verschwindet und nicht ignoriert werden kann. […] Der Weg zu einer Wiederaufnahme des direkten Dialogs über die großen Fragen führt über kleine Schritte und konkrete Zusammenarbeit.

Quelle: Web-Auftritt des Bundespräsidenten, Interview vom 30.06.2021

Während über Steinmeiers Besuch in Israel in den Nachrichtensendungen an prominenter Stelle berichtet wird, findet dieser in den sozialen Medien bisher kaum Beachtung. Anzuschauen und zu bereden gäbe es viel. Warum also diese Zurückhaltung?

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

3 Kommentare

  1. Den Präsidenten Frank-Walter Steinmeier und Reuven Rivlin ist es gelungen, die durch den ehemaligen PM zerrütteten diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu kitten. Yishar Koach.
    Beiden gebührt Dank. Leider sind es immer wieder die ewiggestrigen, fanatisch nationalistischen jüdischen Journalisten, die mit ausgelutschten Argumenten den Erfolg von Politikern, die nicht in ihr Denkschema passen, verhunzen.

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