München – In München ging am Sonntag die unter strengen Corona-Auflagen durchgeführte Sicherheitskonferenz zu Ende, zugleich die Abschiedsvorstellung ihres Chefs Wolfgang Ischinger, nach 14 Jahren an der Spitze der Organisation. Während sich bedeutende Staatsmänner – und erfreulicherweise eine bedeutende Zahl von Staatsfrauen – die Ehre gaben, fehlte eine Delegation: kein Putin, kein Lawrow, keine Russen. Ob man eines Tages an diese Veranstaltung als die vertane letzte Chance des Kremlchefs erinnern wird?
An der Münchner Sicherheitskonferenz wurde schon manche Chance genutzt, um Gräben zu überwinden, wie etwa das Shake-hands zwischen Israels Verteidigungsminister ‘Bogey’ Yaalon und dem saudischen Geheimdienstminister Prinz Feisal al-Turki, am Valentinstag des Jahres 2016. Dazu konnte es heuer nicht kommen, denn die Russen haben schon vorher abgesagt. Was freilich niemand dies- und jenseits des Atlantik daran hinderte, dennoch dem russischen Präsidenten die Hand bildhaft entgegen zu strecken, um diesem über eigens für ihn gebaute Brücken zu helfen. Es sei noch immer Zeit für eine diplomatische Lösung, betonten sie alle – allerdings nicht der, trotz der dramatischen Lage, angereiste Ukrainer Volodymir Zelensky. Bei ihm hatte man das Gefühl, er wolle austesten, wer ihm noch in die Augen schauen könne, wenngleich es jenseits von verbalem Sukkurs wenig Konkretes gab.
Bundesaussenministerin Annalena Baerbock sagte am Freitag:
Wenn es zu einem russischen Angriff auf die Ukraine käme, dann hätte dies massive Konsequenzen für Russland – finanziell, politisch und wirtschaftlich.
Quelle: Rede von Aussenministerin Baerbock an der Münchner Sicherheitskonferenz am 18. Februar 2022
Diese Botschaft wiederholten in den drauffolgenden beiden Tagen auch der Aussenminister und die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, der britische Premier und auch die Aussenminister der G7-Gruppe nach einem spontanen, ausserordentlichen Treffen am Rande der Konferenz. Das ist auch in Ordnung, es gehört sich so – aber ob das reicht, um Putin vor einem erneuten Einfall in die Ukraine zu bewahren?
Von ukrainischer Seite verlautete, man sei dankbar für das Einstehen der westlichen Regierungen, aber es reichte nicht. Sowohl der ukrainische Präsident Zelensky als auch Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko bedankten sich explizit für 5’000 Helme aus Deutschland. Aber insbesondere der Präsident ging deutlich weiter: er verlangte ein eindeutiges Bekenntnis der Nato. Es ist nicht zu erwarten, dass der Westen darauf eingeht, und somit hat Zelensky seinem Land leider einen Bärendienst erwiesen mit dieser Forderung.
Der Generalsekretär der Nato, der Norweger Jens Stoltenberg, erhielt an der Konferenz den nach dem Begründer des MSC benannten Ewald von Kleist-Preis. Auch er konnte in München nicht mehr tun, als eindringlich davor zu warnen, welche Unwägbarkeiten bei einem russischen Überfall auf die Ukraine drohten. Und noch einer musste den Offenbarungseid leisten: der EU-“Aussenminister” Josep Borrrell bekannte in einer Gesprächsrunde zur Aussen- und Sicherheitspolitik der EU, es gäbe halt nur nationale aussenpolitische Linien, kein einheitliches politisches Bekenntnis zu einer europäischen Aussenpolitik. Aber niemand fragte nach, wofür Señor Borell aus Brüssel dann stünde!
Wie es aussieht, hat Putin gut lachen nach diesem Wochenende. Nicht nur bekam er einen Blankoscheck, im Nachbarland – das er gar nicht als solches anerkennt – zu tun, wie es ihm beliebt. Durch das Angebot aus Washington, das zunächst nur als Gerücht die Runde machte, wonach US-Präsident Biden bereit sei, sich mit Putin zu einem Gipfel zu treffen, desavouierte Biden das vielbeschworene Versprechen, nicht ohne die Ukraine über die Ukraine zu verhandeln. Was sonst will er denn an einem solchen Gipfel tun, wozu Putin ein solches Erscheinen im Rampenlicht – und damit eine implizite Legitimation für sein Handeln – bieten? Das ist kein Verhalten einer Führungsmacht! Es fehlt nur noch, dass Biden von einem Gipfel mit einem Stück Papier zurückkehrt, und dieses in die Kameras hält. Vielleicht spendieren Grossbritannien die Melone, und die Europäer den Regenschirm?
Ein guter Kommentar. Es ist traurig für die Ukrainer. Wie 1938 oder 1968 auf den Westen ist kein Verlass.
Interessant, es gibt keine Demos oder Aktionen zu Gunsten der Ukraine.Gegen Israel oder USA gehen sofort alle auf die Barrikaden.