Deutschland und das Simon Wiesenthal Center

Über mediale Macht und Wahrnehmungsdefizite

Der Holocaust-Überlebende und „Nazi-Jäger“ Simon Wiesenthal, gab sein Einverständnis, dass das in Los Angeles beheimatete Zentrum seinen Namen trägt. Ob er dies heute noch tun würde? (Photo credit: imago / SKATA)

Letzte Aktualisierung am 3. Januar 2022 durch Thomas Morvay

Los Angeles – Als am drittletzten Tag des eben zu Ende gegangenen Jahres das Simon Wiesenthal Center seine Liste der 10 schlimmsten Antisemiten der Welt veröffentlichte, nahm diese stillschweigend zur Kenntnis, dass der Iran immer noch an erster Stelle figuriert. Dass unmittelbar darauf die Hamas folgt und an dritter Stelle die „BBC und das Vereinigte Königreich“ erscheinen, erhitzte die Gemüter im deutschsprachigen Raum ebenfalls nicht nennenswert. Das Befremden galt vielmehr dem Rang 7 der Liste, Deutschland, personifiziert durch den Antisemitismusbeauftragten des Bundeslandes Baden-Württenberg, Dr. Michael Blume.

Nur wenige Tage, nachdem Angela Merkel die politische Bühne verliess, erschien eines der monumentalsten Urteile über das Land, dem sie 16 Jahre lang ihren Stempel aufgedrückt hatte. Darin heisst es: es sei eine neue Regierung gewählt worden in Deutschland, und damit das Ende der Ära von Angela Merkel markiert. Entgegen den vielen Errungenschaften ihrer Kanzlerschaft hätte sie es versäumt, antisemitischen Attacken durch Rechtsextreme und durch Islamisten entgegen zu treten und der Verteufelung Israels auf Seiten der Linken zu begegnen. Nur selten hätten ihre Regierungen die Leugnung des Holocaust durch das iranische Ayatollah-Regime und dessen häufigen Forderungen nach der Auslöschung des jüdischen Staates angeprangert. Im vergangenen Juni haben deutsche Regierungsstellen die erschreckende Zahl antisemitischer Hasskriminalität des Jahres 2020 bestätigen müssen – 2‘275 Vorkommnisse, darunter 55 Gewalttaten. Alleine in Berlin seien über 1‘000 antijüdischen Vorkommnisse gezählt worden, was einer Zunahme von mehr als 20% gegenüber dem Vorjahr entspräche. Der Antisemitismusbeauftragte des Berliner Senats, Samuel Salzborn gab zu: „Eines ist klar, Berlin hat ein Antisemitismus-Problem.“

A new government has been installed in Germany marking the end of the Angela Merkel era. Despite her many achievements as Chancellor, Germany has failed to curb anti-Semitic attacks from the far-Right, Islamists, and the demonization of Israel from the Left. Her administration’s rarely denounced the Ayatollah regime’s Holocaust denial and the regime’s frequent calls to destroy the Jewish state.

In June, the German government confirmed a staggering number of anti-Semitic hate crimes in 2020 – 2,275 with at least 55 involving violence. More than 1,000 anti-Semitic incidents were recorded in Berlin during 2020, a rise of nearly 20% over the previous year. Samuel Salzborn, Antisemitism Commissioner for the State of Berlin admitted, “One thing is clear: Berlin has an anti-Semitism problem.”

Quelle: Global Anti-Semitism Top Ten 2021, No. 7 Germany, Simon Wiesenthal Center(SWC)

Wenngleich es über die persönliche Haltung Angela Merkels gegenüber dem Judentum und den deutschen Juden, absolut keine Zweifel gibt, ist obiges Resümee über die Politik der deutschen Regierungschefin, die 2008 in der Knesset in Jerusalem das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel zur Staatsräson erklärt hatte, vernichtend. Dabei erinnert man sich, dass das SWC in der Vergangenheit bereits den deutschen UN-Botschafter auf seine Liste gesetzt hatte, der den Vorgaben des Auswärtigen Amtes folgend, ein Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat an den Tag legte, das sogar im Deutschen Bundestag zu reden gab: so zwang die damalige Oppositionspartei der Freien Demokraten den SPD-Aussenminister Heiko Maas, sich in einer aktuellen Stunde des Parlaments den Abgeordneten gegenüber zu erklären.

Es gehört wohl zum US-Selbstverständnis und zu einer amerikanischen Nicht-Regierungs-Organisation wie dem SWC, die ihre Haltung den Gönnern und Spendern gegenüber jederzeit zu rechtfertigen hat, dass sie diesem Urteil ein Gesicht geben muss. Dr. Michael Blume ist seit März 2018 Beauftragter gegen Antisemitismus der Landesregierung Baden-Württenberg. An seiner Person und Tätigkeit üben nicht zuletzt rechten Positionen nahestehende Exponenten seit jeher Kritik, zu deren Entkräftung Blumes Reaktionen nicht immer beigetragen haben. Es stellt jedoch zweifellos eine neue Dimension dar, dass er zum Gesicht der Kritik geworden ist.

