Gefangen in den eigenen Vorurteilen – die Haltung der EU gegenüber Israel

Brennende Autos in Sheikh Jarrah
Brände bei Strassenkämpfen im Jerusalemer Viertel Sheikh Jarrah, wo sich randalierende extremistische Gruppen sowohl arabischer wie israelischer Provenienz gegenüberstehen. "Grundlage" des Konfliktes an dieser Stelle: Mietstreitigkeiten und rechtsgültige Wegweisung arabischer Hausbesetzer. Copyright: imago/ZUMAwire Jamal Awad

Letzte Aktualisierung am 12. Mai 2021 durch Thomas Morvay

(Brüssel) – Die Europäische Union und ihr folgend auch die Sprecher wichtiger Mitgliedstaaten veröffentlichten diese Woche Stellungnahmen zur Lage, welche nur als einseitig Israel-feindlich charakterisiert werden können. Sie macht sich dabei nicht nur die Haltung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu eigen, aber übernimmt undifferenziert auch manche Positionen von extremistischen Gruppierungen. Dass sie sich dabei auf internationales Recht und gar auf die Vereinten Nationen beruft, macht die Angelegenheit noch schlimmer. Und dass es ausgerechnet am Vorabend der unsäglichen al-Quds-Märsche und “Apartheid Woche” passiert, lässt tief blicken!

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Die Verlautbarungen aus Brüssel und aus Hauptstädten grosser europäischen Länder – Deutschland, Frankreich, Italian, Spanie und das Vereinigte Königreich, neuerdings als “Quint” zusammengefasst – kommen in einer Sprache daher, welche durch oberlehrerhafte Besserwisserei geprägt sind und mit Ausgewogenheit kaum noch zu tun haben. Dass es auch anders geht, zeigt dieses hier: die Erklärung des US-Aussenministeriums. Auch nicht fehlerlos – so wird zwar die arabische Bezeichnung des Tempelbergs explizit genannt, nicht jedoch die hebräischen Ortsnamen von Sheikh Jarrah (Shimon HaTzadik) oder Silwan (Kfar HaShiloach) – doch insgesamt ausgewogener als die hiernach diskutierten Statements, welche diese, auf die Verleugnung des jüdischen Charakters hinauslaufende Finte auch anwenden. Doch nun zur Analyse der Reihe nach:

Israeli authorities have recently announced intention to construct 540 new housing units in Har Homa E. The implementation of these plans, as well as those for Givat Hamatos, would cut off East Jerusalem from Bethlehem and severely undermine future negotiations towards a two-state solution in line with the internationally agreed parameters.
The EU reiterates its position that all settlements in the occupied Palestinian territory are illegal under international law and the EU will not recognise any changes to the pre-1967 borders, including in Jerusalem, other than those agreed by both sides. The EU renews its call on the Israeli government to halt settlement construction and to reverse these latest decisions as a matter of urgency.

Source: Statement by the EU Spokesperson on settlement expansion and the situation in East Jerusalem, May 5, 2021

Wir fordern die Regierung Israels auf, ihren Beschluss zurückzunehmen, den Bau von 540 Siedlungseinheiten im Gebiet Har Homa E des besetzten Westjordanlandes voranzutreiben, und ihre Politik des Siedlungsausbaus in den besetzten palästinensischen Gebieten insgesamt einzustellen. Siedlungen verletzen geltendes Völkerrecht und gefährden die Aussichten auf eine friedliche Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts.
Würde der Beschluss zur Forcierung des Siedlungsbaus in Har Homa, zwischen Ost-Jerusalem und Bethlehem, umgesetzt, so würde dies die Perspektiven für einen lebensfähigen palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt für sowohl Israel als auch einen palästinensischen Staat, weiter verschlechtern.

Quelle: Erklärung von Sprechern der Aussenministerien Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Spaniens und des Vereinigen Königreichs zu israelischen Siedlungen, 6.05.2021

Sowohl die EU wie auch die Ausssenminister der 5 Länder (Quint) bnehaupten, die Bautätigkeit in Har Choma würde “Ost-Jerusalem” von Bethlehem trennen, und damit die Entstehung eines zusammenhängenden palästinensischen Staates behindern. Schaut man sich dazu die Landkarte an, oder nimmt einen Augenschein vor Ort, so zeigt sich nicht nur, dass das Strassennetz und die zugehörenden Bewilligungen zu ihrer Befahrung so gestaltet sind, dass dies mitnichten der Fall ist. Zudem liegen sowohl Har Choma wie auch Giv’at Hamatos gegenüber den Stadtteilen Arnona (Sitz der US-Botschaft) und Ramat Rachel, beide mitnichten dem Ostteil des seit 1980 vereinigten Jerusalem zuzurechnen. Die Besiedlung und Bautätigkeiten sind gemäss Interimsabkommen (“Oslo-Verträge”) ausdrücklich gestattet und die Gebietsaufteilung Verhandlungssache der sog. Finaler-Status Fragen.

