Barack Obamas Biografie – Irrtümer oder bewusste Täuschung zu Nahost?

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Letzte Aktualisierung am 24. Januar 2021 durch Thomas Morvay

Fast 4 Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als 44. Präsident der Vereinigten Staaten, legt Barack Obama den ersten Band seiner präsidialen Biografie vor. Ich habe mir als erstes Kapitel 25 vorgenommen, wo sich Obama ausführlich zur Geschichte des modernen Israel äussert. Ich traute meinen Augen nicht!

If at the end of 2010, anyone had asked me where the next major Middle East crisis would most likely occur, I could have offered them a rich menu of possibilities. There was Iraq, of course, … Yemen – one of the world’s true hard-luck cases – … [a]nd then there were the few hundred miles of winding, contested border that separated Israel from the Palestinian territories of the West Bank and the Gaza Strip.

Barack Obama: A Promised Land, S. 609f

Nachdem er derart für Stimmung gesorgt hat, fährt Obama die erste Falschheit auf:

The conflict between Arabs and Jews …, dating back to the 1917 Balfour Declaration, in which the British, who were then occupying Palestine, committed to create a “national home for the Jewish people” in a region overwhelmingly populated by Arabs. Over the next twenty or so years, Zionist leaders mobilized a surge of Jewish migration to Palestine and organized highly trained armed forces to defend their settlements.

Barack Obama: Apromised Land, S. 609

Man muss kein Zionist sein, um zu erkennen, dass an dieser Darstellung so gut wie nichts stimmt. Zum Zeitpunkt der Balfour Deklaration (2. November 1917) war die Schlacht um Palästina noch im vollen Gange, und Grossbritannien hatte erst den Süden unter Kontrolle, und war noch während 5 Jahren keine Mandatsmacht hier. Zu jener Zeit war die Zweite Aliyah-Welle bereits abgeschlossen, jüdische Siedler hatten in den ersten Kibbutzim das Land urbar gemacht und hatten die Stadt Tel Aviv gegründet. Von kleineren lokalen Scharmützeln abgesehen, gab es zu der Zeit noch keine nennenswerte Auseinandersetzung mit der ansässigen arabischen Bevölkerung – nicht zuletzt, weil die Briten zu der Zeit noch erhebliche Mühen hatten, in den Arabern so etwas wie Nationalstolz zu entfachen. Die ersten signifikanten Ausschreitungen von Arabern gegenüber Juden in Jerusalem datieren aus 1920 – der Historiker Tom Segev bezeichnet sie als den “Startschuss für den Kampf um das Land Israel” – erst danach begannen sich die jüdischen Einwanderer militärisch zu organisieren. Die Gründung der Hagana erfolgte im Sommer 1920, als Reaktion auf das erwöhnte Judenpogrom in Jerusalem. Obama vertauscht also Ursache und Wirkung.

Der 44. Präsident verschwendet keine Zeit damit, die Jahre des britischen Mandats zu beschreiben, bezeichnet jedoch die Schoah als ursächlich für den Teilungsplan:

In 1947, in the wake of World War II and in the shadow of the Holocaust’s unspeakable crimes, the United Nations approved a partition plan […]

Zionist leaders embraced the plan, but Arab Palestinians, as well as surrounding Arab nations that were also just emerging from colonial rule, strenuously objected. As Britain withdrew, the two sides quickly fell into war. And with Jewish militias claiming victory in 1948, the State of Israel was officially born.[ …] For the next three decades, Israel would engage in a succession of conflicts with its Arab neighbors – most significantly the Six-Day War of 1967 […] In the process, Israel seized control of the West Bank and East Jerusalem from Jordan, …

Barack Obama: A Promised Land, S. 609

Wo soll man da anfangen: kein einziger Hinweis auf die diversen “Weissbücher” unterschiedlicher britischer Regierungen, die vergeblich nach Lösungen für ein zugegeben unlösbares Problem suchten, die britische Einwanderungspolitik ins Mandatsgebiet und die zunehmende arabische Verweigerung, die sich daraus ergebenden Konflikte zu entschärfen. Kein Hinweis darauf, dass die Führer des Jischuw de facto einen Waffenstillstand gegenüber der Mandatsmacht in den Kriegsjahren einhielten, während die Führung der Araber offen mit einem ganz anderen “Führer” paktierte. Und nach dem Krieg “fielen die beiden Seiten übereinander her”, einfach so, quasi im luftleeren Raum?

