Wahlen in Israel – wird jetzt eine stabile Mehrheitsregierung herauskommen?

Letzte Aktualisierung am 12. März 2021 durch Thomas Morvay

(Jerusalem) – In 10 Tagen gehen die Israeli, zum vierten Mal innerhalb von 2 Jahren, wieder zur Urne, um eine neue Regierung zu wählen. Die Koalition aus konservativen und religiösen Parteien, sowie der Gruppierung aus der Mitte namens Kachol Lavan, in der sich laut Koalitionsvertrag Benjamin Netanjahu und Benny Gantz als Regierungschefs nach jeweils 17 Monaten ablösen sollten, zerbrach am Unvermögen, manche sagen an der bewussten Verweigerung, rechtzeitig ein Budget durchs Parlament zu bringen. Unkenrufer sagen erneut ein Ende von Netanjahu voraus, der nunmehr der am längsten amtierende Ministerpräsident in Israel ist, doch eine wirkliche Alternative zu ihm ist nicht wirklich sichtbar geworden, bisher.

Das Unvermögen der israelischen Wähler, in drei Anläufen in 14 Monaten mehr als nur ein Zweckbündnis zur Bewältigung der Corona-Pandemie hervorzubringen, lässt die Wähler am kommenden 23. März – knapp vor dem Pessachfest – erneut in die Wahllokale eilen. An die 40 Gruppierungen buhlen um die Wählergunst, verteilt über das gesamte Spektrum von links nach rechts, oder umgekehrt. Während die zentristisch orientierten Parteien von Blau-Weiss (auf Hebräisch Kachol Lavan), um die beiden Politikneulinge Benny Gantz und Gabi Ashkenazi, im Koalitions-Hickhack der Realitäten israelischer Politik deutlich an Format verloren zu haben scheinen, bröckelt die Likud-Front, nach der Abspaltung des gescheiterten Netanjahu-Rivalen Gideon Sa’ar, ebenfalls.

Wie erinnerlich, war Gideon Saar im Dezember 2019 mit dem Versuch, Benjamin Netanjahu an der Spitze des Likud abzulösen, grandios gescheitert: er unterlag dem Amtsinhaber mit einem Stimmenverhältnis von 3 zu 1. Knapp ein Jahr danach verliess er den Likud, um im aktuellen Wahlkampf an der Spitze einer Bewegung Neue Hoffnung anzutreten. Während er zu Beginn des Wahlkampfes noch als die hoffnungsvolle Alternative galt, mit rund einem Fünftel aller Stimmen, ist er mittlerweile zum schwächsten Glied einer möglichen Mitte-Rechts Allianz mit nur noch knapp 10% abgesackt.

Seine engsten Mitstreiter im Kampf um die Macht sind zwei ebenfalls bekannte Grössen: der ehemalige Finanzminister Yair Lapid (Yesh Atid) und der kurzfristig als Verteidigungsminister amtierende Naftali Bennett (Yamina). Ihre Bekanntheit ist unbestritten auch ihre grösste Schwäche. Wie der farblose Technokrat Saar, verblassen seine Mitstreiter neben dem nach wie vor alle überstrahlenden Benjamin Netanjahu. Es ist nicht nur die langjährige Erfahrung an der Spitze, auch nicht allein die charismatische Brillanz des in unzähligen Rivalitäten-Schlachten Gestärkten, welche Netanjahu über alle erhebt. Bennett ist zwar rhetorisch unbestritten stark, allein, er vermag diesen Vorteil nicht in Sukkurs beim Wähler umzumünzen. Und der ehemalige Journalist Lapid hat zwar eine bemerkenswerte Vergangenheit als Wortakrobat, doch erweist er sich als wenig begabt im Regierungsgeschäft, beispielsweise auf dem traditionell undankbaren Posten des Wirtschaftslenkers.

Und die Linke? Die ehemals staatstragende Arbeitspartei, welche seit der Staatgründung und bis in die 1970er Jahre hinein die Geschicke des Landes verwaltete – nicht zuletzt auch durch die 3 grossen, existenziell bedrohenden, kriegerischen Auseinandersetzungen mit den arabischen Nachbarn – tümpelt hilflos an der Schwelle der Bedeutungslosigkeit dahin. Die Partei von Yitzhak Rabin, Simon Peres oder auch Ehud Barak, schafft es nicht, ihre Relevanz zu begründen, und verheizt einen jungen Führer nach dem anderen. Meretz, die sich als sozialistische Alternative vermarktet, hat sich gerade letzte Woche selbst abgeschossen, als ihr Chef Nitzan Horowitz erklärte, Israel dürfe sich nicht wundern, wenn sie wegen “Kriegsverbrechen” vor den Schranken in Den Haag endet, so wie sie den Siedlungsbau vorantreibe. Mit derart undifferenzierter Kritik ist in Israel kein Staat zu machen.

