Wozu dieses öffentliche Sich-Zerfleischen?

Israels Premierminister Naftali Bennett während einer Sitzung der Knesset Copyright: Ronen Zvulun Lizenz: imago/UPI

Letzte Aktualisierung am 14. Juli 2021 durch Thomas Morvay

(Jerusalem/Israel) – Die Regierung Bennett-Lapid ist seit wenigen Wochen im Amt. Wie lange sie sich halten kann, ist eine, zu Recht heiss diskutierte Frage in- und auch ausserhalb Israels. Vergangene Woche scheiterte ein Gesetzesvorhaben in der Knesset, dem Parlament in Jerusalem, zur nicht unwichtigen Frage der Rechte palästinensischer Angehöriger in gemischten, jüdisch-arabischen Ehen in Israel, mit einem Stimmverhältnis von je 59 Voten. Die Regierung muss von Gesetzes wegen, vor dem kommenden November ein Budget verabschieden, ansonsten würde die Knesset aufgelöst und die Wähler müssten zum 5. Mal zur Urne. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte der nunmehr Oppositionsführer Benjamin Netanjahu heute einen Kommentar in der Tageszeitung Israel Hayom.

Es ist eine Klageschrift, welche schon in der Überschrift einen massiven Vorwurf erhält: Iran nähert sich rasant der Bombe und die Regierung schweigt! Als Zeuge der Anklage beruft Netanjahu keinen geringeren als Ze’ev Jabotinsky, den ideologischen Übervater des religiösen Zionismus, auf den sich auch der aktuelle Premierminister Naftali Bennett gerne beruft. Reine Oppositionspolitik? Mitnichten, denn die Haltung gegenüber dem Iran – und implizite auch das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten – ist die zentrale Frage jeglicher israelischer Politik, und eine Überlebensfrage.

Der Leistungsausweis, den Netanjahu aus seiner insgesamt 16-jährigen Verweildauer an der Spitze der israelischen Politik vorlegt, könnte nicht imposanter sein. So beruft er sich darauf, dass er der wiederholten Bitte der Amerikaner, doch bitte keine “Überraschungen” aufzutischen, sich konsequent verweigert hatte, denn:

Jabotinsky glaubte, dass die aggressive und Unabhängigkeit projizierende von Stärke der Hebräer der Schlüssel sei, ihre Gegner daran zu hindern uns zu vernichten, und unser Dasein eines Tages zu akzeptieren.

Quelle: Kommentar in Israel Hayom, vom 14. Juli 2021 (eigene Übersetzung)

Natürlich kreidet Netanjahu seinem Nachfolger an, durch eine Zusage von “no surprises” Schwäche zu offenbaren. Würden ein Bennett oder ein Lapid noch eine Operation gegen den Iran bewilligen, nachdem sie die USA darüber vorinformiert und jene sich dagegen ausgesprochen hätten?

Der zweite Anklagepunkt richtet sich dagegen, dass die Regierung einem weiteren Grundsatz Jabotinskys untreu geworden sei, nämlich durch bestimmtes und konsistentes Verhalten die öffentliche Meinung weltweit ihren Gunsten zu beeinflussen. Auch hier kann Netanjahu auf seine Politik in der Regierung verweisen: unzählige Interviews in der amerikanischen Presse, sowie seine Reden vor der UNO und im US-Kongress. Demgegenüber habe Bennett versprochen, die Schwierigkeiten hinter verschlossenen Türen mit den Vereinigten Staaten zu bereinigen:

Nur durch entschiedenes Auftreten in der Öffentlichkeit kann man sie [die USA; Anm.] dazu bringen, dir hinter verschlossenen Türen auch zuzuhören.

Quelle: Kommentar in Israel Hayom, vom 14. Juli 2021 (eigene Übersetzung)

Die Antwort aus “Balfour Street” – dem Amtssitz der Regierungschefs, von wo die Netanjahus erst am vergangenen Wochenende ausgezogen sind – liess nicht lange auf sich warten. Und war genau so offensichtlich, wie vorhersehbar:

[Netanjahu] war PM während 12 Jahren und bis vor einen Monat, und es war seine Nachlässigkeit, die Iran an den Punkt brachte, wo es näher zur Atombombe sei als je zuvor. Das ist eine gravierende Verfehlung.
[…]
[Netanjahu] zog es vor, Ansprachen und PR-Shows abzuhalten, anstatt auf entschiedenes Handeln zu drängen

Quelle: zitiert aus einer Quelle im Bureau des PM auf Twitter (eigene Übersetzung)

Man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, beide Seiten befänden sich nach wie vor – oder schon wieder – im Wahlkampfmodus. Ob das einer Regierungs- und Parlamentsarbeit zuträglich ist?

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

1 Kommentar

  1. Die jetzige Opposition in der Knesset akzeptiert ihre Rolle als konstruktive Opposition nicht. Sie bemüht sich nach allen Kräften, teils auch unter der Gürtellinie, die bisher durchaus erfolgreiche Regierung unter PM Naftali Bennet, zu torpedieren, um sie dann zu zerstören.

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