Israels neue Regierung im Amt – Kabinett, Programm und etliche Fragezeichen

Das Kabinett der 36. Regierung Israels, mit 32 Ministerämtern nur geringfügig kleiner als das seines Vorgängers.

Jerusalem/Israel – Das israelische Parlament, die Knesset, hat am ersten Wochen-Arbeitstag der Koalition aus insgesamt 8 Parteien das Vertrauen ausgesprochen. Um zu einer hauchdünnen Regierungsmehrheit zu gelangen, darf – in einer vereinbarten Rotation im Amt – sogar der, mit bloss 7 Sitzen in die neue Legislatur einziehende Naftali Bennett von der Bewegung Yamina als erster Regierungschef amten, noch vor dem Vorsitzenden der vormals grössten Oppositionspartei Yesh Atid, Yair Lapid.

Dass dies selbst am Tag der Vertrauensabstimmung noch keine ausgemachte Sache ist, und der zu diesem Zeitpunkt noch regierende Likud durch Ränkespiele erhebliche Unruhe zu stiften in der Lage ist, davon zeugten die hektischen Aktivitäten am Sonntag vormittag um die Stimme des Abgeordneten des, der Regierung angehörenden Ra‘am Partei, Said al-Haroumi. Dieser geriet sowohl aus den Reihen der geschäftsführenden Regierung Netanjahu, wie aus aus seiner eigenen Familie unter Druck. Ganz „plötzlich“ nämlich drohte den illegal errichteten Strukturen, die die weit verzweigte Familie des Knesset-Mitglieds bewohnt, der Abbruch. Daraufhin erklärten zwar die, der Vereinigten Arabischen Liste angehörenden, Abgeordneten der Tal-Fraktion, Ahmad Tıbı und Osama Saadı, ihre Unterstützung für die neue Koalition.

Doch dies alleine wäre einem „Sieg“ des Likud gleich gekommen, der daraus politisches Kapital hätte schlagen können. Mit der Behauptung nämlich, Bennett-Lapid wäre erst mit Duldung der israelisch-arabischen Knesset-Abgeordneten, welche sich nicht gerade durch Israel-stützende parlamentarische Arbeit hervorgetan haben, zustande gekommen. Dass am Mittag der derart umworbene Ra‘am-Abgeordnete vielsagend erklärte, heute „werde es eine neue Regierung“ geben, verbessert die Optik auch nicht gerade. In der, der Abstimmung vorausgehenden, knapp 4-stündigen Debatte lagen die Nerven entsprechend blank. In der sonst schon nicht durch vornehme Zurückhaltung bekannten Knesset wurde der als erstes sprechende designierte Premier Bennett laufend von Zwischenrufen unterbrochen, mehrere Parlamentarier wurden gar vorübergehend aus dem Plenum verwiesen. Und der designierte „alternierende Premierminister“ Yair Lapid – der Begriff hat sich nun definitiv im politischen Vokabular verankert – entschied sich, anstelle seines vorbereiteten Vortrages, bloss eine kurze Standpauke zu halten.

Nach der Probeabstimmung zur Wahl des Parlamentssprechers – Mickey Levi erhielt 67 Stimmen, deutlich mehr als die nominelle Mehrheit von 61 – schritt man zur Bestätigung der neuen Regierung. Die aus 8 Parteien zusammengeschusterte Koalition bekam 60 Stimmen, bei 59 Gegenstimmen und einer Enthaltung – die eines Abgeordneten von Ra‘am, dem arabischen Koalitionspartner der neuen Regierung. Was in unseren Breitengraden als Zufallsmehr gilt, hat in Israel fast schon Tradition. Der bekannteste Präzedenzfall ist jener der ersten Regierung von Yitzhak Rabin, aus dem Jahr 1974 – kurz nach dem Ende des Yom Kippur Krieges und in der Phase der, durch die Pendel-Diplomatie von Henry Kissinger geprägten, Gespräche mit dem Erzfeind Ägypten – die dann doch über die gesamte Wahlperiode von 4 Jahren hielt. Allerdings: die Zusammensetzung jener Regierung war deutlich weniger divers, und es war für lange Zeit die letzte von der Arbeitspartei dominierte Amtszeit.

Von der aktuellen Regierung der Koalitionspartnern liegen Vereinbarungen vor, welche demonstrieren, wie schwierig es werden könnte: im Sammelsurium von links bis rechts gab es nur ein verbindendes Element unter den Parteien, „nicht Bibi“. Und so blieb das Zugeständnis Lapids, Bennett im Amt des Regierungschefs den Vorsitz zu lassen, nicht das Einzige. Nennenswert ist das Vorhaben, gegen die kriminelle Gewalt unter den arabischen Israeli die Polizei zu stärken, 2 neue Krankenhäuser in der Negev und in Galiläa sowie einen neuen Flughafen, ebenfalls im Norden, zu errichten, sämtliche öffentlichen Ämter nach Jerusalem zu verlegen und den Ausbau der Infrastruktur in der ganzen Stadt zu fördern oder, als Zugeständnis an Mansour Abbas, die Beseitigung illegaler Strukturen in der Negev bis 2024 zu sistieren. Zudem ist davon auszugehen, dass der Likud vorgenommen hat, der nach wie vor zu Netanjahu hält, als grösste Oppositionsfraktion den Regierenden das Leben schwer zu machen. Dass Vorbehalte betreffs der Beständigkeit auf beiden Seiten vorhanden sind, zeigt zudem ein kleines kurioses Detail: Bennett denkt erstmal nicht daran, mit siener Familie in die Hauptstadt umzuziehen und Netanjahu hat auch noch keine Pläne, den offiziellen Amtssitz des Regierungschefs in der Balfour Street zu räumen.

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Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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