Judenhass auf traurigem Höhepunkt

Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, hier an der Pressekonferenz u.a. mit Anetta Kahane, der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung im vergangenen November, präsentierte den Bericht zusammen mit Benjamin Steinitz von RIAS und Marina Chernivsky von OFEK.

Letzte Aktualisierung am 28. Juni 2022 durch Thomas Morvay

Berlin – Heute hat der Bundesverband Recherche- und Informationsstellen e.V. seinen Bericht zu antisemitischen Vorgängen im Jahr 2021 vorgestellt. Sie stellt dabei die erschreckende Zahl von über sieben Vorfällen pro Tag in den Fokus und betont, dass Antisemitismus leider zum Alltag geworden ist. Die anhaltende Coronapandemie und das Aufflammen des arabisch-israelischen Konflikts waren im letzten Jahr prägende Anlässe des Vorfallgeschehens, wie sich der Bericht ausdrückt.

Insgesamt 2’738 antisemitische Vorfälle haben die Meldestellen von RIAS erfasst, damit deutlich mehr als im Vorjahr. Darunter waren 6 “Fälle extremer Gewalt”, so etwa der Angriff auf einen jüdischen Teilnehmer einer Mahnwache für Israel und gegen Antisemitismus in Hamburg oder die Schüsse auf ein jüdisches Gemeindehaus in Berlin. Es mussten zudem zwei antisemitischen Vorfälle von Gewalt mit Todesfolge festgestellt werden, welche mit Verschwörungsmythen legitimiert worden waren.

Erschreckend, wenn der Bericht festhält, Antisemitismus stelle “für Jüdinnen und Juden in Deutschland weiterhin ein alltagsprägendes Phänomen” dar. Wie es in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung des Berichts heisst, “wurden dem Bundesverband RIAS 128 Vorfälle im Wohnumfeld der Betroffenen” gemeldet, so etwa der Diebstahl einer Mesusa an einer Wohnungstür. Dazu hält die Pressemitteilung lapidar fest, diese Vorkommnisse führten “häufig zu einer dauerhaften Verschlechterung der Lebensqualität”. Gesamthaft seien insgesamt 964 Personen von antisemitischen Vorfällen betroffen gewesen, darunter 518 Juden bzw. Israelis.

Unter dem Stuchwort “gesellschaftliche Gelegenheitsstrukturen” fasst der Bericht, im Zusammenhang mit der Coronapandemie, “Vorfälle verletzenden Verhaltens” zusammen. Dazu gehörten Schmierereien, Aussagen auf Demonstrationen oder in Online-Kommentaren zusammen. Angestiegen und weiterhin dominant feststellbar war das im Bericht “Schoa-relativierender Selbstviktimisierungen” genannte Tragen von gelben sog. Judensternen mit der Aufschrift “ungeimpft. Im Mai 2021 hatte 60% der Vorfälle zudem einen Bezug zum Aufflammen des israelisch-arabischen Konflikts – 315 von insgesamt 518 Fällen. Diese richteten sich, insbesondere über die Sozialen Medien, gegen erkennbare Jüdinnen und Juden und Personen, die offen ihre Solidarität mit IOsrael zum Ausdruck gebracht hatten.

Der Bericht ist unter dem Webauftritt des Bundesverbands RIAS, hier abrufbar.

Hier einige Stimmen aus der heutigen Pressekonferenz von RIAS:

Das Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle und Straftaten in Deutschland ist nach wie vor groß. Nur durch die zivilgesellschaftliche Dokumentation, welche auch Unterstützung für Betroffene vermittelt, ist es möglich das Dunkelfeld zu erhellen. Mittlerweile erfolgt diese Arbeit in der Mehrheit der Bundesländer vor Ort. Unser Bericht zeigt, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland nach wie vor unter dem Vorwand, Kritik an Israel äußern zu wollen, angegriffen und angefeindet werden. Staat und Zivilgesellschaft müssen den Betroffenen von Antisemitismus den Rücken stärken, auch indem sie Antisemitismus klar benennen und kritisieren. Die IHRA Arbeitsdefinition von Antisemitismus ist ein passendes Instrument, um die vielfältigen Formen des Antisemitismus sichtbar zu machen. Politisch motivierte Scheindebatten um ihre Legitimität lenken hingegen davon ab, welche Folgen Antisemitismus für Betroffene hat.

Benjamin Steinitz, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands RIAS, in der Pressemittelung RIAS eV vom 28.06.2022

Der Anstieg und die Zuspitzung antisemitischer Vorfälle bundesweit zeigt die Virulenz und gesellschaftliche Normalität des Antisemitismus. Der Bericht unterstreicht die Präsenz des Post-Schoa-Antisemitismus wie auch des israelbezogenen Antisemitismus in allen Teilen der deutschen Gesellschaft. Diese Befunde decken sich weitgehend mit wissenschaftlichen Studien, aber auch mit den Berichten
der Betroffenen. Jüdinnen_Juden erleben allzu oft, dass ihre Perspektiven nicht ernst genommen werden. Die einheitliche, bundesweite Erfassung antisemitischer Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze ist daher eine wichtige Grundlage für die Sichtbarmachung des Antisemitismus und seiner Wirkung auf die Betroffenen.

Marina Chernivsky, Geschäftsführerin von OFEK eV, in der Pressemittelung RIAS eV vom 28.06.2022

Um Antisemitismus gezielt zu bekämpfen, brauchen wir ein möglichst umfassendes Lagebild, das auch einen elementaren Baustein der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben bildet – ich freue mich sehr, dass der Bundesverband RIAS als eines der wichtigsten Vorhaben meiner Amtszeit so erfolgreich dazu beiträgt und sich die Zahl der Meldestellen, die sich am Jahresbericht 2021 beteiligt haben, im Vergleich zum Vorjahr sogar verdoppelt hat. Der Bericht zeigt, dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches und vielgestaltiges Phänomen ist und immer wieder neuen Anlässen angepasst wird, im letzten Jahr vor allem den so genannten Corona-Protesten und dem arabisch-israelischen Konflikt. Judenhass bedroht unsere Demokratie als Ganze, auch deshalb müssen wir dagegen fest zusammenstehen und Wehrhaftigkeit beweisen.

Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesrergierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus,
in der Pressemitteilung RIAS eV vom 28.06.2022

Gerade unter dem Eindruck von Kassel 2022, dem Skandal an der documenta 15, das sich zunehmend zum Skandal der Bundesregierung auswächst, muss man es so drastisch formulieren: der Judenhass in Deutschland hat ein besorgniserregendes Niveau erreicht. Wer das noch leugnet, verschliesst die Augen vor einer Realität. Es darf nicht damit getan sein, dass man dies in Berichten festhält, vielleicht gar Dringlichkeitssitzungen im Bundestag abhält – lapidar formuliert, sich in blinden Aktionismus flüchtet. Es ist an den jüdischen Gemeinden, an den Antisemitismusbeauftragten, am Zentralrat, von öffentlichen Stellen in Bund, Ländern und Gemeinden endliuch die Massnahmen einzufordern, die eigentlich seit Jahr und Tag hätten umgesetzt werden sollen. Auch und gerade nach dem kürzlich erfolgten Abschluss der Feierlichkeiten zu 1.700 Jahren jüdischen Lebens!

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*