Antisemitismus auf dem Vormarsch – nicht schweigen!

Weiträumige Absperrung vor der Beit Yaacov Synagoge in La Grande-Motte, Frankreich. Dort waren zwei brennende Autos explodiert, welche auch die Türen des Gebetshauses in Brand steckten. (Lizenz: IMAGO / Bestimage; Copyright: ValentinaClaret / Panoramic / Bestimage)

Letzte Aktualisierung am 30. August 2024 durch Thomas Morvay

Vor Wochenfrist in Davos, am letzten Sonntag in Frankreich: ein Angriff auf einen “erkennbar” jüdischen Mann und ein Anschlag auf eine Synagoge! Beide Vorkommnisse sind in der immer deutlicher werdenden – und leider auch immer häufiger festzustellenden Reihe von eindeutig antisemitischen Taten zu verorten! Die Allgemeinheit geht da sehr schnell wieder “zur Tagesordnung” über, selbst in meinem Umfeld ist ein solches Ereignis selten mehr als einer Randnotiz wert. Genau so wird Judenhass normalisiert – genau so fing es auch im letzten Jahrhundert in Europa an!

Wie erst mit rund zweitägiger Verzögerung bekannt wurde, ist am vergangenen Freitag in Davos ein jüdisch-orthodoxer britischer Teenager von zwei Männern auf offener Strasse angegriffen, bespuckt, verprügelt und auf seiner Flucht ins Hotel verfolgt worden. Er wird in Medienberichten als “Eli K.” identifiziert, er ist nicht zum ersten Mal in der Schweiz, denn er hat in Davos bereits eine Talmudschule besucht. Seit vorgestern fühlt er sich in unserem Land nicht mehr sicher, das Gefühl kannte er nach eigenem Bekunden bisher nicht!

Inzwischen sind zwei junge Männer als Täter identifiziert worden, beide “abgewiesene Asylbewerber”, in einem Auffanglager lebend und auch heute nicht in Untersuchungshaft, da “die Staatsanwaltschaft keine Untersuchungshaft” beantragt habe. Geradezu wie ein Hohn liest sich die Stellungnahme des verantwortlichen Bündner Regierungsrates:

Wenn Menschen einen jüdischen Gast anpöbeln, gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es einen antisemitischen Hintergrund hat.

Regierungsrat des Kantons Graubünden Peter Peyer (SP), Medienkonferenz vom 29. August 2024

Im südfranzösischen La Grande-Motte ist ein Verdächtiger in Gewahrsam, der am Sanmstagmorgen zwei Türen der Synagoge in Brand gesteckt hatte. Vor dem Gebäude sind auch zwei Autos in Flammen aufgegangen, in unmittelbarer Nähe ist eine Gasflasche explodiert. Die staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen zu “versuchter Tötung mit Terrorismus-Bezug, Bildung einer terroristischen Vereinigung und Zerstörung mit gefährlichen Mitteln” ein.

Beiden Vorkommnissen ist vordergründig ein Bezug zur gegenwärtigen politischen Lage in Nahost gemeinsam: in Davos skandierten die Angreifer “Free Palestine”, in Südfrankreich trug der Terrorist eine palästinensische Fahne mit sich. Es sind diese Einzelheiten, gepaart mit den jeweiligen Angriffszielen, welche aus den Gewalttaten (israel bezogenen) Antisemitismus machen!

Eine wichtige Stimme gehört Corinna Eichenberger-Walther, der Zentralpräsidentin der Gesellschaft Schweiz-Israel. Wir baten sie um eine Stellungnahme:

Geschehen ist es in Davos. Es hätte überall in unserem Land passieren können. Ein junger orthodoxer Jude wird bespuckt und zusammengeschlagen. Es ist gewalttätiger Antisemitismus. Es ist unerheblich, ob es einheimische Täter waren, oder ausländische Touristen. Geschehen ist es in unserem Land. Punkt. Es ist kein Einzelfall. Die Fälle häufen sich. Es folgen kurze Momente der Entrüstung. Wieder einmal scheinen die jahrelangen Bemühungen im Kampf gegen den Antisemitismus nichts gefruchtet zu haben. Gerade deshalb müssen unsere Behörden und Politiker, wir alle, noch deutlicher und hörbarer unsere Stimme erheben: «Wir dulden keinen Antisemitismus, hier nicht, und anderswo nicht».

