Netanjahu reist nach Washington

Abflug des israelischen "Air Force One" aus Israel, heute morgen. Im Bild der Flughafen Ben-Gurion, im Augenblick als sich "AF1" in die Lüfte erhebt. (Quelle: ADS-B Exchange; Lizenz: OpenStreetMap)

Obwohl seit Monaten geplant, findet die Reise des israelischen Premierministers nach Washington unter vollkommen unabwägbaren Vorzeichen statt. Netanjahu landet sozusagen mitten in einem Minenfeld: die Karten des US-Wahlkampfes werden aktuell neu gemischt, nachdem sein Freund seit 40 Jahren, der amtierende Präsident Joe Biden, eben seinen Verzicht auf die erneute Kandidatur verkünden liess.

Alleine schon die Tatsache, dass der israelische Ministerpräsident sein Land mitten in einem Krieg verlässt, ist aussergewöhnlich. Eben hat die israelische Armee die Bevölkerung im Gebiet östlich von Khan Yunis aufgefordert, umgehend in die “humanitäre Zone” in Mawasi zu dislozieren. Offiziell rätselt die Welt nach wie vor darüber, ob einer der Hauptverantwortlichen für das Pogrom am 7. Oktober 2023 vor Wochenfrist tatsächlich eliminiert worden war. Die Gerüchteküche brodelt, dass ein “Deal” um die Heimbringung der damals verschleppten Menschen – es sollen noch immer an die 120 Menschen sein – endlich realisiert werden kann.

Es ist davon auszugehen, dass das Festhalten an dieser Reise, in dessen Verlauf Präsident Biden seinen Freund Benjamin Netanjahu im Oval Office empfangen wird – auch dies wurde ebenfalls aktuell bestätigt – besondere Gründe hat. Die geplante Rede des israelischen Regierungschefs vor beiden Kammern des US-Parlaments erhält unter den, in den letzten Tagen geänderten, Vorzeichen besondere Bedeutung. Es erscheint fast unmöglich, dass diese Rede schon geschrieben ist. Vielmehr darf man davon ausgehen, dass Netanjahu am Mittwoch aus dem Stegreif reden wird: es sind gar zuviel der Unwägbarkeiten, das vorhin erwähnte Minenfeld verändert sich quasi stündlich.

Während das Schicksal des amerikanischen Präsidenten bereits besiegelt ist, hofft Netanjahu noch immer, sein ramponiertes Image, und vielleicht seine politische Zukunft, durch den Auftritt doch noch zu retten. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie alle 4 Jahre alle möglichen Bewerber um das Präsidentenamt, aber auch jene um Parlamentssitze, nach Israel pilgern, um sich möglichst medienwirksam ablichten zu lassen, kann man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, dass der israelische Premier, der vielleicht gewiefteste Medienprofi der israelischen Politik, ebenfalls genau das tut – mit umgekehrten Vorzeichen.

Wird diese Reise mehr als eine blosse Fussnote – für die Vereinigten Staaten, den amtierenden Präsidenten Joe Biden, aber benfalls für den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu? Werden gar in Washington sensationelle Nachrichten verkündet, mit Blick auf den Krieg in Gaza? Es bleibt spannend!

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Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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