Bei den Vorwürfen gegenüber Blume stehen seine Social Media-Konten im Mittelpunkt. Er selbst erklärt dazu, sein Facebook-Account bereits 2019 gelöscht zu haben. Klar ist, aus einer Distanz von über 2 Jahren zu klären, was ihn dazu bewogen hat, ist nicht machbar. Noch weniger vermag an dieser Stelle über die Entwicklung der Kontroverse auf Twitter berichtet werden, denn Blume hat mich vor noch längerer Zeit dort geblockt – und dies ohne dass wir jemals direkten Kontakt zueinander gehabt hätten. Anlass für sein Blockieren wird gewesen sein – so vermute ich – dass ich eine Zeit lang der bekannten jüdischen Aktivistin Malca Goldstein-Wolf auf Twitter folgte. Wie ich mich erinnere, hat Blume auf dem ersten Höhepunkt seiner Auseinandersetzung mit Goldstein-Wolf reihenweise Twitter-Follower geblockt, und diese Sperren niemals aufgehoben. Aus diesem Grunde werde ich mich hier auch nicht zu der sehr persönlich und direkt geführten Twitter-Fehde zwischen Blume und dem, in der Hauptsache aus Deutschland berichtenden Journalisten der Jerusalem Post Benjamin Weinthal, äussern. Dazu nur soviel: in jüngster Zeit hat sich gezeigt, dass Weinthal ihm missliebige Personen wie auch Organisationen angreift, und diese mit nicht nachvollziehbaren Anschuldigungen zu diskreditieren versucht. (Full disclosure: ich bin selbst Mitglied und überzeugter Unterstützer einer dieser Organisationen, des Aktionsforums Israel, mit deren Verantwortlichen mich enge persönliche Freundschaften verbinden.)

Es ist bedauerlich, dass im Wesentlichen die Diskussion um das Ranking Deutschlands in den Medien in Deutschland und der Schweiz, ebenfalls auf die Person Blume reduziert wird. Selbst renommierte Medien, wie etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder die Neue Zürcher Zeitung tappen in diese Falle. Es ist zwar richtig, wie man hier sieht, dass das SWC Blumes „Verfehlungen“ als Aufhänger nutzt. Jedoch ist die Kritik an Deutschland wesentlich weitergehend, wie man an nebenstehendem Bild erkennt: der massive Anstieg antisemitisch motivierter Taten, und die vorgeblich israelkritischer Berichterstattung werden ebenfalls angesprochen. Eine kritische Berichterstattung zum teilweise massiv fehlgeleiteten Tenor der Berichterstattung über Israel war auch auf dieser Plattform schon angeprangert worden, so etwa konkret im Zuge der aktuellen Welle von Gewalt in Jerusalems Strassen. Dass das SWC dazu die Deutsche Welle exemplarisch aufführt, aber im Grunde alle Ebenen des medialen Spektrums meint, ist ebenfalls charakteristisch für die Art der Auseinandersetzung in den Vereinigten Staaten.

Deutschsprachige Medien machten die Person Blumes zum Hauptthema. So titelte beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung „Antisemitismusvorwürfe gegen Antisemitismusbeauftragten“ – in der Sache nicht falsch, dennoch eine spezielle Art Rosinenpickerei. Im Beitrag selbst wird man die allgemeiner, und daher substantiell weiter gefasste, Kritik vergeblich suchen. Dafür ist die Liste derer, die Blume in Schutz nehmen umso länger. Die Neue Zürcher Zeitung fragt sich gar grundsätzlich „Kann ein Antisemitismusbeauftragter ein Antisemit sein?“ und erwähnt dazu bereits in der Einleitung, dass es die Alternative für Deutschland (AfD) ist, die Blumes Absetzung fordert. Erst sehr weit im Artikel kommt der israelisch-deutsche Historiker Prof. Michael Wolfssohn zu Wort, der die nicht immer eindeutig zu interpretierenden Reaktionen Blumes auf Kritik an seiner Person erwähnt. Einen breiten Platz nehmen auch in dieser Zeitung die dem Antisemitismsbeauftragten zur Unterstützung eilenden Stellungnahmen ein, etwa des Zentralrats der Juden in Deutschland, aus den jüdischen Gemeinden in Baden-Württenberg oder aus der Landesregierung. Die in Hamburg erscheinende Die Zeit schafft es sogar schon in der Überschrift darauf hinzuweisen, dass das SWC Blume „Auf einer Liste mit Iran und der Hamas“ nennt. Es braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden, welches Klima angesichts solcher Schlagzeilen entsteht, und wie leicht es dabei zugleich ist, vom Wesentlichen abzulenken.

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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