Preisgekrönt? – Die Schande geht weiter!

Die Moderatoren Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt der NDR Talk Show Fototermin im NDR Studio Hamburg Lokstedt am 24.5.2019 (imago images)

Hamburg – In der Talkshow des Norddeutschen Rundfunks trat am letzten Freitag der “Poetry-Slam-Meister” David Friedrich auf. Dort trug er sein, im vergangenen Oktober, in der Nürnberger Meistersinger-Halle preisgekröntes Stück “Reparatur” vor, in dem er sich vorgeblich seiner Depression widmet. Einschliesslich eines Satzes, über den hier bereits vor rund drei Monaten berichtet worden war.

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Die damals gewählte Formulierung preisgekrönte Schande bezieht sich auf eine Passage, den Friedrich wieder genauso zum “Besten” gab:

Meine Haut ist so dünn. In der Kita würden sie kleine Laternen aus mir basteln, weil das Kerzenlicht so schön durchflackern würde.

Quelle: Auftritt von David Friedrich in der NDR Talk Show vom 21.01.2022 ab Minute 11:55

Natürlich versuchten wir im Vorfeld der Ausstrahlung Kontakt mit den Machern der Sendung aufzunehmen, und auf die Problematik hinzuweisen. Unser Schreiben:

Für heute Abend ist u.a. der Poetry-Slammer David Friedrich angekündigt, der auch sein Gewinner-Text vortragen soll. Ist Ihnen die darin enthaltene Zeile:

“… Meine Haut ist so dünn. In der Kita würden sie kleine Laternen aus mir basteln, weil das Kerzenlicht so schön durchflackern würde. …”

geläufig? Sind Sie sich der Tragweite dieser Ungeheuerlichkeit – nota bene jetzt, wenige Tage vor dem Internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust – bewusst? Werden Sie den Künstler darauf ansprechen? Als ich im vergangenen November den Sender anschrieb, bekam ich leider keine befriedigende Antwort.”

Quelle: Unser Schreiben an den Norddeutschen Rundfunk, vom 21.01.2022

Thematisiert wurde die Zeile in dem rund 20 Minuten dauernden Interview mit dem Poetry-Slammer nicht. Einzig dies wurde von Friedrich angeführt:

Ihr habt Euch diesen Text ausdrücklich gewünscht. Ich habe der Redaktion vorher gesagt, eigentlich fühle ich mich damit nicht so wohl, weil es halt ein sehr persönlicher Text ist …

Quelle: Mitschnitt der NDR Talk Show vom 21.01.2022, ab Minute 10:45

Das erinnert doch sehr stark an die Reaktion des verantwortlichen Redakteurs Dr. Claus Schöck von NDRkultur, der damit begründen wollte, warum die Textpassage “nicht die unfassbaren Verbrechen relativieren will, die Juden im Holocaust angetan wurden”. Eine Auseinandersetzung mit der skandalösen Textzeile ist es nicht. Es kann, auch bei noch so wohlwollenden Betrachtung, nicht als Erklärung ausreichen, was Friedrich “geritten” hat, mit dem Bild des Laternenschirms aus Menschenhaut Poesie zu machen! Unabhängig davon, ob es solche Lampenschirme je gegeben hat, und losgelöst von der Frage, ob dem Poetry Slammer David Friedrich die Auseinandersetzung um die Existenz solcher Elaborate geläufig war – wie kommt man dazu?

Im Webauftritt der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald wird die Ungeheuerlichkeit, aus Menschenhaut Lampenschirme zu basteln, thematisiert. Es wird dabei den Fragen nachgegangen, ob es solche gegeben und wer sie wirklich gesehen hat, ob solche Lampenschirme in den Prozessen nach dem Krieg je als Beweisstücke verwendet wurden und wie das Thema später behandelt wurde. Hier kam ein Gutachten zum Schluss:

Präparat IV (Lampenschirm) ist dagegen serologisch nicht als menschlicher Art zu identifizieren. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Kunststoff, der in ähnlicher Zeit für Lampenschirme produziert wurde. Letztlich ist aber nicht völlig auszuschließen, daß es sich dennoch um biologisches Material handelt.

Quelle: Buchenwald Memorial, zitiert aus dem Gutachten des Instituts für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Akademie Erfurt (Prof. Dr. sc. med. Leopold) vom 06.07.1992

In den Prozessen gegen die gefürchtete Ehefrau des Lagerkommandanten von Buchenwald Ilse Koch sind zwei eidesstattliche Erklärungen aktenkundig, welche in Bezug auf die Herstellung solcher Lampenschirme aus Menschenhaut verweisen. Doch das ist im vorliegenden Zusammenhang gar nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass David Friedrich seine Aussage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aus der Luft gegriffen hat, sondern die Provenienz gekannt haben muss. Und damit überschreitet er nach unserer Einschätzung nicht bloss die Grenzen des guten Geschmacks und der Kunstfreiheit, sondern er verletzt die Würde des Menschen. Mit der wiederholten Ausstrahlung verstösst der Sender auch gegen die im Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunks festgelegten “Angebotsgrundsätze”:

(1) Der NDR ist in seinen Angeboten an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Er trägt zur Verwirklichung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bei.

