Der Irrsinn hat Methode

Letzte Aktualisierung am 8. Juli 2020 durch Thomas Morvay

Es ist für den Bundes-Aussenminister Heiko Maas offensichtlich ein zunehmendes Bedürfnis, seine Ablehnung der israelischen Regierungspolitik in die Öffentlichkeit zu tragen. Nun gibt es jedoch wohl kaum ein anderes Politikgebiet als das der internationalen Beziehungen, bei dem die “Chemie” zwischen den Akteuren eine grössere Rolle spielt. Öffentlich ausgetragener Streit ist nicht nur atmosphärisch schlecht, er ist ebenso unklug und wenig zielführend.

(Berlin) – Bei seinem Amtsantritt erklärte Heiko Maas vor der angetretenen Beamtenschar und der TV-Öffentlichkeit, er sei “wegen Auschwitz in die Politik” gegangen. Das war ein Satz, der aufhorchen liess: kam da einer, der in den Worten von Willy Brandt von der “Gnade der späten Geburt” geküsst, die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber dem jüdischen Staat, ja generell gegenüber den Juden, neu definieren wird? Mittlerweile weiss man es: das ist mitnichten der Fall, Heiko Maas vergiesst lieber Krokodilstränen über tote Juden, als dass er an Israel ein gutes Haar liesse. Und Heiko Maas hat kein Problem damit, dass sein Vertreter bei den Vereinten Nationen regelmässig für die Verurteilung Israels stimmt – denn damit habe der nur “für Israel noch nachteiligere Beschlüsse verhindert”.

Seit die Koalitionsvereinbarungen der neuen israelischen Regierung im April 2020 unterzeichnet wurden, und demgemäss der Weg zu einem Gesetz freigemacht worden ist, welches die Anwendung israelischen Rechts auf Gebiete zulässt, welche Israel gerne als “umstritten” und der Rest der Welt – der seit 1999 geltenden Sprachregelung der Vereinten Nationen folgend – als “besetztes palästinensisches Territorium” umschreibt, radikalisiert sich die deutsche Haltung gegenüber Israel zunehmend.

Deutschland bekennt sich nach wie vor zu dem Ziel einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung. Aus unserer Sicht können Grenzen nur als Ergebnis von Verhandlungen und im Einvernehmen beider Seiten verändert werden. Wir setzen uns daher für die Wiederaufnahme direkter Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern ein und sind bereit, diesen Weg, gemeinsam mit unseren Partnern, zu unterstützen. Einseitige Schritte sind dazu keine Alternative.

Erklärung zum 5. Deutsch-Palästinensischen Lenkungsausschuss, 19.05.2020

ZUSATZFRAGE: Sie wissen ja auch, dass die politische Realität so aussieht, dass die dann sagen „Danke, schön, dass Sie die Haltung äußern“, dass aber, solange nicht mit Konsequenzen aufgrund einer völkerrechtswidrigen Annexion zu rechnen ist, wenig passieren wird. Noch einmal anders gefragt ‑ Kollege Jessen hat ja eine ähnliche Frage gestellt, ich will es einmal verfeinern ‑: Wird denn die Verhinderung der geplanten Annexion der Westbank ein außenpolitischer Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft?
SEIBERT: Das, was wir tun können, um zu einem Nahost-Friedensprozess beizutragen, ist immer ein Schwerpunkt unserer deutschen Außenpolitik. Es gibt, was die konkrete Frage der israelischen Ankündigung betrifft, eine sehr lebhafte innerisraelische Debatte; dazu kann man eine sehr lebhafte Diskussion beobachten, in der durchaus auch unterschiedliche Seiten vertreten werden. Wir haben unsere allgemeine Sorge über Annexionen bei früherer Gelegenheit gemeinsam mit unseren europäischen Partnern zum Ausdruck gebracht. Klar ist: Im Einklang mit dem Völkerrecht ist eine Veränderung von Grenzen nur dann, wenn sie im Einvernehmen stattfindet. Dazu braucht es ein verhandeltes Abkommen, und dem müssen beide Seiten zugestimmt haben.
FRAGE: Herr Seibert, sind aus Ihrer Sicht die Bedingungen für eine Zweistaatenlösung „on the ground“ gegeben, wenn Israel das Westjordantal annektieren sollte?
SEIBERT: Eine Annexion würde eine Zweistaatenlösung und damit auch eine politische Lösung des Nahostkonflikts deutlich erschweren.

Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­pressekonferenz vom 29.05.2020

Der palästinensische Premierminister, der jordanische Außenminister und der deutsche Außenminister waren sich einig, dass eine Annexion gegen das Völkerrecht verstoßen würde und es nun Priorität habe, dies zu verhindern. Sie wiederholten, dass alle Verhandlungen über ein Endstatusabkommen auf der Grundlage von Völkerrecht und den relevanten Resolutionen der Vereinten Nationen stattfinden müssen. Sie unterstrichen zudem ihr nachdrückliches Engagement für die Zwei-Staaten-Lösung und diskutierten mögliche Wege hin zu einem fruchtbaren Dialog zwischen Israelis und Palästinensern. Der jordanische und der deutsche Außenminister boten ihre Unterstützung an auf dem Weg hin zu Verhandlungen. Es wurde vereinbart, in engem Kontakt zu den besprochenen Punkten zu bleiben.

Gemeinsame Erklärung des Auswärtigen Amts, des jordanischen Außenministeriums und des palästinensischen Premierministeramts, 10.06.2020

Deutschland und seine Partner innerhalb der Europäischen Union setzen sich beim Nahostkonflikt für die Wiederaufnahme von Verhandlungen und eine Zwei-Staaten-Lösung ein. In seinen Gesprächen in Israel legte Außenminister Maas auch die europäische Sorge über die möglichen Folgen einer Annexion, wie von der israelischen Regierung angekündigt, dar: “Die aktuellen Entwicklungen im Nahostfriedensprozess und mögliche Annexionspläne beschäftigen viele Menschen in Israel – und auch in der Europäischen Union. Deutschland sieht sich dem Ziel einer verhandelten Zweistaaten-Lösung unverändert verpflichtet. Auch darüber werden wir sprechen und ich werde unterstreichen, dass wir bereit sind, alle Initiativen zur Wiederbelebung von Gesprächen zwischen Israelis und Palästinensern zu unterstützen.”

Pressemitteilung: Maas in Israel und Jordanien, 10.06.2020

[D]er Anlass der Reise war aber natürlich vor allem die Sorge davor, dass Israel, und zwar ab dem heutigen Tag, Schritte zur Annexion von Teilen des Westjordanlandes unternehmen könnte, so wie das die Koalitionsparteien der neuen Regierung miteinander vereinbart haben. Damit stehen die Friedensvereinbarungen von Oslo auf dem Spiel und auch der berechtigte Wunsch der Palästinenser, selbstbestimmt in einem eigenen Staat zu leben. Dieser Wunsch würde in weite Ferne rücken.
Deshalb war es auch mir persönlich wichtig, die Sorge darüber, die nicht nur ich habe, sondern viele in der internationalen Staatengemeinschaft und – ich bin mir sicher – auch viele hier, von Angesicht zu Angesicht zum Ausdruck zu bringen. Denn auch das gehört zu unserer Freundschaft mit Israel: nicht zurückzuschrecken – auch vor schwierigen Themen nicht.
Es ging dabei nicht allein um die rechtliche Bewertung einer aus unserer Sicht völkerrechtswidrigen Annexion. Für uns gilt weiter die verhandelte Zweistaatenlösung. Einseitige Grenzverschiebungen lehnen wir ab, und wir werden sie auch nicht anerkennen.



[A]ls EU-Ratspräsidentschaft und als Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen tragen wir in dieser Frage in diesen Tagen eine ganz besondere Verantwortung, und zwar für Frieden und Stabilität in Israel und der Region, im Nahen Osten insgesamt. Und wir werden uns dieser Verantwortung stellen. Deutschland fühlt sich Israel verpflichtet; das ist ein Teil unserer historischen Verantwortung. Das gilt aber genauso für die Einhaltung der Grundsätze des Völkerrechtes. Und wenn sich daraus ein Konflikt ergeben sollte, dann müssen wir das auch aushalten. Dazu zu schweigen, ist keine Alternative.
Das werden wir auch nicht, und das müssen dann auch die aushalten, die dafür verantwortlich sind.

