Letzte Aktualisierung am 25. Juni 2020 durch Thomas Morvay
Am Tag, als in Moskau Präsident Vladimir Putin die Militärparade zur Feier des Kriegsendes abnahm – und zur Stimmungsmache für das Referendum, welches ihm die „ewige Präsidentschaft“ einräumen sollte – passte mein Besuch thematisch ausgezeichnet. Potsdam, die relativ unbekannteste der 3 Konferenzen, neben Teheran (1943) und Jalta (1945, noch zuKriegszeiten), verdiente mehr Beachtung, als ihr gemeinhin zukommt.
(Potsdam) – Die Anreise durch einen Ortsteil namens Wannsee, passt dramaturgisch ausgezeichnet, um auf die Ausstellung einzustimmen. Denn mit dem Namen, der übrigens noch heute in alter deutscher Schrift am Bahnhof prangt, was wohl nicht nur dem Schreibenden die Nackenhaare aufstellt, verbindet sich das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für das Deutschland im Zweiten Weltkrieg verantwortlich gewesen war: die systematische Verfolgung und Ermordung des europäischen Judentums. In Potsdam war davon noch nicht direkt die Rede, es galt hier andere Dinge festzulegen.
Im Buch, das die Ausstellung begleitet, umschreibt der für das Gesamtkonzept verantwortliche Dr. Jürgen Luh – Historiker mit Spezialgebiet „Friedrich der Grosse“ und auch der wissenschaftliche Leiter der Stiftung Preussische Schlösser – die Themen der Konferenz so:
… ging es vor allem um den Umgang mit dem Deutschen Reich, zunächst um die Definition, wie Deutschland territorial verstanden werden sollte, sodann um die innere wie äussere Neuordnung des Landes, dessen zu erbringenden Reparationsleistungen sowie schliesslich um die deutsche Kriegs- und Handelsflotte. Darüber hinaus einigten sich die drei Regierungen Über Wahlen in Polen und die Verschiebung der Grenze Polens nach Westen.
Potsdamer Konferenz 1945 Die Neuordnung der Welt, ISBN 978-3-95498-546-3, S. 14
Als absolut gelungen muss das Konzept der Ausstellung bezeichnet werden. Der Besucher wird quasi auf eine „Reise“ mitgenommen, in deren Verlauf er mit den Themen und den Teilnehmern an der Konferenz vertraut gemacht wird. Die einzelnen Räume widmen sich jeweils einem Thema, welche zwar einer gewissen Chronologie folgt, aber thematisch in sich geschlossen ist. Dem Besucher werden die wichtigsten Teilnehmer nacheinander vorgestellt, leitmotivisch begleitet durch die Sekretärin der britischen Delegation, die – anhand von Auszügen aus einem zeitnahen Interview sowie aus ihrem zur Zeit der Konferenz geführten Tagebuch – auch das atmosphärische Bild sehr gut einfängt.
Wohltuend fällt auf, dass das aus anderen deutschen Ausstellungen vertraute, oberlehrerhaft Belehrende ebenso gänzlich fehlt, wie die mittlerweile stereotypierenden Zuordnungen von Schuld und Schuldigen. Ausgewogenheit wird verstanden als das Benennen von Fakten, die notwendige Hinzufügung von Motivation und Triebkräften hinter den einzelnen Delegationen und Akteuren. Das heisst dann aber keineswegs, dass nicht eindeutige Positionierungen vorgenommen werden, etwa wenn dem „der Sowjetunion wohlgesonnenen“ Roosevelt, der „Kalte Krieger“ Truman gegenüber gestellt wird, oder wenn festgehalten wird, dass unter den Teilnehmern zum Schluss nur noch Stalin da war, der auch an den beiden anderen Konferenzen Teilgenommen hatte und damit wohl einen Vorteil gegenüber den „Neulingen“ Truman und Bevin für sich verbuchen konnte.
Natürlich sind Emotionen, angesichts der Themen der Ausstellung, durchaus auch vorhanden. Sie werden besonders deutlich in den Schilderungen von Vertreibung und Flucht. In besonderer Weise wird hier deutlich, dass sich hinter der nüchternen Umschreibung „Ordnungsmässige Überführung“ des Beschlusses im Sommer 1945 menschliche Schicksale verbergen. Wenn die in der europäischen Geschichte grösste Verschiebung von Menschen, auf Beschluss der Siegermächte, personifiziert in Churchill resp. Attlee, Truman und Stalin, gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, so geht es um Menschen, wie den Bauern Friedrich Biella, der bereits im Januar 1945 aus seinem kleinen Dorf in Masuren aufbricht, schliesslich in der britischen Besatzungszone ankommt und der am Ende an Heimweh stirbt – eine Folge der Beschlüsse von Potsdam. Was mit Woodrow Wilsons 14 Punkten in Versailles 1919 begonnen hatte, findet in der Entwurzelung von Millionen als Folge der Neuordnung der europäischen Landkarte seine Vollendung. Die Vertriebenen, sie hatten in Potsdam keine Stimme, sie waren aber eine der Hauptfiguren auf dem Schachbrett der Sieger. Oder, wie es Andreas Kossert im Begleitbuch zur Ausstellung betitelt: „Chiffre Heimatlos: Potsdam 1945“.
Der Mensch, der seinen Ort verlassen muss, gibt einen wesentlichen Teil seiner selbst auf, er wird Opfer einer brutalen Amputation. Phantomschmerzen werden ihn bis ans Lebensende begleiten.
Von Olga Tokartschuk, zitiert in „Potsdamer Konferenz 1945, S. 139
Ebensowenig wie die Vertriebenen waren in Potsdam die Juden vertreten, wobei sie Dank der gut organisierten Interessenvertretungen in den Vereinigten Staaten immerhin eine Stimme hatten, welche gehört werden konnte. Genutzt hat es ihnen allerdings wenig, zu kraftvoll war der Widerstand aus dem US State Department, und zu gross auch die Abneigung, auch von Winston Churchill, aber erst recht durch Attlees neuem Aussenminister Ernest Bevin. Auch wenn es richtig ist, dass auch die Gründung des modernen Staates Israel zu den wesentlichen Veränderungen im Zuge der Neuordnung der Welt gehörte, mit Potsdam hatte dies genauso wenig zu tun, wie mit einem schlechten Gewissen aufgrund der 6 Millionen ermordeten Juden in Europa. Was allerdings von der Ausstellung richtig dargestellt wird, in welche aussichtslose Lage sich die Briten seit McMahon, Balfour und dem Weissbuch von 1939 manövriert hatte.
Die Ausstellung ist noch bis Ende 2020 zu besuchen, wobei Corona-bedingt, erst einmal nur ein begrenztes Kontingent an Eintritten pro Tag, und ausschliesslich Online, gebucht werden kann.
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