(2) Der NDR hat in seinen Angeboten die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Er soll dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer zu stärken und sich für die Erhaltung von Natur und Umwelt sowie die Grundsätze der Nachhaltigkeit einzusetzen. Das Angebot des NDR soll die Zusammengehörigkeit innerhalb Deutschlands und Europas sowie die internationale Verständigung fördern, für die Friedenssicherung und den Minderheitenschutz eintreten, die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützen und zur sozialen Gerechtigkeit beitragen. Die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten.

Quelle: aus §7 des Staatsvertrags über den Norddeutschen Rundfunk, 4./9. März 2021

Darüber hinaus leistet der Sender mit der Ausstrahlung Vorschub für Holocaust-Relativierung, und das wenige Tage vor dem Jahrestag der Befreiung der grössten industriellen Tötungsfabrik, Auschwitz. Fassen wir zusammen: David Friedrich ist Gast bei NDRkultur kurz vor dem Gedenken an die Pogromnacht. Er bekommt einen Auftritt in der NDR Talk Show knapp eine Woche vor dem Internationalen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. An beiden Anlässen wird prominent die Zeile mit den Laternen aus Menschenhaut erwähnt. Alles nur Zufall?

Selbstverständlich wollen wir dem Poetry-Slammer Gelegenheit geben, sich zu erklären. Eine entsprechende Anfrage ist erfolgt, jedoch noch nicht beantwortet. Eine Antwort des Senders auf unsere Eingabe steht ebenfalls noch aus. Eine Anzeige an den Rundfunkrat des Norddeutschen Rundfunks ist in Vorbereitung.

UPDATE: Wenige Stunden nach dem Erscheinen des Beitrags veröffentlichten die Macher den folgenden Beitrag in ihrem Facebook-Account:

Erst etwa nach 100 begeisterten Kommentaren, die allesamt ihrer Begeisterung über die treffende Umschreibung der Situation von Depressiven Ausdruck verleihen, der Kommentar von “Barbara Fran kreiter”. Die knapp 40 Antworten, muss man aber auch lesen!

UPDATE: die Redaktion der NDR Talk Show hat sich nach 2 Wochen zu einer Antwort bequemt:

vielen Dank für Ihre Nachricht, die wir aus produktionstechnischen Gründen am Sendungstag nicht lesen konnten, sondern erst nach der Aufzeichnung.

Bei dem Text von David Friedrich, mit dem er die deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaften letztes Jahr gewonnen hat, handelt es sich um die von ihm verbalisierten persönlichen Empfindungen und – wie im Gespräch mit ihm in der Sendung ja auch sehr deutlich gemacht wurde – um seine subjektive, künstlerische Verarbeitung seiner Depressionen. So wurde es ja offenbar auch von der Jury der deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaft verstanden.

E-Mailantwort auf meine Eingabe (21.01.2022) von 4.02.2022 11:41 Uhr

Das darf nicht unwidersprochen bleiben, und so habe ich darauf reagiert:

Im 21. Jahrhundert mit 14-tägiger Verspätung davon zu schreiben, es sei ihnen aus «produktionstechnischen Gründen» nicht möglich gewesen, sich zu melden, ist gelinde gesagt sehr weit hergeholt und als Entschuldigung untauglich.

Sehr schade, schreiben Sie dazu auch noch komplett am Thema vorbei. Das Thema ist, mit welchen Mitteln er seinen Kampf / Verarbeitung seiner Depression verarbeitet. Und da sind Bilder, die an den Holocaust erinnern, ein absolutes No-Go. Eigentlich sollte das ein «no-brainer» sein, sollte man meinen. Dass Ihnen das offensichtlich nicht klar ist, lässt mich grundsätzlich zweifeln an der vielbeschworenen Erinnerungskultur, an der aus der Schoah gezogenen Lehren und dem Kampf gegen Antisemitismus!

Meine E-Mail an die NDR Talk Show Redaktion

Damit geht es nun in eine weitere Runde, die Eingabe an den Rundfunkrat des NDR.

Dieser Beitrag wurde aktualisiert durch Thomas Morvay, vor 3 Jahren

About Thomas Morvay 352 Articles
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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