Keine rechtliche Handhabe

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Bei wohlwollender Betrachtung könnte man ihm eine blühende Fantasie bescheinigen: der Berliner Kochbuchautor Attila Hildmann ist jedoch auch ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. Er fällt wiederholt durch extreme, zum Teil antisemitische Äusserungen auf, es scheint jedoch hohe Hürden zu geben, die bisher ein Strafverfahren gegen ihn verhindern.

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(Berlin) – Hildmann bezeichnet sich als “deutschen Nationalisten”, was eine Falschheit ist, grösser als sie bei A.H. (unsäglichen Angedenkens) gewesen war: Herkunfts-bezogen fliesst in seinen Adern türkisches Blut, aufgewachsen ist er bei Adoptiveltern. Sein Adoptivvater verstarb an einem Herzinfarkt, als er etwa 10 war, und der Junge gab dessen übertriebenem Fleischkonsum die Schuld dafür. Was ihn angeblich veranlasst hatte, Vegetarier zu werden, sich intensiv seinen Ernährungsgewohnheiten zu widmen und mit Kochen zu beschäftigen. Seine Rezepte hat er in Kochbüchern verewigt, zudem besitzt er mehrere Imbisse in Berlin. Er würde uns gerne glauben machen, dass ihm diese beiden Interessen den Lebensunterhalt finanzieren.

Indes, in dieses Kapitel gehört auch, dass sich Hildmann durch die Flüchtlingspolitik Angela Merkels bedroht fühlte und sich für Politik zu interessieren begann – es ist davon auszugehen, dass diese Begründung, weshalb einer keinen anständigen Beruf ergreift, in den Politikerbiografien der Zukunft noch häufiger zu lesen sein wird. Wobei, Hildmann als Politiker zu bezeichnen, ist vermutlich ebenso falsch, wie man einen Aussenminister, der erklärtermassen “wegen Auschwitz in die Politik” gegangen sein will, als Philosemiten bezeichnen wollte. Das aber sei nur nebenbei angemerkt. Richtig ist hingegen, dass Hildmanns Meinung über die Bundeskanzlerin nachhaltig – und ganz klar nachteilig – beeinflusst wurde durch das, was nicht nur ein türkisch-stämmiger “deutscher Nationalist” – ab wann ist es gerechtfertigt, das Wort mit “z” zu schreiben – als “unkontrollierte Zuwanderung” empfand. Seither verteufelt er Merkel als “Kommunistin, Zionistin, Satanistin”. Mittlerweile arbeitet er sich auch gerne an anderen Zeitgenossen ab: für den ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen Volker Beck fantasierte Hildmann jüngst: “Für Beck würde ich als zukünftiger Reichskanzler wieder die Todesstrafe durch Eier-Treten auf öffentlichem Platz einführen“, und fragte später in die Menge (im vorliegenden Fall war diese Menge im untersten dreistelligen Bereich), wer da “mittreten würde”.

Volker Beck hat daraufhin Strafanzeige gestellt. Doch er ist nicht allein. Bei der Polizei Brandenburgs arbeitet, nach einem Bericht im Tagesspiegel, ein Social-Media-Team fast ausschliesslich Anzeigen wegen Hildmann ab. Doch: “Eine Strafbarkeit wurde bisher durch die Staatsanwaltschaft verneint.” Das liegt anscheinend am Konjunktiv, das Hildmann verwendet. Tatsächlich stellt das deutsche Strafgesetzbuch sehr hohe Hürden auf: mit “würde” und “wäre” lässt sich keine Androhung oder Ankündigung einer Straftat begründen. Nach der geltenden Rechtsauffassung bewege man sich hier im Bereich des Fantasierens, aus denen nicht auf das tatsächlich beabsichtigte Verhalten schliessen lässt. Mit Verlaub, egal, was sonst in die “Interessen-Abwägung” einbezogen wird, hat man so wenig aus der Geschichte gelernt? Müssen diese Strafrechtler, oder die Juristen der Staatsanwaltschaften tatsächlich noch daran erinnert werden, in welcher Sprache der “25-Punkte-Programm” oder “Mein Kampf” abgefasst waren, und was für Konsequenzen aus dieser Sprache sich ergaben? Das kann doch nicht wahr sein!

UPDATE: Am 23. Juli wurde bekannt, dass eine Kundgebung Hildmanns vom kommenden Samstag in Berlin verboten worden ist. Es ist somit ein Anfang gemacht, zumal bekannt wurde, dass nunmehr Ermittlungen auch wegen Volksverhetzung und Androhung einer Straftat aufgenommen werden. Ds ist zu begrüssen, wenn auch die Unterbindung resp. Verbot einer Demonstration wohl auf den Kanal zielt, über den Hildmann am wenigsten Menschen zu mobilisieren vermag. Um ihm und seinesgleichen erfolgreich zu begegnen bedarf es Massnahmen in den neuen Medien, wie Telegram oder YouTube. Und da steckt die Missbrauchsbekämpfung allgemein und jene in Deutschland speziell noch in den Kinderschuhen, weil den Strafverfolgungsbehörden der Sachverstand und auch der rechtliche Rahmen noch fehlen.

Dieser Beitrag wurde aktualisiert durch Thomas Morvay, vor 5 Jahren

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Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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