
Zürich – Im Landesmuseum, gegenüber dem Hauptbahnhof in Zürich, läuft noch bis zum 6. November 2022 die Ausstellung “Anne Frank und die Schweiz”. Thematisiert wird, neben der Nacherzählung der Familiengeschichte der vielleicht berühmtesten Tagebuchschreiberin der jüngeren Geschichte, die Darstellung jüdischen Lebens in Teilen Europas, vor und während des Holocausts, und der Umgang mit der Erinnerung an den Zivilisationsbruch am Ende der Zeitzeugenschaft. Letztere wird ausgerechnet in diesen Tagen, durch ein Vorkommnis in der sog. Urschweiz, ungewollt einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt.
Ist ein Bezug zum Holocaust gegeben, kommt man am Thema “Ende der Zeitzeugenschaft” nicht vorbei. So haben die sog. Stolpersteine inzwischen die Schweiz auch erreicht, es gibt sie in Basel und in Zürich – wir berichteten. Ebenso wird erneut die Frage eines nationalen Denkmals zur Erinnerung an die Opfer des Holocausts gestellt, und damit eng verknüpft der problematische Umgang der Schweiz mit ihrer diesbezüglichen jüngeren Geschichte. Diese wurde zuletzt durch die Aufarbeitung der Affäre um nachrichtenlose Gelder auf Schweizer Bankkonten und dem vom Bundesrat in Auftrag gegebenen Bergier-Bericht, Ende des vergangenen Jahrhunderts thematisiert – und, so muss man das leider sagen, sehr schnell wieder im Schleier des Vergessens, oder gar des Verdrängens, verhüllt.
Aber: was man nicht wahrhaben will, wird häufig unverhofft und mit grosser Wucht und auch aus unerwarteten Richtung, einem ins Gesicht geschleudert. So geschehen heute, als die Gemeinde Schattdorf im Kanton Uri, in ein Rampenlicht gezerrt wurde:

Ein “peinlicher Fehler einer Mitarbeiterin”, der die Verbindung zum Nationalsozialismus nicht klar gewesen sei, führte der Geschäftsführer der Gemeinde gemäss Zeitungsberichten aus, hätte das Bild auf die Website gesetzt.
Es ist vorstellbar, dass in der Tat eine einzige Person mit der Verwaltung des Internetauftritts der Gemeinde zuständig war, und keine zweite Person vor Veröffentlichung der Meldung einen prüfenden Blick darauf geworfen hat.
Es ist allerdings nicht vorstellbar, dass diese Person den Zusammeng mit den Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts nicht kannte. Ob ihr dies nachzuweisen ist, steht auf einem anderen Blatt.
Wenn der Generalsekretär der Schweizerischen Israelitischen Bundes, Jonathan Kreutner erklärt, es herrsche massivste historische und gesellschaftspolitische Unwissenheit vor, so ist diese Analyse wohl nicht von der Hand zu weisen. Es ist etwa danach zu fragen, weshalb der Name Carl Lutz an dessen Wirkungsstätte Budapest bekannter ist als hierzulande, wo man es erst 2016 fertiggebracht hat, einen Sitzungsraum im Bundeshaus nach ihm zu benennen und auch noch überzeugt war, damit etwas für die Erinnerungskultur zu tun. Nota bene in jenem Jahr 2016, als die Schweiz Präsidentin des International Holocaust Remembrance Association (IHRA) war. Es ist sodann zu fragen, warum die offizielle Schweiz die Kontaktstelle für Überlebende des Holocaust in der Schweiz erst bei dessen Selbstauflösung 2011 wirklich zur Kenntnis nahm. Und es ist nicht zuletzt danach zu fragen, wann sich die Schweiz zu ihrer Mitverantwortung dafür bekennt, weil sie an der Grenze Abgewiesene oder wieder an die Grenze gestellte Geflüchtete in den nahezu sicheren Tod zurückgeschickt hat, oder ehemaligen Bürgern, die ihr Bürgerrecht aufgrund von Heirat ins Ausland verloren, keinerlei Hilfe hat zukommen lassen.
Dieser Beitrag wurde aktualisiert durch Thomas Morvay, vor 3 Jahren
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