Eklatanter Realitätsverlust in Berlin

Letzte Aktualisierung am 2. März 2020 durch Thomas Morvay

Unverzeihliches Ergebnis muss rückgängig gemacht werden

Die deutsche Bundeskanzlerin weilt derzeit in Südafrika. Was jedoch keineswegs bedeutet, dass sie sich zur Innenpolitik nicht äussert. Im Gegenteil: kaum ist sie am Donnerstag in Pretoria gelandet, mischt sie eifrig in der deutschen Innenpolitik mit. Die Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich im thüringischen Landtag, welcher nur mit Unterstützung der “Flügel”-Figur Höcke sowie mit den Stimmen der thüringischen CDU erfolgen konnte, bezeichnet Merkel in der Pressekonferenz als “unverzeihlich”. Sie fordert in einer mehr als verunglückten Formulierung gar, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden. Offensichtlich will sie sofort auf grösstmögliche Distanz zur Landespartei gehen, das zeigen auch die Reaktionen aus der Berliner Parteizentrale. So fordert am selben Abend die Merkel-Vertraute und Parteichefin den Rücktritt Kemmerichs. Es ist offensichtlich, dass ihnen – bei aller sachlichen Gebotenheit der Reaktionen – nicht bewusst, oder gar egal, dass sie damit einmal mehr den thüringischen CDU-Parteivorsitzenden Möhring im Regen stehen lassen.

Unsägliche Erinnerungen und reflexartige Reaktion

Natürlich wird jedem geschichtsbewussten Beobachter, der auf Erfurt schaut, sofort der Name Franz von Papen in den Sinn kommen: jener Politiker des Zentrums, der 1932 als Parteiloser die Regierungsgeschäfte in der Weimarer Republik übernahm, und dies nur unter Duldung der Nationalsozialisten hatte tun können. Und natürlich erinnert man sich, dass es erstmals in Thüringen gewesen war, dass die NSDAP in eine Landesregierung eintrat. Und dennoch sind derartige Vergleiche nicht haltbar: von einer Machtübernahme der Alternative für Deutschland in Erfurt kann natürlich keine Rede sein. Wer jetzt solcherlei heraufbeschwört, hat die Geschichte nicht verstanden. Zugleich zeugt es von einer bemerkenswerten Geshichtsvergessenheit, und damit einhergehend einer eklatanten Fehleinschätzung, wenn massgebliche Kräfte im bürgerlichen Lager es zumindest billigend in Kauf genommen haben, was dann auch eingetroffen ist. Ob des Donnergrollens beeilte sich der frisch gewählte Kemmerich, seinen Rücktritt vom wenige Stunden zuvor angenommenen Amt zu erklären. Nur um dies wenige Stunden später zu relativieren, indem er verlauten liess, ein sofortiger Rücktritt sei für ihn indiskutabel.

Erklärung zum Nahostkonflikt

Doch bei dieser einen Fernlenkung blieb es nicht: einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge übte Angela Merkel, ebenfalls am Donnerstag, bei einer Diskussionsrunde an der Universität Pretoria, erneut deutliche Kritik an der israelischen Siedlungspolitik. Diese, von der “augenblicklichen israelischen Regierung” verfolgte Politik, so Merkel, führe dazu, dass die Möglichkeit eines palästinensischen Staates immer weiter verringert wird. Die Ziele Deutschlands seien, einerseits die Sicherheit und das Existenzrecht Israels zu garantieren, andererseits jedoch auch, die Realisierung eines Palästinenserstaates zu fördern. Erst im Nachgang dazu verwies Merkel darauf, dass die Weigerung durch radikalislamische Organisationen, wie der Hamas, das Existenzrecht Israels nicht anzuerkennen, auch “ein Problem der Nahost-Spannungen” sei. Diese Reihenfolge und diese Gewichtung erfolgen nicht zufällig. Sie sind gewollt, das belegen auch das Abstimmungsverhalten Deutschlands im Sicherheitsrat und weiteren Organisationen der Vereinten Nationen, in den letzten Jahren. Aber es ist zu befürchten, dass dieser Skandal deutlich weniger ins Scheinwerfellicht geraten wird, als missglücktes Wahlgeschacher in der ostdeutschen Provinz!

Über Thomas Morvay 311 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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