Am anderen Ende der politischen Skala befinden sich jene, besonders in Westeuropa, als die religiösen Hardliner verschrienen, in der Wirklichkeit jedoch durchaus fazettenreichen Mehrheitsbeschaffer für den Likud. Von Shas, Yisrael Beytenu, über das Vereinigte Thora-Judentum, bis hin zu den Anhängern des verstorbenen Meir Kahane, im aktuellen Wahlkampf organisiert in der Bewegung Otzma Yehudit (Jüdische Kraft), waren mit Ausnahme der letzteren, in fast allen Koalitionen unter Netanjahu vertreten. Der Regierungschef schloss Kompromisse zu den rechten, extremistischen Kräften aus, um sich damit eine parlamentarische Mehrheit zu sichern – niemals mehr, aber auch nie weniger. Auch nach den aktuellen Vorhersagen dürfte er ohne die übrigen religiösen Gruppierungen keine Mehrheit bekommen. Ob es Otzma Yehudit in den 24. Knesset schafft, ist im Moment nicht sicher.

Als sich die arabisch-palästinensischen Parteien zu einer Liste zusammenschlossen (“The Joint List” – aktuell bestehend aus Hadash, Ta’al und Balad), erzielten sie fast ein Achtel der 120 Knesset-Sitze. Doch die Allianz bröckelt, seit Premierminister Netanjahu dem Abgeordneten von Ra’am, einer religiösen arabisch-moslemischen Partei Mansour Abbas seine Unterstützung zugesichert hat. Abbas nennt seine Gruppierung The United Arab List, um sich von den anderen arabischen Parteien abzugrenzen. Es wird erwartet, dass am 23. März Abbas’ Liste 4 und Joint List 8 Mandate holt.

In der heissen Phase des Wahlkamps sehen die Prognosen noch immer keine eindeutigen Mehrheiten. Obgleich notorisch wenig aussagekräftig, erscheint keine der traditionellen Koalitionen stabil genug, um über die magische Schwelle von 60 Knesset-Mandaten hinauszukommen. Es werden wieder langwierige Verhandlungen erwartet, an deren Ende genausogut eine erneut mühselig zusammengewürfelte Regierung, mit letztlich nicht haltbaren Kompromissen, stehen könnte, wie andererseits die Aussicht auf einen nochmaligen Urnengang.

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

6 Kommentare

  1. Israel’s PM ist es gelungen, so wie auch seinem Freund, Förderer und künftigen Geschäftspartner Trump mit den USA, Israel zu spalten. In Linke und Rechte, in Superorthodoxe Juden und in jüdischen Mainstream, in extreme Settler und in verarmte Bürger.

    Israel brauch eine liberal-demokratische Regierung um endlich zur Ruhe zu kommen, ohne Kompromisse bezüglich Sicherheit und Wirtschaft.

  2. Ja, ich freue mich auf die 4. Wahlen innert 2 Jahren. Ich hoffe, das die israelischen Wähler ihre demokratischen Rechte ausüben können und nicht von rechtsextremen Gruppierungen daran gehindert werden.
    Angesichts der politischen Ohrfeige, die PM Netanyahu von den VAE erhalten hat, ist dieser rechtsextreme Pöbel gefährlich geworden. Sie versuchen, jetzt erst recht, die liberale Demokratie in Israel zu zerstören.

    • 5 Tage noch bis zur Wahl – und dann vermutlich 2 Monate Koalitions-Bemühungen. Es gibt ja auch Prognosen, die ein Patt unter der magischen Schwelle von 61 sehen.

  3. Noch Tage vor den Wahlen versucht der zur Zeit amtierende PM Netanyahu mit seinen üblichen Tricks und Lügen Gegenkandidaten auf seine Seite zu bringen. Er wird immer schamloser.

    Wehe Israel, falls er gewählt wird. Er wird die liberale Demokratie in Israel zerstören und durch seine Autokratie ersetzen.

    • Nun, mein lieber Alex: die Wahlen finden wenige Tage vor Pesach statt. Also ist die Frage doch berechtigt:
      מַה נִּשְׁתַּנָּה, הַלַּיְלָה הַזֶּה
      מִכָּל הַלֵּילוֹת

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