Bennett im Weissen Haus – kein normaler Besuch unter Freunden

Israels Premierminister Naftali Bennett vergangene Woche bei einer Pressekonferenz in Jerusalem, Israel. (Photo credit: imago/UPI Pool Photo)

(Jerusalem/Israel) – Wenn Israels neuer Premierminister heute in die USA aufbricht, und ganz besonders wenn er am Donnerstag durch Präsident Joe Biden im Oval Office begrüsst wird, werden ganz viele argwöhnische Augen auf dieses Ereignis blicken. Man erinnert sich nur zu gut an den missratenen ersten Kontakt zwischen Benjamin Netanjahu und Barack Obama, der für 8 Jahre die Tonalität zwischen den beiden setzte. Sorge bereitet es in Israel insbesondere, mit welcher Vehemenz Washington eine Rückkehr zum Atom-Abkommen mit dem Iran vorantreibt. Aus Washington ist zu vernehmen, man wolle die Palästinenserfrage ansprechen, bei der sich in den letzten Tagen offene Gegensätze zwischen den Koalitionären in Jerusalem offenbart haben.

Vermutlich gibt es kaum einen israelischen Politiker der letzten 50 Jahre, den Joe Biden nicht getroffen hätte. Zumindest erhielt man diesen Eindruck, wenn man seinen Anekdoten-reichen Reden in der Vergangenheit zuhörte. Dieser Aspekt dürfte allerdings am kommenden Donnerstag eine untergeordnete Bedeutung erhalten, wenn Biden den israelischen Regierungschef Naftali Bennett, knapp zwei Monate nach dessen Amtsübernahme, im Weissen Haus begrüsst. Die Erewartungen sind beiderseits in den vergangenen Tagen hochgeschraubt worden: auf amerikanischer Seite hofft man, Bidens Image des erfahrenen Aussenpolitikers demonstrieren zu können, während man in Israel sehen will, wie sich Bennett auf dem internationalen Parkett schlägt.

Kurz vor seinem Abflug aus Tel Aviv umriss der Premier die Ziele seiner Reise wie folgt:

Ich reise nach Washington, um mich mit Präsident Joe Biden, einem wahren Freund Israels, und Spitzenbeamten, darunter den US Aussen- und Verteidigungsministern, zu treffen.

Es gibt eine neue Regierung in den Vereinigten Staaten und eine neue Regierung in Israel, und ich bringe aus Jerusalem einen neuen Geist der Zusammenarbeit mit, der auf einer besonderen und langjährigen Beziehung zwischen den Ländern beruht.

Wir werden uns mit vielen Themen befassen, insbesondere mit der iranischen Front, sowie mit einigen Aktionen zur Stärkung der israelischen militärischen Vormachtstellung. Daneben werden wir uns auch mit den Bereichen Wirtschaft, Hightech, Innovation, der uns alle beschäftigenden Klimakrise und natürlich dem Kampf um Corona beschäftigen. Ich beabsichtige, mit Präsident Biden das Wissen und die Erkenntnisse zu teilen, die wir gewinnen.

[…] Ich zweifle nicht daran, dass der neue Geist der Zusammenarbeit große Erfolge für den Staat Israel und seine Sicherheit bringen wird und werden wird.

Quelle: Twitter-Konto von Naftali Bennett; Original in Hebräisch, eigene Übersetzung
Israels Premierminister Naftali Bennett flog an Bord eines Boeing 787 „Dreamliner“ der Fluggesellschaft El Al (Photo credit: ADS-B Exchange/Open Street Map contributors)

Wie in den letzten Tagen aus Jerusalem verlautete, denkt Bennett, dem US-Präsidenten einen Plan schmackhaft machen zu können, das Iran-Dilemma ohne Rückkehr zur JCPoA aka Iran-Deal zu lösen. Man kann es ihm wirklich nicht verübeln: Joe Biden macht in der deiser Tage so entscheidenden Phase des US-Rückzugs aus Afghanistan so ziemlich alles falsch, was man verkehrt machen könnte. Nicht nur, dass er zu Beginn der aktuellen Schlussphase während mehr als 2 Tagen von der Bildfläche verschwunden – er hatte sich in Camp David verkrochen, und als er schliesslich im Weissen Haus auftauchte, dann für eine vom Teleprompter abgelesenen Stellungnahme, nach dessen Rezitation er sofort wieder nach Camp David verschwand, ohne sich Fragen der Journalisten zu stellen. Selbst heute, nach seinem Auftritt bei der Videokonferenz der G7-Aussenminister, brauchte er mehr als 4 Stunden, um sich öffentlich zu erklären. Die Optik könnte nicht schlimmer sein, für den “Commander-in-Chief” der einzig verbleibenden Weltmacht.

Doch dies scheint den US-Präsidenten wenig zu kümmern. Als er schliesslich zu seiner Rede ansetzte, schob er ein innenpolitisches Thema noch vor seine Anmerkungen zu Afghanistan. Er sprach über einen Etappensieg bei der Verabschiedung des grössten Investitionspakets. Bennett, der zu diesem Zeitpunkt mitten über den Atlantik gen Washington schwebte, wird dies gerne vernehmen: je mehr die Biden-Administration auf Innenpolitik fokussiert bleibt, umso weniger dürfte es Themen aufgreifen, über welche innerhalb der israelischen Regierungskoalition substantielle Differenzen bestehen, beispielsweise den Umgang mit den palästinensischen Arabern. Während Bennett und sein “Side-Kick” Ayalet Shaked eine Zwei-Staaten-Lösung kategorisch ausschliessen, forderte der designierte Nachfolger Bennetts im Amt des Regierungschefs, Yair Lapid öffentlich ein Zugehen Bennetts auf den Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas.

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Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

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