Aus der Rede von Aussenminister Heiko Maas vor dem Deutschen Bundestag, 01.07.2020

Wir haben uns über den gegenwärtigen Stand des Nahostfriedensprozesses und seine regionalen Auswirkungen ausgetauscht. Wir sind einhellig der Auffassung, dass jede Annexion der 1967 besetzten Palästinensischen Gebiete gegen das Völkerrecht verstoßen und die Grundlagen des Friedensprozesses gefährden würde. Wir würden keinerlei Veränderung der Grenzen von 1967 anerkennen, die nicht von beiden Konfliktparteien vereinbart wurde. Wir sind uns ferner darin einig, dass ein solcher Schritt ernste Konsequenzen für die Sicherheit und Stabilität der Region haben und ein großes Hindernis für die Bemühungen um die Herbeiführung eines umfassenden und gerechten Friedens darstellen würde. Er könnte auch Folgen für das Verhältnis zu Israel haben. Wir betonen unser nachdrückliches Bekenntnis zu einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung auf der Grundlage des Völkerrechts und der einschlägigen VN-Resolutionen. Wir erörterten, wie ein konstruktiver Neuanfang zwischen der israelischen und der palästinensischen Seite gelingen kann, und bieten unsere Unterstützung dabei an, einen Weg zu Verhandlungen zu eröffnen.

Erklärung der Aussenminister Ägyptens, Deutschlands, Frankreichs und Jordaniens, 07.07.2020

Innerhalb von 7 Wochen ging es also von “einseitige Schritte sind keine Alternative” zu “jede Annexion gegen das Völkerrecht verstossen … würden keine Veränderung der Grenzen von 1967 anerkennen”. Während es im ersten zitierten Text, und grundsätzlich, bis zu Maas Reise nach Israel, in jeder Verlautbarung in erster Linie um die Betonung von Gemeinsamkeiten und dem Angebot von Unterstützung ging, wird besonders in der Rede vor dem Bundestag – mit dem unsäglichen letzten Satz – und in den Erklärungen mit arabischen Partnern, die konfrontative, ja ausgesprochen feindselige Haltung herausgestrichen.

Wie an dieser Stelle schon ausgeführt: es scheint, als ob der Bundes-Aussenminister wie ein Verletzter aus sicherer Entfernung verbal nachtrete, wie ein verschmähter, sich unverstanden fühlender Liebhaber seinem Missmut zunehmend freien Lauf liesse. Das allerdings, ist kein Rezept, um auf der internationalen Bühne zu bestehen, damit macht man sich höchstens lächerlich. Hier ist die Bundeskanzlerin gefragt, im Interesse des Ansehens des Landes auf ihre Richtlinienkompetenz zu pochen und eine dringende Korrektur vorzunehmen. Sonst drohen dem Leistungsausweis als Vorsitz im UN-Sicherheitsrat und der Eu-Ratspräsidentschaft nicht nur Punktabzug in der B-Note, aber auch ein Prestigeverlust. Und den werden besonders jene wahrnehmen, vor denen sich Europa am meisten zu fürchten hat: China und Russland. Und das kann sich Deutschland un Europa absolut nicht leisten.

UPDATE: Und dieses Mal positioniert sich auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft, resp. ihr Präsident Uwe Becker, von Anfang an richtig. In einer Pressemitteilung verurteilt Uwe Becker die gemeinsame Erklärung der Aussenminister korrekterweise als “unnötig, falsch und einseitig”:

Die jüngste Erklärung der Außenminister von Deutschland, Frankreich, Ägypten und Jordanien ist völlig unnötig, falsch und einseitig. Statt Israel mit der Verschlechterung der Beziehungen zu drohen, sollte endlich der Druck auf die Palästinensische Seite erhöht werden, um diese an den Verhandlungstisch zu bringen.

Uwe Becker, in einer Pressemitteilung des DIG, 08.07.2020
Über Thomas Morvay 326 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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