Über die 3 Säulen des politischen Zionismus

Der israelische Staatspräsident Yitzhak Herzog war Ehrengast an der Jubiläumsgala, organisiert durch die World Zionist Organisation und dem Schweiz. Israelitischen Gemeindebund, aus Anlass der 125. Wiederkehr des Datums des ersten Zionistenkongresses in Basel (Screenshot Livestream)

Letzte Aktualisierung am 30. August 2022 durch Thomas Morvay

Basel – Der israelische Präsident Yitzhak Herzog war Ehrengast der grossen Gala-Veranstaltung anlässlich des 125. Jahrestags des ersten Zionisten-Kongresses. Vor dem vollbesetzten Saal des Basler Stadtcasinos, dem Originalschauplatz des Zionisten-Kongresses hielt er eine flammende Rede. Darin entwickelte Herzog seine Interprätation von Theodor Herzls Idee des politischen Zionismus für die heutige Welt.

Seit Beginn der Moderne schwang der Pendel der Geschichte der Juden zwischen den Polen von Normaität und Individualismus hin und her: Normalität bedeutete das Streben nach dem Bestehen im Kreise der Nationalstaaten, Individualismus die einzigartige jüdische Identität. Diese beiden Pole bezeichnet Herzog als das Dilemma des Zionismus, als dessen erste Säule. In der Sicht Herzogs war Herzls Vorschlag radikal, ja revolutionär.

… the pinnacle appears to have come 125 years ago, at the First Zionist Congress, here in Basel, when Theodor Herzl positioned, on this normality-individuality axis, Zionism itself. Herzl was Zionism’s greatest instigator. He translated Jewish identity into an effective political doctrine, and he opened up the possibility for Jews to experience their identity as an independent political community, as a state.

Englische Fassung der in Iwrith gehaltenen Rede, mitgeteilt von der Pressestelle des israelischen Präsidenten

Zionist zu sein ist Privileg und Verpflichtung zugleich, interpretiert der heutige Staatspräsident den Gründer des politischen Zionismus. Das, so Herzog, ist der zweite Pfeiler, auf dem Zionismus beruhe. Denn die jüdische Welt, in welchem auch Herzl am Ende des 19. Jahrhunderts lebte, war jene der assimilierten, säkularisierten Juden in Ost-Mitteleuropas Städten wie Wien und Budapest. Von daher definierte Herzl Zionismus als “die Rückbesinnung zum Judentum als Gedankengebäude, noch vor der Rückkehr zum Land der Juden”.

The importance of the founding generation, headed by Herzl, therefore lies not only in the ideological infrastructure that he bequeathed to us but also in the institutional infrastructure that he laid down for us: the national institutions established long before the establishment of the State of Israel, and chiefly the World Zionist Organization and then Keren Hayesod and later the Jewish Agency. Herzl created a critical and firm basis for proactive Zionist and Jewish action around the world, and indeed for collective dialogue, including all shades of our dazzling Jewish mosaic, both in Israel and in the Diaspora—a dialogue that we must also persevere in maintaining today, especially today, as the walls between us seem to be rising ever-higher.

Englische Fassung der in Iwrith gehaltenen Rede, mitgeteilt von der Pressestelle des israelischen Präsidenten

Diese Ausführungen gipfelten sodann in der dritten Säule des Zionismus, wie Hezog sie als seine zentrale Forderung formuliert: die Forderung und Verpflichtung, Zionismus als die positive und proaktive Kraft einzufordern, dessen Essenz neu zu besetzen. Er erinnerte an die Diskussion um den Begriff, die in Überlegungen mündeten, Zionismus als Begriff auf Facebook zu verbieten, durch den Algorhytmus zensieren zu lassen. Dahinter stand wahlweise die Idee, der Begriff könnte antisemitisch missbraucht werden, oder im Gegenteil zum Begriff einer legitimen Kritik an Israels Politik eingesetzt werden. Schockierend sei gewesen, dass niemand bereit war, den Begriff positiv zu besetzen.

Ladies and gentlemen, we must fight this antisemitic and anti-Zionist approach; history has already shown what dark depths it can reach. We must reclaim the term ‘Zionism’ for ourselves, with our heads held high and our backs straight, as an expression of our own national identity, traditions, hopes, pride, enlightened values, justice, and commitment to tikkun olam. I appeal to you all, dear brothers and sisters, with this clear and lofty call: we must reclaim Zionism! This is the mission of our generation.

Englische Fassung der in Iwrith gehaltenen Rede, mitgeteilt von der Pressestelle des israelischen Präsidenten

Herzogs Definition der Idee des politischen Zionismus ist die Verpflichtung auf die tief verankerte, individuelle jüdische Identität, das Zusammenschweissen der so diversen Individuen in der tief verwurzelten Verbindung zum Land Zion, in der Verpflichtung auf einen modernen jüdischen und demokratischen Staat Israel, als ultimativen Ausdruck der zionistischen Gedanken. Faszinierend an dieser Sichtweise ist ist die Fragestellung, ob an dieser Stelle Herzog das gelingt, was in den Wirtschaftswissenschaften die Neoklassische Synthese bezeichnet wird? Auf alle Fälle ergibt sich für den Festredner hier der Versuch einer Definition des Zionismus, welcher sogar den Dualismus von Israel und Diaspora zu überwinden scheint:

Therefore, from a Jewish and Israeli perspective, Zionism means populating the Land of Israel and building Israeli society; it means fortifying Israeli democracy, with a proper culture of debate and discussion, and the perpetual pursuit of peace and coexistence with members of all peoples and faiths living in Israel and in the whole Middle East; it means guaranteeing aliyah to the State of Israel, the beating heart of the Jewish People and their firmest foundations; it means fostering Jewish identity among all our nation’s communities, bolstering mutual responsibility in the Jewish world across its many stripes, and of course the security and prosperity of Diaspora Jewry.

Englische Fassung der in Iwrith gehaltenen Rede, mitgeteilt von der Pressestelle des israelischen Präsidenten

Ein faszinierender Gedanke! – Herzog hielt seine Rede auf Hebräisch, und während sie im Saal durch Simultanübersetzer dem Teil des Publikums, welche die Sprache nicht genügend beherrschten, auf Englisch ins Ohr vermittelt wurde, blieb jener Teil der Zuseherschaft am Livestream aussen vor. Daher ist es an diesser Stelle von grosser Wichtigkeit, hier die ganze Ansprache des israelischen Staatspräsidenten wiederzugeben, wie sie uns von der Pressestelle des israelischen Präsidialamtes zur Verfügung gestellt worden ist.

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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