Späte Genugtuung im Olympia-Attentatsskandal?

Olympia Attentat 1972 bei den Olympischen Spielen in München - Die deutsche Polizei versucht die Unmengen von Schaulustigen zurück zu halten. Ein Bild, auch eine ikonische Darstellung, der damaligen Zeit! (Photo credit: imago / Sammy Minkoff)

Letzte Aktualisierung am 2. September 2022 durch Thomas Morvay

München/Jerusalem, Israel – Übereinstimmenden Berichten zufolge sollen sich der deutsche Staat und die Angehörigen der, vor 50 Jahren, im Münchner Olympiaattentat ermordeten israelischen Sportler buchstäblich in letzter Minute geeinigt haben. Damit wäre der Weg frei, dass nicht nur die Familienangehörigen, aber auch der Präsident Israels einem Gedenkanlass beiwohnen können. Neben dem Aufatmen gab es aber in der Affäre auch Befremden darüber, dass sich Trauer mit Geldfragen vermischen sollte.

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Bei einem Terroranschlag mit Geiselnahme, im Rahmen einer katastrophal misslungenen Befreiungsaktion der Münchner Polizei, waren vor 50 Jahren 11 israelische Geiseln, alle Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft, durch die Entführer ermordet worden. Über dem für Anfang nächster Woche geplanten Gedenkanlass hingen dunkle Wolken, als bekannt geworden war, dass Angehörige der Opferfamilien sich weigerten nach München zu reisen. Sie störten sich insbesondere an der Höhe der bisher erhaltenen Entschädigungen durch den deutschen Staat, den sie als beleidigend tief und ungenügend erachteten. Im Zuge der praktisch in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Differenzen geriet auch Israel Präsident Yitzhak Herzog zunehmend unter Druck, dem Anlass fernzubleiben.

Auch der neue deutsche Botschafter in Israel, der Sprecher mehrerer Merkel-Regierungen Steffen Seibert, soll sich mit den Opferfamilien getroffen haben. Nach Berichten, u.a. in der Online-Ausgabe der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post, soll nun buchstäblich in letzter Minute eine Einigung erzielt worden sein. Demnach wird sich der deutsche Bundespräsident am Gedenkanlass für die Verfehlungen der damaligen Verantwortlichen öffentlich entschuldigen – er wäre der erste Repräsentant des deutsches Staates, der dies täte. Deutschen Behörden war, nicht nur in Israel, vorgeworfen worden, bestehende Warnungen vor einem Attentat ignoriert zu haben. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nach diesen Vorwürfen im Olympiadorf absolut ungenügend, israelische Stellen, die ihre Unterstützung angeboten hatten, nicht gewürdigt, ja sogar aktiv ausgeschlossen worden sein. Die Befreiungsaktion auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck, durchgeführt – in Ermangelung einer entsprechend geschulten Einheit – durch freiwillige Polizeischützen ohne besondere Befähigung, dilettantisch und von vorne herein zum Scheitern verurteilt gewesen.

All dies soll nun, nachdem auch die allermeisten Dokumente freigegeben sind, in einer Untersuchung überprüft und historisch korrekt eingeordnet werden. Damit käme es – nach der Veröffentlichung der in Israel bereits vor einigen Jahren offen gelegten Kabinettsdokumenten – auch zur Untersuchung und Beurteilung der Rolle der deutschen Geheimdienste und Kriminalämter, der Verhandlungsführung des damaligen Bundesinnenministers Hans Dietrich Genscher und des Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber. Es geht hierbei nicht zuletzt auch darum zu erfahren, was Landes-und Bundeskriminalämter wussten, vermuteten und ignorierten, offiziell zu dokumentieren, wie deutsche Neonazis in die Affäre involviert waren und ob der deutsche Staat, ähnlich wie dies über Schweizer Bundesbehörden bereits bekannt ist, Verhandlungen mit der PLO geführt hat, um weitere Attentate auf deutschem Boden und gegen deutsche Einrichtungen im In- und Ausland abzuwenden.

Natürlich wird nicht ausbleiben, dass auch die Rolle des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmoud Abbas, der zum Zeitpunkt des Attentats Finanzchef der PLO und oberster Geldbeschaffer gewesen sein soll, weiter im Rampenlicht bleibt. Anlässlich seines Besuchs im Kanzleramt, früher in diesem Monat, war Abbas von einem Journalisten aufgefordert worden, seine Haltung zum Attentat kundzutun und sich zu entschuldigen. Nicht nur lehnte er dies ab, er relativierte bei dieser Gelegenheit auch die Schoah, was in Deutschland ein Straftatbestand ist. Gegen Abbas liegen zur Zeit mindestens zwei Strafanzeigen vor, die Staatsanwaltschaft Berlin prüft auch, inwiefern Abbas in Deutschland vor Strafverfolgung durch Immunität geschützt ist.