The increase in evictions and demolitions across the occupied Palestinian territory, notably the evolving situation in Sheikh Jarrah and Silwan, in East Jerusalem, and the possible demolition of structures in the Palestinian village of al-Walajeh, are also alarming.
Such unilateral actions are illegal under international humanitarian law and only fuel tensions on the ground . The Israeli authorities should cease these activities and provide adequate permits for legal construction and development of Palestinian communities.

Source: Statement by the EU Spokesperson on settlement expansion and the situation in East Jerusalem, May 5, 2021

Dieser Schritt, zusammen mit der Intensivierung des Siedlungsbaus in Givat HaMatos und fortgesetzten Zwangsräumungen in Ost-Jerusalem, darunter in Sheikh Jarrah, untergräbt auch die Bemühungen zum Aufbau von neuem Vertrauen zwischen den Parteien nach der konstruktiven Wiederaufnahme der israelisch-palästinensischen Zusammenarbeit.

Quelle: Erklärung von Sprechern der Aussenministerien Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Spaniens und des Vereinigen Königreichs zu israelischen Siedlungen, 6.05.2021

Die Unverfrorenheit, mit der sowohl die EU wie auch die Quint-Sprecher die eindeutigen Urteile israelischer Gerichte in diesen Hausbesetzungsfällen in den Wind schlagen, als ob der jüdische Staat eine Bananenrepublik wäre, macht sprachlos. Dass die EU selbst nach schriftlicher Anfrage dazu nur erklärt, ihre Statements “widerspiegel[te]n die EU-Positionen, die in den Schlussfolgerungen der EU-Räte festgehalten” seien, welche ihrerseits “auf Prinzipien des internationalen Rechts und entsprechenden UNO Sicherheitsrats-Resolutionen” beruhen würden, kann man nur als Ausdruck von Unbelehrbarkeit und politischer Blindheit einschätzen. Die Aufforderung an die israelischen Behörden stellen nicht nur eine beispiellose Einmischung in kommunalpolitische Angelegenheiten dar, sie ignorieren auch das Interimsabkommen zwischen Israel und der PLO, welche bis heute als die – auch von der EU und den aufgeführten Staaten anerkannte – Basis möglicher Übereinkommen zwischen den verfeindeten Parteien gilt. Auch dort ist festgeschrieben und gilt als vereinbart, dass die sog. Area C administrativ unter ausschliesslich israelischer Hoheit steht, und dass insbesondere die PA/PLO in Jerusalem keinerlei Mitspracherechte haben.

In light of recent developments in Southern Israel and the occupied Palestinian territory, the EU reiterates its firm condemnation of violence and calls for calm and restraint from all actors at this sensitive time.

Source: Statement by the EU Spokesperson on settlement expansion and the situation in East Jerusalem, May 5, 2021

Wir rufen beide Seiten auf, sich einseitiger Maßnahmen zu enthalten und einen glaubwürdigen und substanziellen Dialog wiederaufzunehmen, um die Bemühungen um eine Zweistaatenlösung und ein Ende des Konflikts voranzubringen.

Quelle: Erklärung von Sprechern der Aussenministerien Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Spaniens und des Vereinigen Königreichs zu israelischen Siedlungen, 6.05.2021

Schwer verständlich, wie beide Erklärungen sodann eine moralische Äquivalenz herstellen, zwischen den terroristischen Angriffen in Jerusalem und anderen israelischen Städten auf der einen Seite, und den hoheitlichen Akten israelischer Behörden auf der anderen. Auffällig und irritierend zugleich, wie allgemein gehalten und unspezifisch die Verurteilung arabischer Missetaten bleibt. Es fällt schwer zu glauben, dass dies zufällig ist, wenn an gleicher Stelle die Aussagen zu dem, was auf israelischer Seite als falsch eingestuft wird, so konkret und präzise benannt wird. Am Ende bleibt nur die Feststellung, dass die EU und die grossen Länder der EU ihren politischen und insbesondere auch, ihren moralischen Kompass verloren haben. Indem sie an Israel so offensichtlich andere Massstäbe anlegen als an die andere Seite des Konfliktes, erfüllen sie – ob sie es realisieren oder nicht – ein wichtiges Kriterium in der IHRA-Definition des Antisemitismus, die sie ja mehrheitlich anerkannt haben.

