Seltsamer Boykott am Gedenktag der Befreiung von Auschwitz

Referent und Organisatorin
Der Referent Gaby Spronz (Aktionsforum Israel) und die Organisatorin Gabriela Schlesiger (Jüdische Kultur Initiative) Foto: Thomas Morvay

Letzte Aktualisierung am 28. Januar 2021 durch Thomas Morvay

(Bergisch Gladbach und Bochum) – Gaby Spronz hat seine Familiengeschichte schon an mehreren Orten erzählt. Der Vortrag berührt, er rüttelt auf. Der Teil, der einen aktuellen Bezug zum wieder erstarkten Antisemitismus herstellt, beispielhaft dokumentiert in den Aussagen des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, macht wütend. Doch nun setzt eine Stadt in NRW noch einen obendrauf: ausgerechnet am 27. Januar 2021, dem Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocaust, wird Gaby Spronz in  Bergisch Gladbach boykottiert, und wird gezwungen, den Standort seiner Präsentation in die Christuskirche in Bochum zu verlegen.

In erster Linie behandelt der Vortrag die Ereignisse rund um den Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit. Doch schildert Spronz, der israelische Ingenieur, der seit über 30 Jahren in Deutschland lebt, nicht ohne Stolz, dass sich sein Ahnenbaum bis ins Spanien des ausgehenden 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, von wo seine Vorfahren nach dem Alhambra-Edikt fliehen mussten.

Die Geschichte der jüdischen Familie Spronz

Sie gelangten über Italien nach Ungarn, in ein Gebiet, das heute zur Slowakei gehört. Der Ausgleich mit Österreich (1867) brachte den ungarischen Juden die volle Emanzipation. Im Ersten Weltkrieg kämpften ungarische Juden ebenso selbstverständlich in der Armee der Doppel-Monarchie, wie ihre deutschen Glaubensbrüder für Kaiser Wilhelm. Sie erhielten nicht nur Auszeichnungen für Tapferkeit, die Bedeutung von Juden in Wirtschaft und Kunst erreichte in den Jahren bis zur Weltwirtschaftskrise ungeahnte Höhen. Erst die Welle des Nationalismus in den 1930er Jahren setzte dem ein jähes Ende, wo auch die ungarischen Juden nach und nach aus allen Bereichen des Lebens ausgeschlossen und schliesslich innerhalb von 3 Monaten aus praktisch allen ländlichen Gegenden und teilweise auch aus der Hauptstadt Budapest in die Todeslager deportiert wurden. Nur wenige kehrten in ihre alte Heimat zurück, von ungefähr eine halbe Million verschleppten Opfern landete der grösste Teil in Auschwitz.

Die überlebenden aus der Familie Spronz wanderten alle – einer gar buchstäblich, nämlich zu Fuss – ins damalige britische Mandatsgebiet «Palästina» aus, und halfen mit, den Staat Israel zu begründen. So war nicht nur Spronz‘ Vater Offizier in der israelischen Armee geworden, der sein Land in mehreren Kriegen gegen die anstürmenden arabischen Heere verteidigte; auch seine Mutter arbeitete in der sicherheitsrelevanten Verteidigungs-Industrie. Gegen Ende des Berichts schliesslich wird es klar, weshalb – jenseits der Losung „Nie vergessen“ – die Geschichte von Familien, wie jene von Gaby Spronz, gerade heute erzählt werden muss. Erneut erstarkt ein ungesunder Nationalismus, nicht nur in Deutschland, sondern an vielen Orten der Erde. Am Beispiel eines Redeausschnitts von AfD-Fraktionschef Gauland, an einem Treffen im thüringischen Kyffhäuser im Jahr 2017, entlarvt Spronz die billige Rhetorik, mit der der Versuch unternommen wird, die Verbrechen zu relativieren: wenn Gauland Stolz auf die Wehrmacht einverlangt, so setzt ihm Spronz die Morde der deutschen Armee, auf ihrem Weg bis Stalingrad, entgegen. Ein starker, weil absolut notwendiger, Abschluss!

Boykott – nein, danke

Bergisch Gladbach unterhält seit Anfang des letzten Jahrzehnts städtepartnerschaftliche Beziehungen zu zwei Orten in Israel: einmal mit Ganey Tikva, der Stadt vor den Toren von Tel Aviv, und zum anderen mit Beit Jala, dem Ort zwischen Jerusalem und Bethlehem. Den Kontakt zu den Partnerstädten pflegen der Freundeskreis Ganey Tikva an der Kirche zum Heilsbrunnen, sowie der Beit Jala-Verein. Im Jahr 2019 traten beide mit einem gemeinsamen Stand am Stadtfest in Bergisch Gladbach auf. Dabei wurde u.a. das weitherum bekannte Plakat vom «Landraub» aufgestellt was Spronz fotografisch festhielt, und in der Facebook-Gruppe der Bewohner Ganey Tikvas thematisiert.

Das Plakat mit der Aufschrift «Palestinian Loss of Land 1947 to Present» [dt.: Landverlust in Palästine von 1947 bis heute] – Foto: Gaby Spronz

Das Plakat mit der Aufschrift «Palestinian Loss of Land 1947 to Present» [dt.: Landverlust in Palästine von 1947 bis heute] – Foto: Gaby Spronz

Im Zuge der ausführlichen Diskussion zu diesem Beitrag wurde ebenfalls die Frage thematisiert, wie die Stadt Bergisch Gladbach zum Thema BDS stünde, worauf Spronz zu einem damals aktuellen Beitrag aus der Jerusalem Post verwies. Die Debatte hielt in der Gruppe über mehrere Wochen an.

Was dies mit dem Vortrag von Gaby Spronz zu tun hat? Leider sehr viel, denn er regte an, am 27. Januar dieses Jahres, im Rahmen einer «Lesung gegen Antisemitismus und Rassismus» in der Kirche zum Heilsbrunnen, die Geschichte seiner Familie zu erzählen. Nach anfänglicher Zustimmung wurde Spronz vom Pfarrer – auch in der Eigenschaft als Vertreter des Freundeskreises Ganey Tikva – abgewiesen. Eine Zusammenarbeit mache keinen Sinn, denn Spronz wäre in Ganey Tikva «nicht erwünscht». (Anmerkung: eine entsprechende Anfrage durch Spronz hierzu vor Ort blieb allerdings bisher unbeantwortet) Mit anderen Worten, weil angeblich Spronz in Israel Widerspruch auf sich zog, werde er in Bergisch Gladbach boykottiert. Eine bedenklich zweifelhafte Argumentationsschiene! Die Lesung selbst ist abgesagt, der entsprechende Link auf der Homepage ist entfernt worden. Für Spronz’ Vortrag konnte in Bochum eine Ausweich-Location gefunden werden, wo an die 30 Zuhörer der digitalen Präsentation lauschten und anschliessend auch Fragen stellen und diskutieren konnten. In jener Kirche, die bereits 2019 als Veranstaltungsort gewonnen werden konnte, als die Jüdische-Kulturinitiative ein Benefizkonzert für die Kunstfreiheit und gegen Kulturboykott veranstaltet. Schlaglichter auf die Realitäten im Deutschland von heute, 76 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz-Birkenau.

Anmerkung: Dieser Beitrag erscheint ebenfalls auf der Online-Plattform ruhrbarone – Journalisten Bloggen das Revier von Stefan Laurin

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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