Schweizer Redner am Gala – was war denn das?!

Gala-Veranstaltung, im Livestream übertragen in alle Welt, aus Anlass des 125. Jahrestages des ersten Zionistenkongresses in Basel im Jahr 1987 (Screenshot)

Letzte Aktualisierung am 30. August 2022 durch Thomas Morvay

Basel – An der Galaveranstaltung zum 125. Jahrestag des ersten Zionistenkongresses trat die “offizielle Schweiz” mit zwei Rednern an: nach dem Regierungspräsidenten der Stadt Basel, Beat Jans sprach noch Bundesrat Guy Parmelin zu den rund 1’200 Anwesenden und den Zuschauern aus aller Welt. Jedem, der in der jüngeren Schweizer Geschichte ein wenig bewandert ist, war von vorne herein klar:die beiden liefen auf ganz dünnem Eis. Und so musste man alle seine Hoffnungen auf die Haltungsnoten setzen. Doch auch das war eine bittere Enttäuschung!

Der Chefverkäufer des Kantons Basel-Stadt – pardon, sein richtiger Titel lautet natürlich Regierungspräsident – hatte sich schon im Vorfeld wenig erfolgsversprechend positioniert: er liess, knapp vor Ultimo, nämlich keine 100 Stunden vor Beginn der 3 vorbereitenden Anlässe, eine Veranstaltung in den virtuellen Raum verbannen, und die anderen an einen anderen Austragungsort verlegen, angeblich aus sicherheitstechnischen Gründen. Die Verantwortung dafür sah die Stadt bei der Projektleitung, wie der Pressesprecher der Präsidialabteilung unsere entsprechende Anfrage beantwortete (wir berichteten).

Am Montag Abend betrat Beat Jans die Bühne und verkündete Stolz, Basel hätte den Zuschlag als Tagungsstätte des ersten Zionistenkongresses “nicht einfach so” bekommen. Es verhielt sich halt so, dass die anderen in Frage kommenden Orte halt noch antisemitischer gewesen wären als die “liberal gesinnten” Basler. Immerhin verschwieg der höfliche Chronist dabei, die Münchner jüdische Gemeinde wollte selbst diese aufrührerischen Zionisten nicht in ihrer Stadt:

That the first Zionist congress of 1897 could be held in Basel was not simply a matter of course. Antisemitism was growing, the Dreyfus affair was ongoing, and just four years before, the Swiss population have voted for an antisemitic motivated referendum, banning shechita. Nevertheless, the liberally minded government in Basel showed itself to be more open and made it possible, what was inconceivable in Vienna, in Munich or even in Zurich.

Mitschrift des Vortrages von Regierungspräsident Beat Jans

Die Stadt Basel im Anschluss daran als “wichtige Erinnerungsstätte” für die jüdische Gemeinde und in der Geschichte des Zionismus zu bezeichnen, grenzte zwar an Geschmacklosigkeit, angesichts dessen, was der Chronist nicht verschweigen konnte: dass nämlich auch Basel – wenngleich in seiner Flüchtlingspolitik “humaner” als die übrige Schweiz – ebenfalls Juden an der Grenze zurückwies bzw. in den sicheren Tod “repatriierte. Sich der Vergangenheit zu stellen und “jeden einzelnen Fall zu dokumentieren”, sei die Aufgabe von heute:

During the Nazi period, Basel pursued a more humane refugee policy than Switzerland as a whole, however repatriations and expulsions of Jewish people took place in Basel as well. People were sent to their death, due to the indifference of the authorities. Facing this past and documenting each individual case, is our moral obligation today.

Mitschrift des Vortrages von Regierungspräsident Beat Jans

Darauf folgte ein Lobgesang an Basels erfolgreiche Positionierung als Tagungsort von so manchen fortschrittlichen Ansinnen, von der Zweiten Internationalen in 1912, über die Treffen des Hertenstein Programms zu frühen europäischen Integrationsbestrebungen, bis hin zur Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit 2014, um die Lage in der unruhigen Ostukraine zu entspannen – leider, “wie wir alle wissen”, erfolglos. Es war ein einziges Verkaufsgespräch, eine kalte Akquise für Dialog und friedliche Koexistenz. Und weil er schon dabei war, vergass er nicht zu erwähnen, dass – zumindest aus seiner Sicht – auch der Zionismus nicht all seine Ziele erreicht hätte: es gäbe heute noch keine friedliche Koexistenz zwischen Israeli und Palästinensern.

