Terror in Israel – wie lange schweigt die Welt dazu?

Ein gläubiger Jude betet nahe der Klagemauer an Pessach im vergangenen Jahr. (Credit: JINI via Xinhua/imago-images)

Letzte Aktualisierung am 30. März 2022 durch Thomas Morvay

Jerusalem/Israel – Es ist bereits der dritte Anschlag innerhalb von knapp einer Woche: 4 Tote und 2 Schwerverletzte nach Messerangriffen in Be’er Scheva, 2 Tote nach Schiesserei in Hadera und nun wieder mindestens 4 Tote in der für seine grosse religiös-orthodoxe Gemeinde bekannte Bnei Brak. Alle drei Orte liegen innerhalb der international anerkannten Grenzen Israels.

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Bei einem Amoklauf in der am Rande des Negev liegenden Be’er Scheva tötete ein Angreifer aus der Beduinenstadt Hura vier Menschen und verletzte zwei weitere Personen schwer. Bei der Beerdigung der Toten erklärte der für Sicherheit verantwortliche Minister Omer Bar Lev – Sohn des legendären Generalstabschefs Chaim Bar Lev:

Dies ist ein schwerer Moment für die Familie und alle Bürger Israels nach einem tödlichen Terroranschlag durch einen abscheulichen Mörder. Nur wegen des Hasses, der in ihm brannte, hat er dieses grausame Verbrechen begangen.

zitiert in der Jüdischen Allgemeinen vom 24.03.2022

Während die in der Regierung sitzende arabische Partei Raam des Mansour Abbas den Anschlag mit deutlichen Worten verurteilte, äusserten einige Trauergäste ihren Unmut über die gegenwärtige Regierungskoalition aus insgesamt 8 Parteien im Rahmen des Begräbnisses. Für den Anschlag wird der sog. Islamische Staat verantwortlich gemacht.

Vorgestern Abend erschütterten nun über Soziale Medien verbreitete Bilder von zwei mit Maschinengewehren bewaffneten Männern in Hadera – im Norden des Landes, unweit von Haifa gelegen – die israelische Öffentlichkeit: die beiden erschossen einen drusischen Mann und eine Frau, beide erst 19 und beide Offiziere der Grenzpolizei. Das geistige Oberhaupt der Drusen in Israel, Scheich Moafaq Tarif, erklärte:

There is no more difficult and painful position than standing in front of the coffin of a young man under the age of 20, who was murdered by bloodthirsty terrorist extremists.

zitiert in der Times of Israel, am 29.03.2022

Vor etwas mehr als einer Stunde erreicht uns nun eine weitere Hiobsbotschaft, und leider ist dazu zu sagen, dass es sich um einen vorläufigen ersten Bericht handelt. Demnach ereignete sich heute Abend ein weiterer Anschlag, diesmal unweit der Grossstadt Tel Aviv, in Bnei Brak. Bisher bekannt ist lediglich, dass der Anschlag mindestens vier Opfer forderte, aber dass daneben weitere Menschen in Krankenhäusern um ihre Leben kämpften. Zumindest einer der heutigen Täter scheint ein sich illegal in Israel aufhaltender palästinensischer Araber zu sein, der auf einer Baustelle in der mehrheitlich von religiös-orthodoxen Juden bewohnten Stadt gearbeitet haben soll.

Es ist heute exakt 20 Jahre her, dass die Operation Schutzschild in den umstrittenen Gebieten begann. Sie fand während der Zweiten Intifada statt, den der Ur-Terrorist Arafat enfesselt hatte, nachdem er sich feige aus Camp David verdrückte, unfähig die zum Frieden ausgestreckte Hand Ehud Baraks zu ergreifen. (Barak hatte in den Verhandlungen sogar die Teilung Jerusalems angeboten!) Angesichts dieses Jahrestages ist es um so wichtiger klarzustellen: es gibt in Israel keine Intifada, und obwohl die Stimmen aus der israelischen Öffentlichkeit eine deutliche Antwort des Staates fordern, und der Verteidigungsminister eine dringliche Lagebeurteilung eingefordert hat, steht mit grosser Wahrscheinlichkeit keine breit angelegte Operation an.