Ich gehöre noch einer Generation an, die einen sehr konkreten, direkten Bezug zur Schoah hat: meine beiden Eltern fielen dem Wahn zum Opfer, der Europa im letzten Jahrhundert vereinnahmte. Meinen Vater hatte die ungarische Armee verschleppt, die mit der Wehrmacht in Russland einfiel, und die Juden als lebende Minenräumer und Kanonenfutter vor sich hertrieb. Die Rote Armee steckte ihn für 3 Jahre in einen Steinbruch hinter dem Ural. Meine Mutter hatte, nach dem 19. März 1944 drei Konzentrationslager überlebt. Mit ihren kleinen feinen Händen fertigte sie Munition an – und hatte dabei noch Glück, das ihren Eltern nicht zuteil geworden war. Sie konnte sich von ihnen nie verabschieden, seitdem sie an der Rampe in Auschwitz getrennt wurden!

Und ich mache es mir zur Aufgabe, Tag und Nacht gegen die Gefahr “anzuchreien”, das auch meine Generation einzuholen droht. Es ist meine, nein, unser aller Aufgabe, gegen den erneut sich ausbreitenden – um nicht zu sagen, bereits grassierenden – Judenhass vorzugehen. Mit allem, was uns zur Verfügung steht. Bis zum letzten Atemzug!

Über Thomas Morvay 326 Artikel
Der mit Sprache Bilder kreiiert Seit über 10 Jahren journalistisch tätig, vorwiegend zu Themen Israel und jüdisches Leben. Zuvor Korrespondent und Redaktioneller Mitarbeiter für die European News Agency, und seit geraumer Zeit als Blogger hier auf dieser Plattform. Davor war ich auch fleissig als Kommentator über die Plattform Disqus unterwegs, u.a. bei der Jerusalem Post oder die Neue Zürcher Zeitung. Inhaltlich mache ich keinen Hehl aus meiner Überzeugung, dass für mich die sog. Zwei-Staaten-Lösung - die ja wahl- und bezeichnenderweise auch schon ein Konzept für mehr als 2 Staaten war - eine in der westphälischen Ordnung (Henry Kissinger) verwurzelte und europazentrische Sichtweise - überholt resp. zumindest neu gedacht werden muss. Als Sprössling zweier Überlebenden der Schoa ist das, was man heutzutage Erinnerungskultur nennt, naturgemäss mein Thema. In diesen Zusammenhang gehört die Auffassung, dass man nach wie vor lieber tote Juden beweint, als dass man sich lebenden Juden - in Israel oder in der Diaspora - zuwendet, bekennt und mit ihnen solidarisiert. In dieser Hinsicht halte ich meinem Land, der Schweiz, vor, sich ihrer Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht gestellt zu haben. Da verkommt sogar die Diskussion über eine zentrale Gedenkstätte oder zu Raubkunst zur willkommenen Ablenkung vom Thema. Mitglied im Deutschen Verband der Pressejournalisten

2 Kommentare

    • Lieber Andreas, das ist ein sehr treffender Kommentar. Wenn ich mir anschaue, wie “im grossen Kanton” mit dem Messerangriff seitens der Politiker umgegangen wird: keine einzige Nachrichtensendung ohne eine Meldung dazu, dann sind die Reaktionen bei uns grundsätzlich ungenügend. Ich habe übrigens Stellungnahmen von offiziellen jüdischen Stellen zu “Davos” eingefordert – bisher leider ohne Erfolg. Sollten sich die betreffeden Stellen doch noch melden, werde ich den Beitrag selbstverständlich ergänzen.

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