Dann die, durch die Fakten in keiner Weise gestützte Aussage, dass die “siegreichen jüdischen Milizen” die Gründung des Staates Israel verkündeten. Anlass für die Ausrufung Israels, im Mai 1948, ist der Abzug der britischen Mandatsmacht und der Einfall von 5 arabischen Armeen (darunter die stärkste unter britischer Führung: Sir John Bagot Glubb aka Glubb Pascha), und ein Krieg, der bis ins folgende Jahr hinein dauerte. Mit Ausnahme der Suez-Krise hat Israel stets Kriege zur Selbstverteidigung geführt, während die Araber bereits am 1. September 1967 ihre berüchtigten 3 Nein in Karthoum verkündet hatten. Israel hat nachweislich den jordanischen König Hussein ersucht, sich neutral im Sechs-Tage-Krieg zu verhalten, und hat sodann die von Jordanien unrechtmässig gehaltenen Gebiete erobert, als er dies nicht tat.

Meanwhile, Palestinians living within the occupied territories, mostly in refugee camps, found themselves governed by the Israel Defense Forces (IDF), with their movements and economic activity severely restricted, prompting calls for armed resistance and resulting in the rise of the Palestine Liberation Organisation (PLO).

Barack Obama: A Promised Land, S. 610

Hier wird der Eindruck erweckt, die Flüchtlingslager seien das Ergebnis des Sechs-Tage-Krieges, entstanden waren sie tatsächlich bereits in der Zeit der jordanischen Besetzung. Auch war die PLO bereits vor dem Krieg jahrelang mit ihren Terror-Übergriffen auf Israeli aktiv gewesen. Nicht nur das, im Jahr 1970 versuchte die PLO – mit syrischer Unterstützung – König Hussein zu stürzen und wurde von diesem aus dem Land gejagt (Israel flog Einsätze zur Unterstützung sowie zur Abschreckung der syrischen Armee).

The United States was no bystander in all this. […] Harry Truman had been the first foreign leader to formally recognize Israel as a sovereign state, and the American Jewish community pressed U.S. officials to assist the fledgling nation. […] and with that, Israel’s problems with its neighbors became America’s problems as well.

Barack Obama; A Promised Land, S. 610

Ich mag dies nicht im Detail widerlegen, es ist schlicht eine tendenziöse und falsche Auslegung der Fakten. Sie sind Gegenstand von verschiedenen Büchern in den letzten Jahren gewesen, so etwa Dennis Ross (Doomed to Succeed – The U.S.-Israel Partnership from Truman to Obama) oder Michael Doran (Ike’s Gamble) – aus amerikanischer Sicht, oder auch Anita Shapira (Israel – A History), welche die israelische Sicht darstellt. Wer es sich antun mag, lese auch die Neuen Historiker Israels, Tom Segev oder Benny Morris. Und wenn heute die Kritik laut wird, AIPAC (die “jüdische Lobby”) hätte unter Trump die Rolle einer überparteilichen Organisation eingebüsst, sei daran erinnert, dass der Vorwurf der “dualen Loyalität” während der Obama-Jahre salonfähig gemacht wurde, wie das obige Zitat auch sehr schön belegt.

Meanwhile, one day in September 2000, Likud party leader Ariel Sharon led a group of Israeli legislators on a deliberately provocative and highly publicized visit to one of Islam’s holiest sites, Jerusalem’s Temple Mount.