Und noch eines muss angesprochen werden: bis heute Abend hat man von der Attentatswelle in den deutschsprachigen Medien sehr wenig Notiz genommen. Es ist auch nicht einzusehen, weshalb die Vertretung der “EU and Palestinians” es vorgestern noch für nötig befand, folgende Meinungsäusserung abzusondern:

Und noch gestern – quasi als Rechtfertigung des Terrors, anders kann man das kaum interpretieren- verlautete aus derselben Quelle:

Der geneigte Leser beachte, wie zur alleinigen Erwähnung des bevorstehenden Ramadan vorgestern nach bloss 24 Stunden sich plötzlich auch Pessach und Ostern hinzugesellten. (Full disclosure: sie mussten darauf erst gebracht werden, wie aus den Antworten zum vorgestrigen Tweet hervorgeht.) Scham ist wohl ein Gefühl, dass bei der EU unbekannt zu sein scheint, zumindest, wenn es um Israel und um Juden geht!

Und auch der US-Aussenminister hat seinen Kompass verloren! Wie anders ist es zu erklären, dass er in den vergangenen Tagen immer wieder einen Vergleich zog, der verkehrter nicht sein könnte. Hier beispielsweise, als er am letzten Samstag den Präsidenten der Palästinenserbehörde in Ramallah besuchte:

Of course, the two sides are very far apart, so we’ll continue our work, step by step, to try to bring them closer. We’ll work to prevent actions by either side that could raise tensions. That includes settlement expansion, settler violence, home demolitions, evictions, payments to people convicted of terrorism, incitements to violence.

Press Release, U.S. Department of State, 27.03.2022

Ein solcher Vergleich verbietet sich. Seit 3 Jahrzehnten findet der “Siedlungsausbau” eben als Ausbau bestehender Siedlungen statt – Siedlungen, über deren Rechtmässigkeit es keine einheitliche Meinung gibt, was Blinkens Vorgänger klargestellt hatte. Dass nicht beide Seiten in gleicher Lautstärke vernommen werden, kann und muss man bemängeln, dass es sie nicht gibt, darf man nicht leugnen. Auch muss die Frage erlaubt sein, wie der US-Aussenminister die “settler violence” in einem Satz mit Terroranschlägen nennen kann: allein in den letzten Tagen starben durch Terroristenhand mindestens 10 Israelis – wieviele tote Menschen gab es in den letzten Jahren durch israelische Siedler? Anthony Blinkens moralischer Kompass ist schief, das haben ihm seine israelischen Gesprächspartner auch so gesagt!

Ungewöhnlich schnell hat die EU reagiert. Sie hat die Ermordung von “mindestens 5 Zivilisten” verurteilt. Wenn sie jetzt noch ein Wörtchen über die Täter verloren hätten, wäre die Stellungnahme schon fast als befriedigend zu bezeichnen. Luft nach oben bleibt!

The European Union strongly condemns the terror attack, which took place this evening in the outskirts of Tel Aviv, killing at least 5 civilians.

This is third such incident in one week, when civilians were attacked and killed. We extend our heartfelt condolences to the families of the victims while our thoughts are with those injured. Attacks against civilians are unacceptable and must stop. We stand with Israel at this difficult time.

The EU remains firmly committed to the prevention and fight against terrorism and violent extremism.

Statement by the High Representative – EU External Action, 29.03.2022

Die israelische Regierung trat unmittelbar nach dem Anschlag zusammen, um eine Situationsanalyse vorzunehmen. Anwesend war der gesamte Sicherheitsapparat, also Militär, Geheimdienste und Polizei, um die Regierung zu informieren. Das Sicherheitkabinett hat anschliessend Massnahmen in die Wege geleitet. Verstärkt werden die Präsenzen in den umstrittenen Gebieten, aber auch innerhalb der Grünen Linie, mit bis zu 1’000 zusätzlichen Kräften. Die zivilen und militärischen Dienste werden verstärkt die Sozialen Medien überwachen, vermutlich wird auch die Sicherheitskooperation mit Abbas’ Leuten intensiviert.

Die zweifelhafte Ehre, die womöglich schlimmste Schlagzeile produziert zu haben, fällt “Zeit Online” zu: sie bringen es tatsächlich fertig, die Opfer und den Attentäter quasi in einen Topf zu werfen, und in der Überschrift von “sechs Toten” zu sprechen.

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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