Es ist in diesem Zusammenhang ohnehin schwer verständlich, weshalb Abbas, der seit Beginn des letzten Jahrzehnts nichts unversucht lässt, Israel und israelische Politiker und Militärs vor den Internationalen Strafgericht zu zerren, nicht endlich einmal selbst seine “Medizin” zu spüren bekommt. Anlass dazu böte nicht nur seine Beteiligung am Olympia-Attentat, auch sein sonstiges Verhalten, als ranghohes PLO-Mitglied seit Jahrzehnten, seine anhaltenden Blutgeldzahlungen an rechtskräftig abgeurteilte Terroristen und deren Familien. Aber ob ausgerechnet der deutsche Staat soviel Mut besitzt (um nicht deutlichere Ausdrücke aus der menschlichen Anatomie zu verwenden), darf bezweifelt werden.

UPDATE: Inzwischen ist die Einigung von der deutschen Bundesregierung begrüsst worden. Der Sprecher der Bundesregierung Steffen Hebestreit teilte mit:

Die Bundesregierung ist sich – insbesondere angesichts des 50. Jahrestages des Olympia-Attentats 1972 in München – ihrer Verantwortung für eine intensive  Aufarbeitung der furchtbaren Ereignisse sehr bewusst. Im Mittelpunkt steht dabei das würdige Gedenken an jedes einzelne Opfer sowie die noch immer aktuelle politische Dimension des Attentats.
Für die Bundesregierung ist es wichtig, dabei die Perspektive der Angehörigen der Opfer einzubeziehen. Hierzu hat die Bundesregierung vertrauliche Gespräche mit deren Vertretern geführt.
Die Bundesregierung begrüßt, dass es nun gelungen ist, sich mit den Angehörigen auf eine Gesamtkonzeption anlässlich des 50. Jahrestags zu einigen. Dazu zählen die Aufarbeitung der Geschehnisse durch eine Kommission deutscher und israelischer Historiker, die rechtskonforme Freigabe von Akten, die Einordnung und Übernahme von politischer Verantwortung im Rahmen der Gedenkveranstaltung sowie die Bereitstellung weiterer Anerkennungsleistungen durch den Bund, durch das Land Bayern und durch die Stadt München.
Damit kommt die Bundesrepublik Deutschland, auch mit Blick auf das besondere deutsch-israelische Verhältnis, ihrer historischen Verpflichtung gegenüber den Opfern und deren Hinterbliebenen nach. Sie schafft nach nunmehr 50 Jahren die Voraussetzungen, ein schmerzhaftes Kapitel in der gemeinsamen Geschichte aufzuarbeiten, angemessen zu würdigen und legt die Grundlage für eine neue lebendige Erinnerungskultur.
Die Bundesregierung sieht nun einem würdigen Gedenken gemeinsam mit den Angehörigen bei der Veranstaltung am 5. September 2022 entgegen.

BPA Pressemitteilung Nr. 267 vom 31. August 2022

Als wir vor Wochen über den heranbrausenden Sturm des drohenden Fernbleibens von Angehörigen am 50. Gedenktag berichteten, gab es berechtigterweise kritische Stimmen, welche sich an der Begründung störten, die bisher geleisteten Entschädigungen seien “ungenügend”, während andere sich just an dem erbosten, was sie als “unwürdiges Geschacher” um Geld seitens der Hinterlassenen störten. Und auch wenn der Zweck nicht alle Mittel heiligt, es dürfte in der deutschen Öffentlichkeit eine ganze Menge von Leuten geben, die eben keine andere Sprache verstehen. Darunter die wachsende Zahl deren, die die Ereignisse von München vor 50 Jahren nicht aus eigenem Erleben kennen. Sie sind die geistigen Nachfahren derer, die auch die Auffassung vertreten, es solle endlich Schluss sein mit Erinnern an die Schoah. Das darf man nie aus den Augen verlieren!

Zur Nachricht über die in letzter Minute erreichten Einigung, veröffentlichten der deutsche und der israelische Staatspräsident eine gemeinsame Erklärung.

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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