Barack Obama: A Promised Land, S. 611

Diese Behauptung war schon unhaltbar, als Obama noch Präsident war, und sie ist es natürlich auch heute noch. Das offensichtlichste vorweg: der Tempelberg ist erst islamisches Heiligtum im politisierten Narrativ des Mufti in den 1930er Jahren geworden. Und wer sich, als fairer Debattierer auf die Bedeutung des Tempelbergs für Muslime beruft, sollte vielleicht nicht unerwähnt lassen, dass dieser Ort deswegen so genannt wird, weil er der heiligste Ort im Judentum ist. Sodann ist belegt, dass Sharon erst auf den Tempelberg ging, nachdem ihm vom damaligen Sicherheitschef der Palästinensischen Autonomiebehörde Rajoub Jibril bestätigt wurde, dass dieser Besuch unbedenklich sei, solange die Delegation nicht eine der Moscheen besuchen wollte – dass Obama das nicht weiss, ist kaum haltbar.

Obama kann es auch nicht lassen, die vier Jahre der Zweiten Intifada als quasi moralische Equivalenz darzustellen:

… four years of violence between the two sides, marked by tear gas and rubber bullets directed at stone-throwing protesters; Palestinian suicide bombs detonated outside an Israeli nightclub and in buses carrying senior citizens and schoolchildren; deadly retaliatory raids and the indiscriminate arrest of thousands of Palestinians; and Hamas rockets launched from Gaza into Israeli border towns, answered by U.S.-supplied Israeli Apache helicopters leveling entire neighborhoods.

Barack Obama: A Promised Land, S. 611f

Über die selektive Aufrechnung von Toten auf beiden Seiten liesse sich zwar streiten, dass sich ein US-Präsident dazu herablässt, solch eine selektive Abrechnung vorzunehmen, ist erstaunlich. Grundlegend falsch hingegen ist die Behauptung Obamas, Israel hätte mit amerikanischen Waffen “ganze Wohnviertel in Schutt und Asche gelegt”, gar während der Zweiten Intifada. Daneben ist es fast schon vernachlässigbar, dass Obama den einseitigen Abzug Israels aus dem Gazastreifen, als ein Ergebnis der jahrelangen Auseinandersetzungen, mit keiner Silbe erwähnt.

Die Ausführlichkeit der Argumentation darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das lediglich drei Seiten aus einem fast 900-seitigen Buch sind. Es gäbe noch mehr, und dass hier nicht mehr angeführt wird, soll eines klar machen: es ist mehr als genug, um die katastrophale Verblendung dieses Präsidenten zu belegen, den manche während seiner Amtszeit bereits idolisiert haben. Eines Menschen, der ohne jede Vorleistung den Friedens-Nobelpreis bekam, und der offenbar nicht einmal Jahre nach seiner Amtszeit fähig ist, eine bestimmte Schicht seiner Wählerschaft – und Obama haben die überwiegende Zahl der jüdischen Wählerschaft unterstützt – objektiv zu betrachten. Die schiere Masse der Belege dafür soll schlussendlich eine Mahnung für all jene sein, die sich in den vergangenen 4 Jahren das Maul zerrissen haben über einen anderen Präsidenten, dessen Schwächen so eklatant öffentlich waren, die sich aber noch heute weigern, die Makel eines vielleicht intellektuell weit überlegenen anderen Präsidenten einzugestehen. Er mag noch so blitzgescheit sein, spätestens nach der Lektüre dieser wenigen Seiten muss klar sein, dass es für seinesgleichen nur eine Bezeichnung geben kann: Judenhasser!

Über Thomas Morvay 310 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

2 Kommentare

    • Lieber Peter, vielleicht nicht notwendig in dem Sinne, dass auch ich meine Leserschaft für reif genug halte, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Aber ich hielt sie für mich selbst für notwendig, damit ich die Idolisierung Obamas bei der gleichzeitigen Verteufelung seines Nachfolgers vielleicht eher ertragen kann. Obama hatte sich mit Rahm Emmanuel, David Axelrod und Ben Rhodes mit einer speziellen Kategorie amerikanischer Juden umgeben. Das hielt ich schon vor einem Jahrzehnt für einen politischen Schachzug, und weil er in seiner Biografie noch immer das als “Feigenblatt” gegen den Vorwurf des Judenhasses nimmt, ist es notwendig, das in dieser Deutlichkeit zu schreiben.

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