Letzte Aktualisierung am 2. Dezember 2022 durch Thomas Morvay
Berlin – Diese Woche veröffentlicht der Beauftragte der deutschen Bundesregierung die erste “Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben”. Wir haben hingeschaut und das Papier begutachtet: was verspricht es und werden den heeren Worten realistischerweise bald Taten folgen?
Um es vorweg zu nehmen, im Papier steht – bestenfalls – sehr wenig, was man nicht schon zuvor gehört hätte. Und ein paar Dinge stehen dort noch immer nicht. Insofern gilt daher: an ihren Taten sollt ihr sie messen und nicht bloss an ihren Worten. Aus diesem Grund besteht der grösste erkennbare Wert in der Tatsache, dass es dieses Papier gibt. Zum ersten Mal erläutert damit die Bundesregierung ihre Ziele einzig in Bezug auf den Kampf gegen Judenhass. Zwar verkennt sie nicht den gemeinsamen Hintergrund mit Rassismus oder Fremdenhass, dennoch spricht aus dem gesamten Dokument in erster Linie die Angst und Sorge vor der scheinbar explodierenden Zahl judenfeindlicher Vorfälle der letzten beiden Jahre, in Deutschland und anderswo.
An erster Stelle aufhorchen lässt dabei eine Formalie: auch wenn über dem Papier der Siegel der Bundesregierung prangt und durchgehend auf die “Ziele der Bundesregierung” hingewiesen wird, Herausgeber ist nicht etwa das Bundesministerium des Innern, und vorgestellt wird es – im spärlich besetzten Raum der Bundespressekonferenz – auch nicht durch die zuständige Ministerin Nancy Faeser. Vielmehr sassen auf dem Podium und sprachen zum Thema der Antisemitismusbeauftragte des Bundes Dr. Felix Klein sowie Katharina von Schurbein, die Inhaberin der entsprechenden Stelle bei der EU. Die EU hat ihrerseits den Mitgliedsländern vorgegeben, jeweils nationale Strategien bis Ende 2024 aufzustellen. Dieser Vorgabe kamen bisher 7 Staaten nach, wie von Schnurbein in der Presseorientierung ausführte.
Die intellektuelle Übung an und für sich verdient das Prädikat “solides Handwerk”. Gelungen scheint mir insbesondere die mehrdimensionale Betrachtungsweise – 5×3 genannt. Gemeint sind die 3 übergeordneten, resp. sich über alle 5 Handlungsfelder erstreckenden sog. Querschnittsdimensionen. Wem das zu akademisch erscheint, kann es auch als 5 Themengebiete mit Handlungsbedarf ansehen, welche aus 3 Blickwinkel betrachtet werden sollen. Hier das Inhaltsverzeichnis des Papiers, um dies zu veranschaulichen:
Ein Ausblick genannter Abschnitt verweist auf künftige Berichts- und Kontroll-Obliegenheiten. Damit ist das eingangs aufgeführte Erfordernis, die Strategie durch Taten zu konkretisieren. Daran wird sich die Effektivität ermessen lassen, resp. dadurch wird das Papier mit konkretem Sinn gefüllt. Ebenso werden hier die Grenzen dessen vor Augen geführt, was der Antisemitismusbeauftragte ist und sein kann: es bleibt ihm nicht viel mehr als Mahner zu sein, der im Idealfall Dinge koordinieren darf, die andere ersinnen und durchführen. An der Redlichkeit des Amtsinhabers zweifelt an dieser Stelle niemand. Ob er auch Dinge bewegen kann, wird erst die Zukunft weisen.
Es sei in diesem Zusammenhang noch darauf zu verweisen, dass – während es fast schon in jedem Amt und in jeder Dienststelle einen Antisemitismusbeauftragten gibt – nicht einmal alle Bundesländer eine solche Position haben: im Bundesland Bremen war es die Jüdische Gemeinde selbst, die die Sinnhaftigkeit infrage gestellt hatte. Das Motto schien aus der Unternehmenswelt entlehnt: wenn man nicht weiss, ob und was man tun soll, berufe man ein Komitee mit der Vorgabe, das Vorschläge auszuarbeiten sind. Eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Personen und Begebenheiten sind natürlich rein zufällig.
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