Basel has, in 1912, hosted socialists from around the world. They gathered at the Münster, to make a stand against impeding war, organized by the Second International. Also, Basel hosted many meetings of the Hertenstein program, which conceptualized and promoted the idea of a European federation for a peaceful Europe. And in 2014, Basel hosted the conference of Organisation for Security and Cooperation in Europe, with the goal of easing tensions and promoting peace in Eastern Ukraine. This conference was awarded the Ewald von Kleist award for peace and dialogue. But, as we all know, the democratic and peaceful coexistence achieved during this conference could not be permanently secured.
This also goes for Zionism, which could not realize all the goals, as the principal actors initially imagined. Peaceful coexistence between Israelis and Palestinians remains a remote prospect.

Mitschrift des Vortrages von Regierungspräsident Beat Jans

Bühne frei für den zweiten Schweizer Redner, Bundesrat und Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Es ist nicht klar, warum unser Land nicht in der Lage ist, auch nur einen der 7 Zwerge so zu wählen, dass man sich nicht fremdschämen muss, wenn sie in Englisch etwas vortragen. Parmelins Rede war, abgesehen von seinem Franglais, der auch für unser an Franko-Kanadiern geschultem Ohr schwierig zu entziffern war, dermassen holprig abgefasst, dass man kaum folgen konnte. Oder lag es daran, dass der Bundesrat erstens alles wegliess, was die Schweiz, sagen wir mal, in einem ungünstigen Licht hätte erscheinen lassen. Als unterrichtete er Grundschüler in Schweizer Geschichte, wo die grauenvolle – und bis heute nicht richtig aufgearbeitete – Geschichte unseres Landes im Zweiten Weltkrieg die zart beseiteten Seelen bloss verstört hätte! Kein Wort aus seinem Munde zu den geschlossenen Grenzen, die Schikanierung von den Wenigen, die diese Politik nicht mitgetragen haben – Paul Grüniger in der Ostschweiz, Carl Lutz in Budapest. Kein Wort zu den “nachrichtenlosen Geldern” und der von antisemitischen Zügen begleiteten, von aussen erzwungenen Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels, das damit endete, dass der Bergier-Bericht bis heute ausserhalb von Akademikerkreisen weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Dafür schmierte Parmelin den Zuhörern erst einmal Honig ums Maul, die Ähnlichkeiten betonend:

In one respect, Israel and Switzerland are very similar; we both invest above average in education, in creating knowledge, in creating something new – for us and for the world.
As a government minister, whose portfolio also includes innovation, Israel impresses above all as a start-up nation. Herzl’s vision, formulated here a hundred and twenty five years ago, is a reality today: the self-determination of the Jewish people has today become a self-determined Jewish state.

Ansprache von Bundesrat Guy Parmelin, veröffentlicht von der Bundesverwaltung

Und gleich anschliessend, wie die Gerade eines Boxers, mitten ins Gesicht: so, wie Ihr Juden Euer Selbstbestimmungsrecht erhalten habt, so habt Ihr das den Palästinensern zu geben. Selbstverständlich ist dem Bundesrat freigestellt, das Mantra aus Brüssel nachzuplappern, und noch schlimmer, in gleicher Weise, wie die Europäische Union, die schändlichen Terrorrenten mitzufinanzieren – aber an diesem Abend?

As a member of the federal government, it is important for me at this point to also address the right of the Palestinian people to self-determination. In the Swiss government’s view, only a negotiated two-state solution can bring about a just and lasting peace between Israelis and Palestinians.

Ansprache von Bundesrat Guy Parmelin, veröffentlicht von der Bundesverwaltung

Nach diesem Schlag war es unmöglich, diesen Redner noch ernst zu nehmen, auch wenn die im Saal Anwesenden höflich klatschten. Seine Versicherungen, die Erinnerung daran, weshalb vor 125 Jahren der erste Zionisten-Kongress stattfand, müsse als Warnung für uns alle gelten. Seine Aussage, man wolle “unsere jüdischen Gemeinden” nicht verlieren, weil dann ein Tei von uns allen verloren ginge. Und dass die “Schweiz auch eine jüdische Schweiz” sei. Glaubt ihm das noch jemand?

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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