Inzwischen hat sich auch das Schweizerische Aussenministerium EDA zu Wort gemeldet: wenig überraschend ruft auch sie “dazu auf, unverzüglich Massnahmen zur Entschärfung der Situation zu ergreifen”. Sie geisselt die, in ihren Worten, “völkerrechtswidrige Vertreibung von palästinensischen Familien aus dem Stadtteil Sheikh Jarrah und aus anderen Teilen Ost-Jerusalems”, und sie appelliert:

Für das EDA müssen die Erhaltung des historischen Status quo auf dem Tempelberg und das friedliche Zusammenleben aller Bewohnerinnen und Bewohner Jerusalems völkerrechtlich garantiert werden.

Quelle: Medienmitteilung Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten, 9. Mai 2021

Auf Nachfrage erklärt Pressesprecher Pierre-Alain Eltschinger, die Schweiz anerkenne Israel in den Grenzen von 1967, womit sie offensichtlich die Waffenstillstandslinien des Unabhängigkeitskrieges von 1949 (sog. “Grüne Linie”) meint. Die darüber hinausgehenden Territorien seien besetzt, “im Sinne des internationalen humanitären Völkerrechts”. Insbesondere die Vierte Genfer Konvention, verbiete sich die zwangsweise Umsiedlung der Bevölkerung. Und zur Einhaltung des historischen Status Quo äussert sich die EDA, die Rechte von Muslimen, auf dem Tempelberg beten zu dürfen, seien insbesondere durch den Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien garantiert.

Conformément à la résolution 242 du Conseil de sécurité des Nations Unies, la Suisse reconnaît l’Etat d’Israël dans les frontières de 1967 («ligne verte»). Les territoires situés au-delà des frontières de 1967 sont occupés au sens du droit international humanitaire. Selon la Quatrième Convention de Genève, la Puissance occupante a l’interdiction de procéder à des transferts forcés.
La préservation du « status quo » historique implique de garantir le droit des musulmans de prier sur l’esplanade des mosquées / mont du Temple, et ce notamment conformément au traité de paix entre Israéliens et Jordaniens de 1994. La Suisse a appelé toutes les parties à la plus grande retenue et au respect du droit international humanitaire.

Quelle: E-Mail Antwort des EDA auf journalistische Nachfrage, 12.05.2021

Unbeantwortet blieb unsere Anfrage in Bezug darauf, ob dem Schweizer Aussenministerium die Geschichte der fraglichen Liegenschaften und die teilweise über Jahrzehnte geführten gerichtlichen Auseinandersetzungen dazu bekannt seien, und ob sie in ihrer Stellungnahme bewusst die Rechtstaatlichkeit der Gerichte in Israel in Zweifel zögen. Ebensowenig ging M. Eltschinger in seiner Antwort darauf ein, wie sich die EDA dazu stellt, wenn arabische Unruhestifter in der Al-Aksa Moschee Steine horteten, um damit israelische Ordnungskräfte, oder an der Klagemauer betende Juden zu bewerfen.

Wozu sich auch durch Fakten beirren lassen, wenn man sich in stereotype Phrasen zum Völkerrecht flüchten kann? Warum sollte man sich denn bei konkret angesprochenen Aspekten aufhalten, wenn man sich hinter jahrzehntelangen Wiederholungen abgeschliffene Formulierungen verstecken kann, um die “Neutralität” nicht zu verletzen?

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

2 Kommentare

  1. Die Haltung der EU gegenüber Israel wird sich ändern, sobald die neue Regierung unter Yair Lapid steht.

    Der noch amtierende PM Netanyahu was ausserstande mit der EU eine Beziehung aufzubauen. Er ist eben kein Staatsmann, sondern ein politischer Nichtsnutz. Nur mit politisch unbedeutenden 3. Weltländern hatte er Kontakte. Sie, wie auch Diktator Orban und ähnliche Gestalten, haben sich von ihm blenden lassen.

    • Ich denke da tut man Nethanjahu Unrecht.
      Er hat die israelische Wirtschaft gestärkt, er hat arabischen Städten mit Erweiterung der Bildubgseinrichtungen und Infrastrukturen mehr Bildung, Arbeit und somit Wohlstandsvermehrung gebracht. Er hat Verträge mit arabischen Staaten erreicht. Das Problem mit den Palästinenser hat er ausgesessen. Ja, aber wen hatte er als Verhandlungspartner??? Abbas?? hat dich verweigert und hat seit über 10 Jahren Wahlen seinem Volk verweigert.

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