Der 27. Januar – ein Tag der Befreiung?

Onkel Otto ist seit 1958 das Maskottchen des Hessischen Rundfunks. (Lizenz: imago/epd-bild; Copyright: Heike Lyding)

Auschwitz – mir ist in der Rückschau nicht klar, wann in mir die volle Bedeutung des Grauens, das ich damit verbinde, bewusst wurde. Meine Mutter, die 3 Konzentrationslager überlebt hatte, und die ihre Eltern an der Rampe in Auschwitz zuletzt gesehen hat, an jenem Tag in Juni 1944, trug das Traume ihr ganzes Leben lang in sich. Im hohen Alter, am Ende ihres Lebens, als ihre physischen und geistigen Abwehrkräfte zunehmend erlahmten, endete jedes unserer Gespräche bei dieser Erinnerung.

Ich gestehe: der 27. Januar 2025, respektive die Last des Gedenkens, hat mich von den Beinen geholt. Ich benötigte 3 volle Tage, um mir das überhaupt einzugestehen, und um das auch nur ansatzweise zu verstehen! An diesem Tag erinnert sich “die Welt” an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Und, in diesen Tagen finden zahlreiche Dokumentationen, Interviews und allgemein Sendung in Radio und TV zum “Thema” statt.

Doch dies alles wird stark relativiert, durch die Schilderung eines Vorgesprächs der deutsch-israelischen Expertin für Cyber-Sicherheit, Prof. Dr. Haya Schulmann, mit einer Redaktorin des Hessischen Rundfunks. Zuerst auf der Social Media-Plattform LinkedIn erschienen, mittlerweile jedoch in sehr vielen deutschsprachigen Medien verbreitet, wird der Sachverhalt z.B. in der Jüdischen Allgemeinen so dargestellt:

Sie sei gebeten worden, in »Hallo Hessen« über Datenschutz in Europa zu sprechen, schrieb Schulmann auf der Plattform LinkedIn. Im Rahmen einer Probe habe sie mit der Moderatorin geplaudert. Diese habe sie gefragt, woher ihr Name stamme. Ihre Antwort: »Israel«.

Daraufhin soll die Moderatorin, die laut Schulmann türkischer Abstammung ist, »Bäääh!« gerufen und die Zunge herausgestreckt haben. Nach diesem Vorfall habe die Moderatorin bei der Probe kein Wort mehr gesprochen und sie selbst sei stumm geschaltet worden, so die Informatik-Expertin.

Jüdische Allgemeine, 30.01.2025

Der Sender reagiert mit längst eingeübten Reflexen und vorgefertigten Floskeln. Einigermassen befremdlich ist die Charakterisierung der erhobenen Vorwürfe als “Wahrnehmung” von Prof. Schulmann, aber das kann schlicht die Formulierung eines Juristen sein, der für alle Fälle gewappnet sein wollte. Natürlich nimmt der Sender “diese Wahrnehmung sehr ernst” und verspricht vollständige Klärung. Zu diesem Zweck habe er “das Thema unmittelbar aufgenommen und einer unabhängigen, ergebnisoffenen Untersuchung zugeführt”. Zum Schluss bittet er “um die nötige Geduld”, welche eine solche Aufarbeitung erfordere.

Da stellt sich mir doch die Frage: was wollen wir Gedenken, wenn unsere heutige Realität so aussieht!

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Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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