Krieg in Europa – eine neue Realität?

In der Nacht zum 26. Februar 2022: der jüdische Präsident der Ukraine Wolodymir Selenskij, umgeben von Mitstreitern in Kiew. Er weigert sih, sein Land im Stich zu lassen, und wird so zum - hoffentlich nicht tragischen - Helden. Copyright: imago /ZUMA / ukr. Präsidialamt

Letzte Aktualisierung am 26. Februar 2022 durch Thomas Morvay

Zürich – Die Menschen in Europa durften sich bis vor Kurzem dessen rühmen, dass der Kontinent weitgehend von kriegerischen Auseinandersetzung zu ihren Lebzeiten verschont geblieben ist. Es ist dies eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft, wenn man sie mit den Jahrhunderten zuvor kontrastiert. Auch wenn sie streng genommen schon länger nicht mehr stimmte. Damit ist aber seit 3 Tagen endgültig Schluss.

Dass der Auflösungsprozess des Ostblocks, und parallel dazu die deutsche Wiedervereinigung, weitgehend ohne militärischen Konfrontationen abgewickelt wurde, ist zweifellos ein Faktum, das zu Recht als besonderer Erfolg dargestellt werden kann. Ja, es gab Konflikte auf dem Balkan, das nicht zuletzt durch das Eingreifen der Nato beendet werden konnte. Und es gab Krieg im Süden, in den sogenannten “-stans” des Sowjetreiches: der Begriff der hybriden Kriegsführung ist in erster Linie im Zuge dieser Konflikte entstanden.

Doch die Einverleibung der Krim durch Russland, im Jahr 2014, und insbesondere der flächendeckende russische Angriff auf die Ukraine seit nunmehr 3 Tagen hat eine neue Diemnsion. Russland stellt damit auch das Selbstverständnis der Nato infrage. Grenzen, physische wie auch gedankliche, die bis anhin als klar definiert galten, müssen neu austariert werden. Der russische Präsident Putin hat der Ukraine ihre Staatlichkeit abgesprohen, bezeichnete sie als Teil der russischen Geschichte. Er knüpft damit – und das haben manche noch immer nicht kapiert – nicht auf sowjetische Zeiten an, im Gegenteil, sein Wunschtraum ist das zaristische Russland des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts.

Es bedurfte selbst angesichts dieser Ungeheurlichkeit erheblicher Überzeugungsarbeit, bevor die europäischen – eigentlich muss man sagen, die west-europäischen – Länder sich dieser Wahrheit sich stellten: zuvorderst ist dabei auf die Gas-Pipeline Nord Stream 2 zu verweisen, das noch zu Beginn der Amtszeit von Olaf Scholz in Deutschland als ein rein wirtschaftliches Projekt bezeichnet worden war. Lange war auch, nicht nur in Deutschland, die durch massive Propaganda gestützte irrige Auffassung vorherrschend, die Ost-Erweiterung von Nato und EU lägen finstere Machenschaften zugrunde, welche zu Recht die Argwohn Russlands erweckten. In Wirklichkeit war die Hauptmotivation der ehemaligen Ostblockländer immer schon in der Angst vor russischem Hegemoniedenken begründet.

Der jüdische Präsident der Ukraine Wolodymir Selenskij und der Bürgermeister von Kiew, der ehemalige Boxer Wladimir Klitschko, sind nur die sichtbare Spitzen des heroischen Kampfes gegen die russische Übermacht. Sie, und alle, die sich der Flutwelle anrollender russischer Panzer und anfliegender russischen Flugzeuge widersetzen, verdienen Hochachtung. Es wurde auch höchste Zeit, und es muss hinterher aufzuaufbeiten sein, weswegen dies so lange gedauert hat, bis endlich Waffen an die Ukraine geliefert werden. Hier haben sich weder die Vereinigten Staaten, noch die europäischen Länder bisher mit Ruhm bekleckert. Ebenso wird es notwendig sein, die Hintergründe der katastrophalen Kommunikation des Schweizer Bundesrates, schonungslos zu durchleuchten, um daraus bitter notwendige Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Es ist zu hoffen, dass der Kampf um die Ukraine nicht wie der Aufstand im Warschauer Ghetto endet. Ebenso, wie es zu hoffen ist, dass Selenskijs Hilferufe vom vergangenen Wochenende in München und danach, nicht so unerwidert verhallen, wie jene der ungarischen und der tschechischen und slowakischen Helden, im Kalten Krieg. Der russische Präsident und seine Helfershelfer gehören vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, wenn für nichts anderes, dann für die Verstösse gegen die UN-Charta. Ob Russland dabei noch den Sonderstatus im Sicherheitsrat behalten darf, ist ebenso zu prüfen.

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

2 Kommentare

  1. Ich teile Deine Meinung und denke, dass ist die Kernaussage:
    Lange war auch, nicht nur in Deutschland, die durch massive Propaganda gestützte irrige Auffassung vorherrschend, die Ost-Erweiterung von Nato und EU lägen finstere Machenschaften zugrunde, welche zu Recht die Argwohn Russlands erweckten.In Wirklichkeit war die Hauptmotivation der ehemaligen Ostblockländer immer schon in der Angst vor russischem Hegemoniedenkenbegründet.
    Kompliment

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